Das Schweizer Stimmvolk will das Transplantationsgesetz ändern: Am Sonntag sagten 60,2 Prozent Ja zur Widerspruchslösung. In Zukunft muss also explizit festhalten, wer seine Organe nicht spenden will. Ist nichts festgehalten, geht man von der Zustimmung des oder der Verstorbenen aus.
Das Ja-Komitee hat sich am Sonntag im Restaurant Clé de Berne versammelt, gegenüber vom Berner Hauptbahnhof. Neben der hölzernen Eingangstür prangert ein Plakat, auf dem steht: «Ich möchte meine Kinder aufwachsen sehen. Diana, 36, wartet auf eine Niere.»
Diana Ferreira sitzt drinnen an einem der weiss gedeckten Tische und beobachtet ihre beiden Kinder beim Zeichnen. Sie ist das Gesicht auf dem Plakat. «Mit dem heutigen Tag passiert ein grosser Schritt für alle Betroffenen», sagt die 37-Jährige. In Zukunft werde es nun mehr Spendeorgane geben. Davon ist sie überzeugt.
Als sie für die Kampagne Model stand, wartete sie seit zweieinhalb Jahren auf ein Spenderorgan. Eine Schwangerschaftsvergiftung im Jahr 2013 führte dazu, dass Ferreiras Nierenfunktion auf 15 Prozent sank. Ihre Tochter und ihren Sohn, vier- und siebenjährig, konnte sie nur unter strenger ärztlicher Kontrolle und Medikation gesund zur Welt bringen.
Am 14. März 2022 war es dann so weit. «Um elf Uhr abends rief mich das Spital St.Gallen und sagte: ‹Frau Ferreira, es gibt eine Niere für sie. Sie können kommen.› Ich wusste nicht, was sagen. Ich war sprachlos.»
Um die Familie Ferreira herrscht Tumult. Mitwirkende der Pro-Kampagne unterhalten sich mit Politikerinnen wie SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen oder GLP-Nationalrat Jörg Mäder. Sie stossen an auf den Sieg an, auf das «Ja zum Leben», wie Swisstransplant-Präsident Franz Immer später sagen wird.
Aline Berthoud freut sich auch über das Ja, selbst wenn es ihre Situation nicht mehr verändern wird. Ihr Ehemann ist vor dreieinhalb Jahren mit zystischer Fibrose gestorben. Wegen der Stoffwechselerkrankung hätte er bereits die zweite Spenderlunge gebraucht. Doch er verstarb während der Abklärung.
«Im Juni haben wir noch seinen 20. Lungen-Geburtstag gefeiert», erzählt Berthoud lächelnd. Einen Monat später verschlechterte sich sein Zustand. Ein grippaler Infekt führte dazu, dass Berthouds Mann nicht mehr genügend Luft bekam und die Ärzte das künstliche Koma einleiteten. Nach zehn Tagen im Koma wachte er wieder auf. «Ich weiss noch, wie er mich anschaute und sagte: ‹Ich kann nicht mehr›.»
Berthoud beschloss, dass es Zeit für den Abschied war. «Ich wusste, Phippo wollte das nicht.» Sein Körper stiess seine Spenderlunge ab, es war nicht klar, ob eine neue mit Erfolg transplantiert werden könnte. «Wir haben früh darüber gesprochen, wie und wann er sterben will. Das hat mir extrem geholfen.»
Wie wichtig es für Angehörige ist, den Willen der sterbenden Person zu kennen, weiss Berthoud auch wegen ihres Berufes. Die gelernte Pflegefachfrau kümmert sich für das Schweizerische Rote Kreuz um Patientenverfügungen und war früher in der Palliativmedizin tätig.
Ob mit der Widerspruchslösung jetzt nicht das Gegenteil passiere und Angehörige noch stärker verunsichert sind, verneint Berthoud. Sie kenne eher Leute, die spenden wollen, aber keinen Ausweis haben. «Wer wirklich nicht spenden will, soll den dafür nötigen Schritt machen.»
Auch Patrizia Manolio findet es wichtig, dass sich jede und jeder mit dem Thema Organspende auseinandersetzt. Denn: «Es kann jeden treffen.»
Vor zehn Jahren liess sich Manolio auf die Warteliste für eine Niere setzen. Sie hatte Knochenkrebs im Endstadium und wegen der Chemotherapien versagten irgendwann die Nieren. Vier Jahre lang wartete die heute 38-Jährige auf eine Spende. Zwei Sachen fand sie während dieser Zeit am belastendsten. «Einerseits muss man immer erreichbar sein, falls der Anruf vom Spital kommt. Zum anderen ist diese Ungewissheit und das Gefühl, ausgeliefert zu sein, extrem unangenehm.»
Eines Tages kam der langersehnte Anruf. Aber Manolio konnte sie nicht operieren lassen. «Es ging mir zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich extrem schlecht, deshalb konnte ich das Organ nicht annehmen. Das fühlte sich sehr fies an.»
Am Ende war es dann Manolios Schwester, die ihr eine Niere gespendet hat. Ein grosser Eingriff, den sie ihr gerne erspart hätte. «Mich machte es traurig, dass man sich mit der Alternative einer Lebensspende auseinandersetzen muss, weil die Warteliste so lang ist.»
Seit sechs Jahren lebt Manolio mit einer gesunden Niere. Der Aussage, dass ein Organ nur lebensverlängernd, aber nicht -verbessernd sei, widerspricht sie. «Ich führe heute ein normales Leben. Klar, ich muss Medikamente nehmen, aber das ist nichts mehr im Vergleich zu früher, als ich zweimal pro Woche zur Dialyse, zur Blutwäsche musste.»
Auch Aline Berthoud ist froh, dass ihr Mann seine erste Spenderlunge erhielt. Er habe bereits mit 27 Jahren mit seinem Leben abgeschlossen und als er dann das neue Organ bekam, nahm seine Geschichte eine Wende. Er lernte ein Jahr später seine Frau kennen, heiratete in Hawaii, lebte vier Jahre dort und wurde Vater von zwei Töchtern. «Er hat unsere Kinder abgöttisch geliebt», erinnert sich Berthoud. Obwohl sie seinen sturen Kopf geerbt hätten, ergänzt sie lachend. «Ich bin dankbar, dass er mir diese Zeit geschenkt hat.»
Als Mensch, der das Glück hatte, nach über 600 Tagen Wartezeit und einigen notfallmässigen Spitalbesuchen im Jahr 2020 dank einer Organspende ein neues Leben zu erhalten, wünsche ich auch allen Betroffenen das gleiche Glück und hoffentlich, nach dieser positiven Entscheidung, eine kürzere Wartezeit, denn je gesünder man noch ist, wenn man das neue Organ erhält, desto besser stehen die Chancen.
Mir fehlt aber beim Artikel und den Personen etwas das Einfühlungsvermögen.
Bei den Spender handelt es sich meistens um Unfalltote. Bei jeder Spende wurde also ein gesunder Mensch tragisch aus dem Leben gerissen.