Im Ruhezustand sieht man Emily gar nicht an, wie stark sie ist. Sie schlurft gar ein bisschen, wenn sie durchs Büro geht, wahrscheinlich ein perfides Täuschungsmanöver, damit man glaubt, ha, die Emily, nicht mal genug Kraft, die Füsse anständig zu lupfen, die schlag ich im Armdrücken allemal.
Aber das tust du nicht.
Niemand tut das.
Emily ist die Stärkste von allen. Und es handelt sich dabei um eine überaus zwanglose Stärke. Eine, die sich auch bei grosser Anstrengung nicht im Gesicht zeigt.
Eine Stärke, die nicht antrainiert scheint, sondern irgendwo tief in ihren Genen sitzt. Von dort springt sie dann ganz plötzlich in das für den Kraftakt benötigte Glied und macht es im Nullkommanichts zu Stahl.
Emily ist ziemlich sicher schon so geboren worden. Darum fühlt sich die Passivkonstruktion an dieser Stelle auch irgendwie falsch an. Sie muss sich nämlich fast ein bisschen selbst zur Welt gebracht haben.
Ich will hier keineswegs die Leistung ihrer Mutter schmälern, aber ich kann es mir einfach nicht anders denken, als dass die kleine Baby-Emily sich vor ungefähr drei Jahrzehnten mit ihren starken Baby-Emily-Ärmlein durch den Geburtskanal gerobbt hat.
Sie könnte locker zwei Telefonbücher simultan zerreissen, wenn sie das wollte.
Aber fürs Bücherzerreissen haben wir uns heute gar nicht zusammengefunden. Ganz im Gegenteil. Hier wird nun ein ganz besonderes Druckwerk gnadenlos in den Himmel gelobt.
Es heisst:
«Emily explains the Swiss. An Outsider's Inside Look from Apéro to Zurich.» Oder zu Deutsch: «Emily erkärt die Schweiz. Helvetische Eigenheiten von Apéro bis Zürich.»
Ihr ahnt es. Eben unsere Emily hat diese erlesene Sammlung schweizerischer Besonderheiten in Wörterbuchform verfasst.
Warum Emily für so ein Unterfangen die Richtige ist, fragt ihr euch nun. Und – meiner sonderbaren Argumentationslinie folgend – weiter kritisch murmelnd:
Etwa nur, weil sie stark ist und zwei Telefonbücher simultan zerreissen könnte, wenn sie das wollte?
Nun.
Ja.
Schliesslich könnte sie mich rein kräftetechnisch heftigst vermöbeln, wenn ich nun behaupten würde, dass sie auch nach zwölf Jahren kanadischem Herumgeschlurfe auf Schweizer Boden die helvetische Seele leider noch immer nicht in ihrer Gänze verstanden hat.
Ich könnte ihr sagen, nur weil du schwingen und alphornblasen kannst, nur weil du Fünfliber und SBB-Billetautomaten magst, nur weil deine Altpapierbündel die formvollendetsten Bünzlitürme aller vergangenen und kommenden Zeiten sind und daherkommen wie Bestechungsgschenkli für den Bundesrat, auf dass der endlich mit deinem Roten Pass rausrückt, nur weil du mehr als ein Fondue gegessen hast, bist du noch lange keine Expertin in Sachen Schweizertum.
🎶 Ich gang mit miner Laterne und mini Laterne mit mir ... 🎶
Leider machen auch ca. 100 bis 1000 nackt gesehene Helvetinnen den ungesehenen Räbeliechtliumzug nicht wett.
Aber gut. Immerhin weiss Emily um die Heimtücken von Schweizer Bahnhofsuhren ...
Und kennt auch die der landläufigen Schnitzeljagd ...
Die detailreichsten Informationen aber hat sie über ihren Feind gesammelt. Sie kennt ihn, muss ihn kennen. Weil sie ihn fürchtet, weiss sie haargenau, wo er ihr überall auflauern kann ...
Dabei würde sie gewinnen, käme es zum Äussersten, da bin ich mir ziemlich sicher. Emily würde die Kuh im Zweikampf niederringen, mit diesen stärksten aller starken Arme.
Eventuell aber würde man ihr dann die Anstrengung schon auch ein bisschen im Gesicht ansehen.
Und ich hab auch ein Buch ... Ah, nein. Hmm ... Von wem Emily da bloss spricht in ihrer (Nicht-)Danksagung ...
«Ich möchte mich NICHT bei Maurice Thiriet bedanken, meinem Chef bei watson. Er hat mir jedes Mal, wenn ich dieses Projekt erwähnte, davon erzählt, wie eine andere Mitarbeiterin ebenfalls freigenommen hatte, um ein Buch zu schreiben und dieses nie fertiggestellt hat. Mo, das war sehr entmutigend.»