Staatsanwältin Barbara Loppacher dürfte sich freuen bei der Lektüre der 161 Seiten umfassenden Urteilsbegründung zum Fall Rupperswil. An der Gerichtsverhandlung im März verlangte sie für Thomas N., den Vierfachmörder von Rupperswil, neben einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe auch eine lebenslängliche Verwahrung.
Eine Voraussetzung dafür ist, dass zwei Gutachter dem Täter eine Untherapierbarkeit attestieren. Doch die aufgebotenen Psychiater gaben beide an, er sei sehr wohl therapierbar. In ihrem Plädoyer versuchte Loppacher, die Gutachter zu umgehen, indem sie deren Widersprüche aufzeigte und eine eigene Diagnose formulierte.
Sie sagte, der Täter habe keine psychische Störung, folglich sei er nicht therapierbar und könne lebenslänglich verwahrt werden. Für diesen juristischen Kniff wurde sie von Rechtsexpertinnen kritisiert und sie unterlag damit vor Gericht. Es ordnete lediglich eine ordentliche Verwahrung an.
Das schriftliche Urteil zeigt nun, dass die Staatsanwältin mehr Erfolg hatte als bisher bekannt war. Sie schaffte es immerhin, eine Minderheit des fünfköpfigen Gerichts «vollumfänglich» zu überzeugen. Die unterlegenen Bezirksrichter verweisen im Kapitel, in dem sie ihre Minderheitsmeinung darlegen, auf die Botschaft des Bundesrats von 2005 zur Umsetzung der Verwahrungsinitiative und schreiben: «Der erklärte Wille des Gesetzgebers war es, dass auch psychisch gesunde bzw. nicht gestörte Täter verwahrt werden können, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind.»
Wie die Staatsanwältin weisen die Richter auf die Widersprüche der Psychiater hin. Doch sie kritisieren diese nicht, sondern bringen sogar Verständnis dafür auf: «Diese Unsicherheit der beiden überaus renommierten Gutachter lässt sich mit der Einzigartigkeit des Falles ohne Weiteres erklären.» So habe Psychiater Josef Sachs selber darauf hingewiesen, eine Prognose sei schwierig, da keine Vergleichsmöglichkeiten bestünden.
Die Richter zitieren eine weitere Passage aus Sachs‘ Gutachten: «Angesichts der selten anzutreffenden Brutalität der Tathandlung neigt man schnell dazu, beim Täter eine krankhafte Störung zu vermuten, weil sich die Tat weit ausserhalb von dem bewegt, was wir mit Hilfe unserer Alltagserfahrung einzuordnen fähig sind.» Gefährlich werde diese Denkweise dann, wenn man im Anschluss versuche, aus der angeblichen krankhaften Störung die Tat zu erklären.
Diese Aussagen des Psychiaters müssten aus juristischer Warte gewertet werden, argumentieren die unterlegenen Richter. Ihr Fazit: «Aus den genannten Gründen kommt die Minderheit des Gerichts zum Schluss, dass die Vierfachtötung letztlich nicht auf eine psychische Störung zurückzuführen ist.» Folglich sei kein Behandlungsbedürfnis gegeben, Thomas N. sei nicht therapierbar. Es sei eine lebenslängliche Verwahrung anzuordnen.
Die Mehrheit des Lenzburger Bezirksgerichts sieht das anders. Dazu gehört auch mindestens ein SVP-Richter. Denn das Gericht setzt sich aus drei Abgeordneten der SVP und je einem Vertreter von SP und CVP zusammen. Die SVP hatte als einzige Partei die Verwahrungsinitiative unterstützt.
Die Mehrheit des Bezirksgerichts argumentiert, das Bundesgericht setze für die Anordnung der lebenslänglichen Verwahrung einen hohen Massstab an und fordere in Bezug auf die dauerhafte Untherapierbarkeit eine ausdrückliche Äusserung der zwei Gutachter, dass der Täter ein Leben lang auf Behandlungen nicht ansprechen werde. «Es ist nicht davon auszugehen, dass diese hohen Hürden betreffend Deutlichkeit der gutachterlichen Aussagen nicht auch für den vorliegenden Fall gelten sollen», heisst es nun in der Urteilsbegründung. Zudem kritisieren die Richter das Vorgehen der Staatsanwältin. So hätte sie die Gutachter in der Befragung mit ihren Argumenten konfrontieren sollen.
Trotz ihrer teilweisen Niederlage hatte sich Staatsanwältin Loppacher direkt nach der Urteilsverkündigung in einer ersten Reaktion zufrieden geäussert. Es sei ein «gutes Urteil», das Gericht habe ein «klares Zeichen» gesetzt. Nun hat sie – wie die Verteidigerin von Thomas N. – zwanzig Tage Zeit, um beim Obergericht Berufung zu erklären. Dann könnte sie ein noch deutlicheres Zeichen verlangen. (aargauerzeitung.ch)