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Schriftliches Urteil: Darum wurde der Mörder von Rupperswil nicht lebenslang verwahrt

Schriftliches Urteil: Darum wurde der Mörder von Rupperswil nicht lebenslang verwahrt

Thomas N. wurde am 16. März 2018 wegen des Vierfachmords in Rupperswil AG zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe und einer ordentlichen Verwahrung verurteilt. Nun liegt das 161-seitige Urteil vor. Es liefert neue Erkenntnisse zur juristischen Einordnung der unfassbaren Tat.
22.08.2018, 14:45
Andreas Maurer / az Aargauer Zeitung
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QUALITY REPEAT --- Thomas N., left, and his public defender Renate Senn, right, at the pronouncement of judgement for the quadruple murder of Rupperswil at the district court Lenzburg in Schafisheim ( ...
Thomas N. während der Gerichtsverhandlung.Bild: KEYSTONE

Staatsanwältin Barbara Loppacher dürfte sich freuen bei der Lektüre der 161 Seiten umfassenden Urteilsbegründung zum Fall Rupperswil. An der Gerichtsverhandlung im März verlangte sie für Thomas N., den Vierfachmörder von Rupperswil, neben einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe auch eine lebenslängliche Verwahrung.

Barbara Loppacher, Leitende Staatsanwaeltin der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau, informiert wahrend der Medienkonferenz zum Toetungsdelikt Rupperswil vom 21. Dezember 2015, am Donnerstag, 18. Februa ...
Staatsanwältin Barbara Loppacher.Bild: KEYSTONE

Eine Voraussetzung dafür ist, dass zwei Gutachter dem Täter eine Untherapierbarkeit attestieren. Doch die aufgebotenen Psychiater gaben beide an, er sei sehr wohl therapierbar. In ihrem Plädoyer versuchte Loppacher, die Gutachter zu umgehen, indem sie deren Widersprüche aufzeigte und eine eigene Diagnose formulierte.

«Der erklärte Wille des Gesetzgebers war es, dass auch psychisch gesunde bzw. nicht gestörte Täter verwahrt werden können, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind.»

Sie sagte, der Täter habe keine psychische Störung, folglich sei er nicht therapierbar und könne lebenslänglich verwahrt werden. Für diesen juristischen Kniff wurde sie von Rechtsexpertinnen kritisiert und sie unterlag damit vor Gericht. Es ordnete lediglich eine ordentliche Verwahrung an.

epa06608269 A drawing shows public prosecutor Barbara Loppacher (L) during the pronouncement of judgement for the quadruple murder of Rupperswil at the district court Lenzburg in Schafisheim (AG), Swi ...
Urteilsverkündung am 16. März 2018 in Schafisheim AG.Bild: EPA/KEYSTONE

Das schriftliche Urteil zeigt nun, dass die Staatsanwältin mehr Erfolg hatte als bisher bekannt war. Sie schaffte es immerhin, eine Minderheit des fünfköpfigen Gerichts «vollumfänglich» zu überzeugen. Die unterlegenen Bezirksrichter verweisen im Kapitel, in dem sie ihre Minderheitsmeinung darlegen, auf die Botschaft des Bundesrats von 2005 zur Umsetzung der Verwahrungsinitiative und schreiben: «Der erklärte Wille des Gesetzgebers war es, dass auch psychisch gesunde bzw. nicht gestörte Täter verwahrt werden können, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind.»

«Angesichts der selten anzutreffenden Brutalität der Tathandlung neigt man schnell dazu, beim Täter eine krankhafte Störung zu vermuten, weil sich die Tat weit ausserhalb von dem bewegt, was wir mit Hilfe unserer Alltagserfahrung einzuordnen fähig sind.»
Psychiater Josef Sachs

Wie die Staatsanwältin weisen die Richter auf die Widersprüche der Psychiater hin. Doch sie kritisieren diese nicht, sondern bringen sogar Verständnis dafür auf: «Diese Unsicherheit der beiden überaus renommierten Gutachter lässt sich mit der Einzigartigkeit des Falles ohne Weiteres erklären.» So habe Psychiater Josef Sachs selber darauf hingewiesen, eine Prognose sei schwierig, da keine Vergleichsmöglichkeiten bestünden.

Die Richter zitieren eine weitere Passage aus Sachs‘ Gutachten: «Angesichts der selten anzutreffenden Brutalität der Tathandlung neigt man schnell dazu, beim Täter eine krankhafte Störung zu vermuten, weil sich die Tat weit ausserhalb von dem bewegt, was wir mit Hilfe unserer Alltagserfahrung einzuordnen fähig sind.» Gefährlich werde diese Denkweise dann, wenn man im Anschluss versuche, aus der angeblichen krankhaften Störung die Tat zu erklären.

Die Chronologie des Vierfachmords von Rupperswil

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Die Chronologie des Vierfachmords von Rupperswil
21. Dezember 2015: Kurz vor Mittag wird die Feuerwehr zu einem Brand in einem Einfamilienhaus in Rupperswil gerufen. Im Innern des Hauses finden die Feuerwehrleute vier Leichen. Es stellt sich heraus, dass die Opfer Stich- und Schnittverletzungen aufweisen. Der Brand wurde absichtlich gelegt. Die Polizei geht von einem Tötungsdelikt aus.


quelle: keystone / patrick b. kraemer
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Nicht therapierbar, weil nicht gestört

Diese Aussagen des Psychiaters müssten aus juristischer Warte gewertet werden, argumentieren die unterlegenen Richter. Ihr Fazit: «Aus den genannten Gründen kommt die Minderheit des Gerichts zum Schluss, dass die Vierfachtötung letztlich nicht auf eine psychische Störung zurückzuführen ist.» Folglich sei kein Behandlungsbedürfnis gegeben, Thomas N. sei nicht therapierbar. Es sei eine lebenslängliche Verwahrung anzuordnen.

Die Mehrheit des Lenzburger Bezirksgerichts sieht das anders. Dazu gehört auch mindestens ein SVP-Richter. Denn das Gericht setzt sich aus drei Abgeordneten der SVP und je einem Vertreter von SP und CVP zusammen. Die SVP hatte als einzige Partei die Verwahrungsinitiative unterstützt.

Richter kritisieren Staatsanwältin

Die Mehrheit des Bezirksgerichts argumentiert, das Bundesgericht setze für die Anordnung der lebenslänglichen Verwahrung einen hohen Massstab an und fordere in Bezug auf die dauerhafte Untherapierbarkeit eine ausdrückliche Äusserung der zwei Gutachter, dass der Täter ein Leben lang auf Behandlungen nicht ansprechen werde. «Es ist nicht davon auszugehen, dass diese hohen Hürden betreffend Deutlichkeit der gutachterlichen Aussagen nicht auch für den vorliegenden Fall gelten sollen», heisst es nun in der Urteilsbegründung. Zudem kritisieren die Richter das Vorgehen der Staatsanwältin. So hätte sie die Gutachter in der Befragung mit ihren Argumenten konfrontieren sollen.

Gerichtsverhandlung Vierfachmord Rupperswil

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Gerichtsverhandlung Vierfachmord Rupperswil
Geleitet wird die Verhandlung, die volle vier Tage von Dienstag bis Freitag dauern soll, vom Bezirksgerichtspräsidenten Daniel Aeschbach. (Bild: HO)
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Trotz ihrer teilweisen Niederlage hatte sich Staatsanwältin Loppacher direkt nach der Urteilsverkündigung in einer ersten Reaktion zufrieden geäussert. Es sei ein «gutes Urteil», das Gericht habe ein «klares Zeichen» gesetzt. Nun hat sie – wie die Verteidigerin von Thomas N. – zwanzig Tage Zeit, um beim Obergericht Berufung zu erklären. Dann könnte sie ein noch deutlicheres Zeichen verlangen. (aargauerzeitung.ch)

Aktuelle Polizeibilder

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Aktuelle Polizeibilder: Lagergebäude durch Brand beschädigt
2.3.2020, Bremgarten (AG): Mehrere Feuerwehren rückten nach Bremgarten aus, nachdem ein Brand in einer Liegenschaft ausgebrochen war. Personen wurden keine verletzt. Die Kantonspolizei hat die Ermittlungen aufgenommen.
bild: kapo Aargau
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Die Übergriffe auf die Polizei steigen jährlich

Video: srf
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38 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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satyros
22.08.2018 15:29registriert August 2014
Es geht in der Rechtsprechung nicht darum "Zeichen zu setzen", sondern das geltende Recht anzuwenden.
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