Festivalleiter Fritz Renold ist ganz aus dem Häuschen. «Wir haben es geschafft. Wir sind nominiert.» Albumproduktionen des Festivals in Aarau waren in den letzten Jahren immer wieder auf der «Entry List» (Longlist) der Grammys zu finden, in die Endrunde der besten Fünf hat es bisher nie gereicht. Überhaupt: Nichtamerikanische Produktionen haben es extrem schwer, sich im Ursprungsland des Jazz durchzusetzen. Umso höher ist die jetzige Nomination einzuschätzen.
Geholfen hat dabei sicher die Teilnahme der heute 85-jährigen Jazzlegende Ron Carter, einem der bedeutendsten Bassisten des Jazz. Der amerikanische Grammy-Award ist die weltweit wichtigste Auszeichnung der Musikindustrie und das Pendant zu den Oscars beim Film.
«Remembering Bob Freedman», so der Albumtitel, ist dem 2018 verstorbenen amerikanischen Musiker und Jazz-Professor Bob Freedman gewidmet, der von 2001 bis 2018 viele Arrangements für das Jazzaar-Festival geschrieben hat. Er war ein enger Freund von Ron Carter und wollte den Bassisten schon verschiedene Male für Aarau gewinnen. Doch der gefragte Meisterbassist konnte es terminlich nie richten. Als es endlich doch noch zu klappen schien, starb Freedman am 22. Dezember 2018 unerwartet. Für Ron Carter war Freedman der beste Arrangeur des Jazz.
Am 12. April 2019 kam es in der Aeschbachhalle Aarau zur grossen Hommage an Freedman. Wie immer wurde die 17-köpfige Festival Big Band speziell für das Festival zusammen gestellt. Einerseits mit internationalen renommierten Instrumentalisten wie dem Trompeter Ryan Quigley, den Saxofonisten Antonio Hart und Jason Jackson, dem Pianisten Donald Vega und dem Schlagzeuger Carl Allen, andererseits mit zwölf ausgewählten Studierenden der Schweizer Jazzschulen in Luzern, Basel und Zürich.
Das Programm wurde in der Woche zuvor unter der Leitung von Christian Jacob einstudiert und am Festivalwochenende aufgeführt. Carter selbst hat aus der Schatzkiste der Freedman-Arrangements die Stücke ausgewählt, die in Aarau von der Jazzaar Big Band aufgeführt und aufgenommen wurden. Vor allem Standards wie «Straight No Chaser», «Stompin At The Savoy», «Loverman» und «Don't Get Around Much Anymore». Dazu als Höhepunkte und Uraufführungen das Stück «More Than Four», eine Adaption von Mozarts Streichquartett Nr. 13 in d-Moll für Big Band, sowie die Komposition «Opus 5», die Ron Carter speziell für diesen Anlass und für seinen verstorbenen Freund schrieb.
Die Grammys werden in einem mehrstufigen Auswahlverfahren gewählt. Jährlich werden über 30 000 Produktionen angehört, die von einer «Academy» aus renommierten Musikern, Produzenten und Aufnahmeleitern werden. Wie sind die Chancen auf den Sieg? «Schwierig, aber nicht chancenlos», meint Renold. Als grösste Konkurrentin schätzt er die Produktion der WDR Big Band mit den Gastsolisten Eddie Gomez, Ronnie Cuber und Steve Gadd ein. «Wir brauchen 1000 Stimmen der Academy und geben alles, um das zu erreichen», sagt Renold.
Pikantes Detail: Der Schlagzeuger Steve Gadd war in diesem Jahr für die Jazzaar-Produktion vorgesehen, konnte es aus gesundheitlichen Gründen aber nicht richten. Nun ist er für die Ausgabe 2023 vorgesehen, wie Renold verrät.
Im Haus der Familie Renold in Schönenwerd herrschte gestern Abend eine euphorische Stimmung. Denn neben der Jazzaar Festival Big Band wurde in der Kategorie des besten Global Music Albums auch noch das Berklee Indian Ensemble mit dem Album «Shuruaat» nominiert, wo die beiden Renold-Töchter beteiligt sind. Lydia Renold (30) als Sängerin und Produzentin und Sharon Renold (26) als Sängerin, Bassistin und Komponistin des Stücks «Aakash».
Das Ensemble ist vor zehn Jahren am Berklee College of Music gegründet worden, um indische Musik mit Einflüssen aus Jazz und progressivem Rock zu vereinen. Auf dem Album sind 98 Musiker aus 39 Ländern zu hören, darunter indische Spitzenmusiker wie Tabla-Maestro Zakir Hussain und die renommierten Sänger Shankar Mahadevan und Vijay Prakash sowie Bollywood-Superstar Shreya Ghoshal. Die Konkurrenz in dieser Kategorie ist mit Angélique Kidjo, Ibrahim Maalouf, Burna Boy und Anoushka Shankar noch grösser und namhafter als bei den Jazzorchestern. «Wir werden am 5. Februar aber sicher in Los Angeles mitfiebern, wenn Grammys verliehen werden», sagt Sharon Renold.
Zu guter Letzt hat auch noch der Schweizer Schlagzeuger und Sound-Engineer Reto Peter in der Kategorie des besten Kinderalbums eine Nomination geschafft. Der gebürtige Erlinsbacher, der heute in Kalifornien lebt war der Engineer auf dem Album «The Movement» der Alphabet Rockers.
Schweizer Grammy-Ehren, ob Gewinner oder Nominationen, sind selten. Der Zürcher Harfenist Andreas Vollenweider (1987) war der erste Schweizer, der einen Grammy gewann. Es folgten der Produzent und Musik-Ethnologe Marcel Cellier (1990), der Genfer Harmonika-Spieler Grégoire Maret als Bandmitglied von Herbie Hancock (2006), Produzent Al Walser (2016), die Geigerin Patricia Kopatchinskaja (2018) und zuletzt der gebürtige Küssnachter Klarinettist und Saxofonist Linus Wyrsch für das beste Kinderalbum (2019).
Nominationen sind ebenso dünn gesät. 2017 waren es das Basler Barockorchester La Cetra mit der Sängerin Magdalena Kozena sowie die Schweizer Soundengineers Ben Mühlethaler und Jamie Lewis für ihre Arbeit mit Prince und zuletzt vor zwei Jahren wieder Grégoire Maret. So viele Nominationen wie in diesem Jahrgang hat es aber noch nie gegeben.