Saalbach hat uns alles gegeben. 13 Medaillen! Frisuren des Grauens! Gänsehaut-Gefühle! Apropos: Können wir hier vielleicht mal etablieren, was für ein Unsinn das mit der «Gänsehaut pur» ist? Weil damit ja eine gerupfte Gans gemeint ist, die sicher keine wohligen Schauer auf ihrer malträtierten Haut verspürt? Aber keine Angst: Gleich werden hier auch Tiere auftreten, denen keinerlei Leid zugefügt wird, im Gegenteil.
Es geht nämlich um die vielleicht herzigste Ski-WM-Geschichte von allen. Diejenige eines jungen Mannes, der es bis ganz an die Spitze schaffte. Die Geschichte vom Hafner Beni, der den WM-Ohrwurm lieferte und damit nun die österreichischen und deutschen Charts anführt und in der Schweiz auch schon auf Platz elf steht. Dabei hatte Saalbach doch gar nicht Benis «Wackelkontakt» als WM-Hymne vorgesehen, sondern was anderes, das rein gar niemandem im Gedächtnis geblieben ist (der offizielle Song muss einem göttlichen Texterhirn oder ChatGPT entsprungen sein, er heisst «Highs & Lows»).
«Wackelkontakt» beginnt komplett surreal, in einer Art Retro-Science-Fiction imaginiert sich ein Mensch als 70er-Jahre-Möbel, aber nicht als irgendeines, nein, als das erhabenste, weil erhellendste von allen, als eine Lampe nämlich. Und alle Après-Ski-Partys schreien:
Wär ich ein Möbelstück,
dann wär ich eine Lampe aus den Siebzigern
I glüh gern vor, i geh gern aus,
mir hauts die Sicherungеn naus.
So weit so nice, es geht dann auch ähnlich originell und harmlos weiter, der «Wackelkontakt» bezieht sich erstaunlicherweise auf keinerlei kopulierende Körperteile, eher auf ein ausgehtechnisches ADHS, weshalb auch ein herziger Kinderchor problemlos mitsingen kann.
Dabei kennt der Hafner Beni aus Bayern die schlechteste aller Unterhaltungsmusikwelten, den Ballermann, in- und auswendig: Er tritt dort gelegentlich auf und er hat auf Malle gelebt. Freiwillig. Allerdings bevor er Musiker wurde und sich den Künstlernamen «Oimara» (mit Betonung auf dem I) gab, der nicht aus einer Fantasy-Reihe oder Saudi-Arabien stammt, sondern «Almerer» bedeutet. Also Almbewohner. Älpler eben. Denn auf einer Alp ist er grossgeworden.
Heute ist Oimara 33 Jahre alt und die Alp ist Familiengeschichte, denn heute lebt er wieder «im Tal», in Tegernsee am Tegernsee, eine Luxustourismus-Gegend in Bayern. Mutter Steffi hat da im Bräustübl gearbeitet, Vater Stefan im Yachtclub. Als Beni – ein Einzelkind – sechs Jahre alt war, entschieden sich Steffi und Stefan, eine Alm-Beiz in der Nähe zu übernehmen, der Vater als Koch, die Mutter als Wirtin, ein bisschen Gourmet war ihnen wichtig, bis zu 200 Essen bereitete der Vater täglich in der Küche zu.
Die Gäste entsprachen der Gegend: Boris Becker war da und fand es urgemütlich, mit seinem Sohn eine Nacht lang auf der Eckbank im Gastraum zu übernachten. Doch die wichtigsten Gäste waren für die ganze Familie immer die Tiere: Zugelaufene, verletzte – ein Hirsch liess sich von ihnen gesundpflegen –, Hunde, Hausschweine, Ponys, Eichhörnchen, Raben, Siebenschläfer und ein Papagei, der auf Steffis Schulter sass, wenn sie servierte.
Für Beni war klar, dass er auch ins Gastgewerbe wollte, er war ein schlechter Schüler und mit 17 zog er nach Mallorca und machte ein hartes, aber erfolgreiches Praktikum bei einem Sternekoch. Danach studierte er vier Jahre lang Hotelmanagement. Doch irgendwann, er ging auf Mitte zwanzig zu, beschloss er, sich ganz der ältesten seiner Lieben zu widmen. Der Musik. Auch da kam ihm die Gegend entgegen, er trat im elterlichen Gasthaus vor potentem Publikum auf, es folgten Einladungen auf Promi-Geburtstage, auf kleinere und immer grössere Festivals. Sein kleiner Durchbruch war 2018 «Bierle in da Sun», eine gechillte Indie-Pop-Trinker-Hymne.
2019 stiegen die Eltern aus dem Gastgewerbe aus, der Vater stand kurz vor dem Burnout, bauten ihre Beiz zu einem Wohnhaus um und verbrachten – lange unterbrochen durch Corona – viel Zeit auf den Auftritten des Sohnes, der sich zu einem komplexen Scherzkeks entwickelte und immerzu sich selbst, den Musikbetrieb, die Popkultur und seine Liebsten auf den Arm nahm. In Anlehnung an Eminems Mutter-Hass-Nummer «Cleanin' Out My Closet» schrieb er «Es duad ma leid Mama» und entschuldigte sich darin für einen besoffenen TV-Auftritt.
«Cocktailschirm im Arsch» ist der Meta-Ballermann-Hit, «Wannabe» veralbert alle Möchtegern-DJ-Antoines («rich» reimt sich da richtigerweise auf «Kitsch»). Und seine langjährige Liebe Kathi, die er in einem Club namens Quantum kennengelernt hat, wird in dem an alte Russendiscos erinnernden Song «Disco Kathi» verewigt. Der Club Quantum seinerseits wurde mit dem Bond-Film «Ein Quantum Trost» gemixt und zum Album-Titel «Ein Quantum Prost». «Busheislparty» (Bushäuschen-Party) ist sowas wie Oimaras «Hippie-Bus».
Neben «Wackelkontakt» am dadaistischsten ist das «Zebrastreifenpferd», wo der Nonsense-Frage nachgegangen wird, ob es zuerst das Zebra oder den Zebrastreifen gegeben habe. Auch dies eine Nummer im hochgepumpten Ballermann- oder Après-Ski-Sound, bei dem man schlicht und besoffen mitlallen kann. Und so weiter.
Reggae, Rap, Pop, Schlager, Volksmusik, Impro – alles hat Platz bei Oimara, alles interessiert ihn, alles kann er, nur Noten lesen kann er nicht, ein Sprachkünstler ist er eh, die Bayern sagen, er erinnere sie an den Münchner Komiker Karl Valentin, aber das sagen die Bayern immer, wenn jemand halbwegs schlau und lustig ist. Bier ist sein poetisches Benzin, jedenfalls in der Theorie.
Und falls sich jemand fragt, wie es bei aller Liebe zum Bier, zur Lederhose, zum Oktoberfest, zum «Gipfelkreiz» und zum Tegernsee denn eigentlich politisch so steht: okay. «Es sitzt ein Depp im Weissen Haus», der klassische, textlich in Teilen leicht spätpubertäre Protestsong, den er 2016 zu Trumps erstem Amtsantritt lieferte, steht immer noch wie ein alter Fels auf seinem YouTube-Kanal.