Bereits die Prämisse von «Mad Heidi» dürfte bei manch besonnenem Schweizer Kinogänger die Ohren zum Klingen bringen. Hier soll unserem Nationalheiligtum Heidi mit brachialer Gewalt, einer Portion Trash und einem Angriff auf die Lachmuskeln zu Leibe gerückt werden. Die heile helvetische Welt ist in «Mad Heidi» der Diktatur eines Käse-Magnaten (gespielt von B-Movie-Ikone Casper Van Dien) gewichen, der einen enormen Hass auf Menschen mit Laktoseintoleranz hegt.
Das Almmädchen Heidi (Alice Lucy) wird zu einer Anführerin des Widerstands in diesem Exploitation-Film, der genüsslich aus seinen reisserischen, brutalen und ironischen Vorbildern der 70er Jahre sowie deren Epigonen wie Quentin Tarantino («Death Proof») zitiert. Ungewöhnlich war auch die Finanzierung: 2 Millionen Franken, das entspricht etwa zwei Drittel des Budgets, erhielt der «erste Swissploitation-Film» durch internationales Crowdfunding, nicht zuletzt daher spricht man im Film weitgehend Englisch. Die 538 Unterstützer werden automatisch an den Einnahmen beteiligt.
Doch ist «Mad Heidi» wirklich der unbequeme, unberechenbare Schlag in die Magengrube der Schweizer Filmlandschaft? Gerade zu Anfang und am Schluss macht der Film gute Laune, das Timing stimmt. Bei der Hälfte zieht es sich etwas. In einer etwaigen, bereits angedachten Fortsetzung läge weitaus mehr Dampf, mehr Irritation drin, weniger gezieltes Abarbeiten an Stereotypen. Womöglich hat der Hype im Vorfeld die Erwartungen zu sehr geschürt.
Fanservice versprachen die Macher, Fanservice erhält das Publikum. Echte Überraschungen zu selten. Die Schweizer Klischees nebst ein paar launigen Sprüchen («Rest in Cheese!») bleiben weitestgehend beim Käse hängen. Dennoch war es gut und mutig, einen solchen Film in der Schweiz zu realisieren; gerade gegen so manchen Widerstand, wie die Macher im Rahmen des Zurich Film Festivals erzählten.
Wie sind Sie auf die Idee zu «Mad Heidi» gekommen?
Johannes Hartmann, Regisseur: Ich mag B-Movies und Exploitation-Filme aus den 70er Jahren. Auf der Suche nach Geschichten, die sich in der Schweiz umsetzen lassen, kam ich auf die Idee, die Klischees der alten Schweizer Heimatfilme mit Action, Horror und Comedy-Elementen zu vermischen.
Wann wussten Sie, dass das Finanzierungsmodell über Crowdfunding laufen würde?
Johannes Hartmann: Das wurde im Austausch mit den Produzenten ziemlich schnell klar. Ich bin zuerst auf den Produzenten von «Iron Sky» zugegangen. Dann hat mir jemand Valentin empfohlen, der 2011 «One Way Trip» gemacht hat, der zwar klassisch finanziert war, aber doch ein Genre-Beitrag aus der Schweiz. Sicherlich eignet sich nicht jeder Film für diese Art von Finanzierung. Aber ich glaube, Genre-Filme sind prädestiniert dafür, weil sie eine sehr leidenschaftliche Fan-Community haben und die Leute auch noch bereit sind, das T-Shirt zum Film zu kaufen.
Auch Streaming-Anbieter setzen inzwischen vermehrt auf Genre-Produktionen ...
Valentin Greutert, Produzent: Aber die kamen für mich als Produzent nie in Frage. Das sind Erzfeinde für die Art von Film, die wir machen. Wir sind Independent-Filmemacher und wollen nicht, dass uns irgendeine amerikanische Bude reinredet. Es ging ja darum, dass wir eine neue Möglichkeit der Finanzierung finden und nicht einfach die alten, ausgetretenen Pfade gehen. Wenn man einen Film wie «Mad Heidi» für Netflix macht, dann ist man einfach Handlanger einer Auftragsproduktion, das ist nicht interessant. Wir bauen schliesslich mit «Mad Heidi» auch eine eigene Marke auf. Dazu kommt: Es war sehr lässig, mit den Fans zu arbeiten, ihr Feedback und ihre Unterstützung zu erhalten.
Hartmann: Ohne den Einsatz der Fans hätte das Projekt gar nicht überlebt. Sie haben immer die Motivation hochgehalten.
Es gab unter anderem 2020 ein Drehbuchmeeting mit den Fans, auf dem diese ihre eigenen Ideen einbringen konnten. Wie hat sich die Erwartung der Investoren auf den Film niedergeschlagen? Litt da nicht auch ein bisschen Ihre künstlerische Freiheit und Eigenständigkeit darunter?
Greutert: Es ist ja nicht so, dass die Fans ein Vetorecht hätten. Und sie vertrauen uns auch. Als wir nach Brüssel gefahren sind, sind 30 unserer Investoren einfach mitgekommen, fast so, als wären wir Popstars und sie die Groupies. Sie haben uns durch die Bank unterstützt. Die Schwarmintelligenz hat wunderbar funktioniert. Wenn wir Statisten gebraucht haben, sind welche gekommen. Haben wir nach einer speziellen Kapelle gesucht, wurden uns sofort Hunderte Vorschläge gemacht. Bei der Postproduktion benötigten wir die Stimmen von johlenden Rebellen. Innerhalb von drei Stunden haben sich fast 100 Leute gemeldet. Einer ist extra aus Italien angereist, um fünfmal ins Mikro brüllen.
«Mad Heidi» war im Vorfeld bereits öffentlich recht präsent, unter anderem mit Auftritten von Soldaten mit Armbinden. Gab es Anfeindungen oder Klagen aus der Schweiz, was ihr da mit dem geliebten Heidi anstellen werdet?
Greutert: Zahlreiche. Während dem Dreh und vorher schon. Am Anfang sind wir nur von den Fans ernst genommen worden. Die meisten Leute sehen nie einen solchen Film und denken sich, wenn sie von «Mad Heidi» hören, wir würden die Schweiz schlechtmachen. Dabei merkt man dem Film an, dass wir alle die Schweiz gern haben, sonst würden wir uns gar nicht so lange damit beschäftigen.
Hartmann: Wir haben ziemlich alles gehört. Die einen sind beleidigt, weil sie die Schweizer Flagge als Nazi-Flagge missbraucht sehen. Andere schreien «Scheiss Multikulti-Propaganda». Vor allem aber hat mich überrascht, wie bestimmte Institutionen darauf reagiert haben. Der Fall, als einer unserer Co-Autoren seinen Job bei der Kantonspolizei Zürich verloren hatte, ging ja breit durch die Medien. Eine Person, die am Kostüm für Heidi mitgearbeitet hat, wurde aus dem Trachtenschneiderinnen-Verband geworfen. So etwas hätte ich im Jahr 2020 niemals für möglich gehalten.
Greutert: Victorinox wollte uns verklagen wegen eines Sackmessers im ursprünglichen Teaser, in dem wir den geschützten Begriff «Swiss Army Knife» verwendet haben. Und es hiess, wir würden das Victorinox-Messer als Waffe missbrauchen, obwohl es gemäss Schweizer Waffengesetz gar keine ist. Dafür hat es zu dem Thema jetzt eine lustige Szene im Film ...
Der oftmals für abseitig befundene Genrefilm scheint keinen leichten Stand in der Schweiz zu haben ...
Hartmann: Gute Genrefilme sind humorvoller und vor allem oft viel gesellschaftskritischer als all die scheinbar relevanten und pseudointellektuellen Dramen. Das Gute am Genre-Film ist: An der Oberfläche kann man unterhaltsam und im Subtext subversiv sein. Das verstehen viele Leute nicht, selbst in den Fördergremien für Kultur.
Auf den klassischen Kinostart wollten Sie aber trotz ihrer ungewöhnlichen Finanzierung nicht verzichten ...
Greutert: Ich hatte immer das Ziel gehabt, den Film in der Schweiz in die Kinos zu bringen. Kino im Ausland ist oft nicht interessant, weil es nur kostet und nichts einbringt. Unser oberstes Ziel ist es, dass die Unterstützer ihr Geld wieder sehen. Das derzeitige Distributionssystem, in dem alle Territorien auf der Welt für sich agieren, ist vorbei. Wegen der Streamingdienste wachen jetzt alle langsam auf. Die drücken einmal auf den Knopf und die ganze Welt sieht sich ihre Sachen an. Wir wollten das System umkrempeln und es so machen, wie wir wollen.
«Mad Heidi»: Im Kino. Und ab 8. Dezember auf der Homepage madheidi.com als Stream zu erwerben.
Bitte redigiert solche Germanismen raus. Denn wenn was im Zusammenhang mit Heidi nervt, dann sowas.