Der Lehrvertrag ist unterschrieben. Doch Abdul Wasi Kadir steht nicht in der Küche des Restaurants Schützen in Aarau, so gerne er das auch würde. Er darf seine Lehrstelle als Koch nicht antreten. Der 19-jährige Äthiopier hat ein generelles Arbeitsverbot.
Daran ändert auch nichts, dass er bei einem fünftägigen Praktikum mit seinem Einsatz zu überzeugen vermochte und sich Wirt Peter Schneider für ihn einsetzte. «Herr Kadir ist sehr freundlich, aufnahmefähig, lernbegierig und intelligent», schrieb er dem kantonalen Migrationsamt. Vergeblich.
Der Entscheid bedeutet für den jungen Mann: Nothilfe von 7.50 Franken im Tag statt Lehrlingslohn von 1020 Franken pro Monat, Schule für unbegleitete minderjährige Asylsuchende statt Berufsschule, untätig in der Unterkunft sitzen statt arbeiten in der Küche.
Abdul Wasi Kadir muss in sein Heimatland zurück, sein Asylgesuch wurde abgelehnt. Wem eine Ausreisefrist gesetzt ist, dem ist es nicht erlaubt, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, so schreibt es das Asylgesetz vor. Eine Lehre gilt als Erwerbstätigkeit und ist deshalb verboten; der Besuch einer Schule hingegen wäre möglich.
Spielraum bestehe nicht, heisst es beim kantonalen Migrationsamt. Die Kantone könnten sich nicht darüber hinwegsetzen. «Der Kanton verfügt hier über kein Ermessen», bestätigt Idil Abdulle, Sprecherin des Staatssekretariats für Migration (SEM). «Für abgewiesene Asylsuchende besteht folglich keine Möglichkeit, zu arbeiten beziehungsweise eine Lehre zu absolvieren, auch wenn ein Lehr- oder Arbeitsvertrag vorliegt.» Eine Rückkehr nach Äthiopien hält das SEM für möglich.
Doch der 19-Jährige befürchtet Repressionen, weil er sich politisch für die Oromo-Bewegung engagiert. Gegen deren Vertreter geht die Regierung mit aller Härte vor. Amnesty International berichtet von willkürlichen Festnahmen, Folter und anderen Misshandlungen sowie unfairen Gerichtsprozessen. Familienmitglieder wurden verhaftet, Kadir selbst sass als Jugendlicher vorübergehend hinter Gittern.
Auch beim SEM weiss man von Menschenrechtsverletzungen, hält aber fest: «Gemäss allgemein zugänglichen Informationen betreibt die äthiopische Regierung keine Politik der gezielten Verfolgung der Oromo.»
Diesen Sommer entschied allerdings das Bundesverwaltungsgericht im Fall eines abgewiesenen Landsmanns, der sich ebenfalls mit seinem politischen Engagement exponiert hat, seine Furcht vor Repression sei begründet. Der Mann wird deshalb vorläufig aufgenommen.
Welche Folgen das Urteil für Abdul Wasi Kadir haben könnte, ist ungewiss. Weil er nicht arbeiten darf, verbringt er seine Tage in der Unterkunft oder in der Schule für unbegleitete minderjährige Asylsuchende als Schüler und Hilfslehrer.
Unterrichtet wird er dort von Benno Straumann, der über die verbotene Lehre sagt: «Es ist fatal, dass ihm jene Ausbildung verwehrt wird, die ihm am meisten Optionen für die Zukunft bieten würde.» Straumann sind weitere ähnliche Fälle bekannt. «Abdul Wasi Kadir ist einer von vielen Jugendlichen, die keine Ausbildung machen können, aber wahrscheinlich noch lange hier bleiben werden. Das wird zu einem sozialen Problem, wenn wir es nicht bald lösen.»
Straumann spricht von einem grundlegenden Fehler im System. Der Kanton halte sich an die geltenden Gesetze, dennoch habe er auf ein Schlupfloch gehofft, schliesslich komme es allen zugute, wenn junge Leute wie Abdul Wasi Kadir ihren Lebensunterhalt selbst verdienten und nicht von Nothilfe abhängig seien. Eine Ausbildung sei auch eine wertvolle Rückkehrhilfe, wenn sich die Verhältnisse in Äthiopien ändern und er in die Heimat zurückkehren kann.
Die Hoffnung hat Kadir noch nicht aufgegeben, trotz verpasster Lehre. Inzwischen hat er in einer Zahnarztpraxis geschnuppert – und überzeugt. «Wir waren begeistert von ihm», heisst es aus der Praxis, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sollte nächstes Jahr eine Lehrstelle verfügbar sein, würde man ihm dort gerne eine Chance geben. Der 19-Jährige glaubt weiter daran, dass seine Zukunftswünsche in Erfüllung gehen: «Erst eine Ausbildung, dann eine Arbeit.» (aargauerzeitung.ch)