Bei den Oscars 2020 befand sich das amerikanische Kinopublikum in einer ungewohnten Situation: Der südkoreanische Film «Parasite» hatte eben abgeräumt; unter anderem in der Kategorie «Best Picture» – das erste Mal, dass ein nicht-englischsprachiger Film in dieser Kategorie gewann.
Und nun sah sich die amerikanische Kinowelt mit der Frage konfrontiert, Synchronfassung oder Originalton? Und damit auch mit der übergeordneten Frage: Kann die Synchronfassung dem Originalfilm gerecht werden?
Liebe Amis, die Antwort darauf lautet: nein.
Ich plädiere dafür, Filme und Serien immer in der Originalversion zu schauen. Ja, ich kann Englisch. Somit können ich und die anderen 1,2 Milliarden Englisch Sprechenden auf diesem Planeten den weitaus grössten Teil Filmen und Serien in Originalton geniessen. Italienisch verstehe ich auch gut genug, um Filme und TV zu schauen und selbst bei Französisch komme ich grösstenteils mit (gib' mir einfach genug französischen Wein).
Es ist mir aber wichtig, zu betonen, dass ich hier nicht aus einer anglozentrisch-imperialistischen Warte schreibe. Du kannst kein Englisch? Ich dafür kein Spanisch. Doch als ich «Casa de Papel» auf Englisch versuchte, war ich schockiert, wie übel das sich anhörte. Nein, lieber schiele ich ab und zu auf die Untertitel, bekomme dafür die sexy Stimme von Kommissarin Murillo mit.
Eine Synchronfassung ist immer ein Kompromiss. Auf dem Altar der Verständlichkeit wird ein Gesamtkunstwerk geopfert. Oder anders gesagt: Geht man die Synchronfassung ins Kino schauen, bezahlt man das Doppelte. Denn man bekommt nur den halben Film. Let me explain:
Wir lieben es, grossen Schauspielern und Schauspielerinnen bei ihrem Handwerk zuzusehen. Dazu gehört nicht nur Ausdruck und Mimik, sondern auch Klang und Einsatz der Stimme. Ich möchte verdammt nochmal Penelope Cruz' Stimme hören, wenn sie eine Sprechrolle hat. Sie ist ein entscheidender Teil der Performance. Keine Synchronstimme kann die Nuancen des Schauspiels hinkriegen.
Und, ja, dies trifft selbst bei doofen Action-Streifen zu. Jason Statham ohne Ostlondoner Akzent ist nur die halbe Filmfigur.
Ich mag mich noch genau erinnern: Es war die Vorpremiere von «Harry Potter and the Half-Blood Prince» anno 2009. Sämtliche bisherigen Potter-Filme hatte ich in der Originalfassung gesehen. Und die Pressevisionierung von «Harry Potter 6» kurz vorher war ebenfalls mit Originalton gewesen. Die öffentliche Vorpremiere hingegen, wurde in der deutschen Synchronfassung gezeigt (klar – Familienfilm und so). Ich war völlig verblüfft, wie schlimm es wirklich war.
Nebst dass Hermine Grangers Synchronsprecherin offenbar nur die Emotionen «hässig» und «erschrocken» beherrschte, fiel vor allem eines auf: die Klangtiefe. Beziehungsweise das Fehlen derer. Im Original sind Sprechstimmen im Klangbild jeder einzelnen Szene eingebettet. Eine Synchronstimme hingegen wirkt stets, als wäre sie dem restlichen Klangbild aufgesetzt worden (was technisch gesehen in gewisser Weise auch so ist, selbst mit der heutigen Technik). Du kaufst dir die Hifi-Musikproduktion, darfst sie aber ausschliesslich auf einem 10-Franken-Boombox aus der Wühlkiste hören.
Der Missionsleiter in «Apollo 13»:
Was sinngemäss bedeutet, «etwas Unmögliches möglich machen». Aber selbst die wortwörtliche Übersetzung, «Ich schlage vor, Sie finden einen Weg, einen quadratischen Stöpsel in ein rundes Loch zu stopfen», würde aufgehen. Im Film heisst es aber:
Ein eckiges Schwein.
Ein.
Eckiges.
Schwein.
Da wurde wohl peg (Stöpsel) mit pig (Schwein) verwechselt.
Und es gibt etliche weitere, hanebüchene Beispiele. Kollege Schmidli hat einige Perlen zusammengetragen:
Logisch. LOGISCH sind übersetzte Witze und Wortspiele niemals auch nur halb so gut wie das Original. Das geht gar nicht anders – da muss die Übersetzung einigermassen mit den Mundbewegungen des Schauspielers übereinstimmen; semantisch muss es auch aufgehen. Da noch den Humor ebenbürtig rüberzubringen ist bestenfalls dritte Priorität und oftmals Glückssache. Zudem: Deutsch hat ein Humorproblem (nicht nur die Schweiz, wie Toggi mithilfe der watson-Userschaft ermittelte). Ja, hier dürft ihr mich ruhig anglozentrischer Kulturimperialist schimpfen; ist mir so lang wie breit.
Etwa: «Die Ritter der Kokosnuss» – bravo! Den ersten Witz schon im Titel verraten. Danke, Deutschland!
«Il buono, il brutto, il cattivo»
«The Good, the Bad and the Ugly»
«Le bon, la brute et le truand»
«El bueno, El malo y El feo» ...
... überall auf der Welt kann man auf drei zählen. Ausser im deutschsprachigen Raum.
Oder:
«Zwei abgewichste Profis» 🤦♀️
«Bube, Dame, König grAS» [sic!] 🤦♀️🤦♀️
«Ein ausgekochtes Schlitzohr» 🤦♀️🤦♀️🤦♀️
«Ich glaub' mich knutscht ein Elch!» 🤦♀️🤦♀️🤦♀️🤦♀️
Komm, vergiss' es.
Und spätestens jetzt sagen die einen, «Das mag alles stimmen, doch ich will nun mal draus kommen bei einem Film». Keine Sorge. Dafür sind UNTERTITEL da. «Aber dann lese ich nur noch Untertitel und schaue kaum noch auf das Bild.» Nochmals: keine Sorge. Deine Gehirnleistung kann problemlos beides gleichzeitig bewältigen. Bildgeschehen und Text gleichzeitig zu verarbeiten ist gar gutes Gehirntraining; kannst dir all' die Mental-Training-Apps gleich sparen.
Wie bitte? Ja, mitunter ist das etwas anstrengend. Streng dich also an. Da wurde eine Unmenge an Arbeit in den Streifen gesteckt; Drehbuchautoren, Regisseure, Schauspieler, Tontechniker und und und haben dafür gekrampft. Deren Leistung darf man ehren.
... dann mach' halt. Bloss kannst du nicht darüber urteilen, ob ein Film gut oder schlecht war, denn du hast nur den halben Film gesehen.
Weiterhin einen schönen Filmabend, allerseits! Ich zieh' mir jetzt «Parasite» rein.
Beziehungweise «기생충».