
Jung gegen Alt? Kampagne der «AHVplus»-Initianten.Bild: KEYSTONE
Die Altersvorsorge
spaltet die Generationen. Die Älteren wollen mehrheitlich das
heutige System bewahren oder sogar aufstocken. Das ärgert die Jungen, sie sind teilweise für radikale Reformen.
09.09.2016, 11:1812.09.2016, 09:59

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An Weihnachten
bekommen Kinder von ihren Grosseltern häufig ein Couvert mit Geld.
Bei der Altersvorsorge hingegen herrscht verkehrte Welt. Hier «beschenken» die Jungen die Alten. So schilderte es die
grünliberale Berner Nationalrätin Kathrin Bertschy an der
Medienkonferenz des Komitees gegen die Volksinitiative «AHVplus».
Das Ungleichgewicht bei den Sozialwerken führe dazu, dass nicht der
Enkel einen Weihnachtsbatzen bekommt, sondern «dem Grossvater unter
dem Tannenbaum noch ein zusätzliches Tausendernötli zusteckt».
Und das jedes Jahr.
Bertschy ist 37
Jahre alt, sie gehört nach heutigen Massstäben zur jüngeren
Generation. Bei dieser wächst der Unmut über die Altersvorsorge.
Die Jungen haben das Gefühl, sie müssten immer mehr für die Alten
zahlen, die immer länger ihre Renten beziehen. Weil die Babyboomer
in den nächsten Jahren in Pension gehen, wird dieses
Ungleichgewicht weiter zunehmen. Weshalb die Jungen davon ausgehen,
dass sie länger arbeiten und weniger bekommen werden.

Medienkonferenz des Nein-Komitees mit Kathrin Bertschy (Mitte).Bild: KEYSTONE
Die «AHVplus»-Initiative, die eine pauschale Erhöhung der AHV um
zehn Prozent fordert, ist für Kathrin Bertschy deshalb «eine
unverantwortliche Giesskanne, die auf das Kreditkonto der Jungen
gebucht wird». Von keiner Seite ist der Widerstand gegen die
Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), über die am
25. September abgestimmt wird, so heftig wie vom Nachwuchs der
grossen Parteien – zumindest jenen, die zum Mitte-rechts-Spektrum
zählen.
«Rentenbeschiss» oder «Angstmacherei»?
Sechs bürgerliche
Jungparteien führen eine gemeinsame Nein-Kampagne unter dem Motto «Rote Karte für den Rentenbeschiss». Die Junge CVP betont in
einer Mitteilung, man werde sich «gegen solche unsolidarische
Initiativen gegen Junge» künftig wehren. Auch die Operation Libero
bezieht Position gegen die Initiative und «Rentengeschenke, die in
Zukunft nicht mehr finanzierbar sind».
Das sei «Angstmacherei, geschürt von den Banken und Versicherungen»,
kontert Doris Bianchi. Sie ist beim SGB zuständig für die
Sozialpolitik. Die Behauptung, die Jungen müssten für die Alten
zahlen, sei «total falsch». Sie profitierten vielmehr davon, wenn
es ihren Eltern finanziell gut gehe, sagt Bianchi. Die «AHVplus»-Initiative wolle das Rentenniveau sichern: «Es ist
viel gescheiter, wenn dies bei der AHV geschieht statt bei den
Pensionskassen, und zwar auch für die Jungen.»
Wie tief der «Rentengraben» zwischen den Generationen heute ist, zeigen die
Umfragen zu «AHVplus». Laut jener von Tamedia will nur ein
Drittel der 18- bis 34-Jährigen mit Ja stimmen. Bei den
Stimmberechtigten über 50 Jahren sind es zwei Drittel und mehr. Ein
ähnliches Bild ergibt die erste SRG-Trendumfrage des Instituts GFS
Bern. Die Generation der Rentnerinnen und Rentner will die Initiative
mehrheitlich annehmen, die Befragten unter 40 Jahren sind dagegen.
Gegen «halbherzige Rentenreform»
Dabei ist die
Initiative nur ein «Kriegsschauplatz». In der Woche nach der
Abstimmung debattiert der Nationalrat über die Altersvorsorge 2020.
Die Beschlüsse der zuständigen Kommission haben bereits für Wirbel
gesorgt. Und die bürgerlichen Jungparteien würden noch weiter gehen. Die Jungfreisinnigen haben ein
Positionspapier zur Altersvorsorge verabschiedet, in dem sie unter
anderem ein flexibles Rentenalter und die freie Pensionskassenwahl
fordern.
Die Junge CVP
reagierte im Frühjahr geharnischt auf das negative Jahresergebnis
der AHV. Die Renten der Jungen seien in Gefahr, deshalb komme eine
halbherzige Rentenreform «für die Junge CVP nicht in Frage». Es
sei ein Fehler, elementare Veränderungen im Rentensystem nicht
anzupacken, «nur um ein positives Abstimmungsresultat
herbeizuführen». Die vom Ständerat beschlossene Rentenerhöhung
um 70 Franken sei «im Nationalrat unverzüglich zu korrigieren».
Diese Forderung ist
pikant, denn es waren die CVP-Ständeräte, die den 70 Franken zum
Durchbruch verhalfen. Auch im Nationalrat bemüht sich die CVP um
einen Kompromiss. JCVP-Präsident Tino Schneider tritt deshalb im
Gespräch mit watson auf die Bremse: «Für die Junge CVP ist es
zentral, dass die Vorlage durchkommt, als erster Schritt zu weiteren
Reformen. Deshalb sind wir zu Konzessionen bereit. Ein Scheitern der
Reform wäre der Worst Case.»
«Es ist die grosse Aufgabe der Jungparteien, die Notwendigkeit von Reformen aufzuzeigen.»
Tino Schneider, Präsident JCVP
In diesem Punkt
bestehe eine Differenz zu Jungfreisinnigen und Junger SVP, räumt
Schneider ein. Wobei er sich einen Seitenhieb an die Adresse des
SVP-Nachwuchses nicht verkneifen kann: «Für mich ist es
unverständlich, dass die JSVP auf ihren radikalen Forderungen
beharrt. Die Wähler der SVP haben Reformen bei der Altersvorsorge
immer abgelehnt.»
Tatsächlich bildet
die SVP-Basis einen wesentlichen Teil der Allianz der
Besitzstandwahrer. Sie sorgte dafür, dass selbst die relativ
moderate BVG-Revision 2010 trotz aufwändiger Ja-Kampagne (man
erinnert sich an die Kuchen-Sujets) mit 73 Prozent Nein nicht abgelehnt, sondern massakriert wurde. Weshalb die neoliberalen
SVP-Parlamentarier bei der Altersvorsorge 2020 herumeiern und selbst
die FDP bemüht ist, eine mehrheitsfähige Vorlage zu zimmern.
Bei den Jungen
sorgen diese Perspektiven für zusätzlichen Frust. Sie haben das
Gefühl, gegen eine Mauer anrennen zu müssen. Dies
bildet einen Nährboden für radikale Forderungen wie die
Entpolitisierung der Altersvorsorge. AHV-Alter sowie Umwandlungssatz und
Mindestverzinsung bei den Pensionskassen sollen den Regeln der
Mathematik unterliegen und nicht mehr dem Volkswillen. Selbst die
Abschaffung der AHV ist für manche denkbar.
«Zum Glück gibt es die AHV.»
Doris Bianchi, SGB-Sekretärin
Ein EU-Beitritt der Schweiz samt Übernahme des Euro dürfte weit grössere Chancen haben als derartige Forderungen. Zu stark sind die
Profiteure des heutigen Systems. Und die AHV ist in der Schweiz
ohnehin ein säkulares Heiligtum. «Zum Glück gibt es die AHV»,
sagt Doris Bianchi vom SGB. Man müsste sonst viel stärker privat
vorsorgen, und das werde gerade für die Jungen sehr teuer: «Sie
müssten mindestens doppelt so hohe Beiträge zahlen wie heute.»
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© KEYSTONE/AYSE YAVAS
Für die Jungen gibt
es viel zu tun, wenn sie die Allianz der Bewahrer knacken wollen. «Es
ist die grosse Aufgabe der Jungparteien, die Notwendigkeit von
Reformen aufzuzeigen», sagt JCVP-Präsident Tino Schneider.
Zwei
Massnahmen stehen für den Bündner im Vordergrund. Einmal müsse man
die Jungen aufrütteln und zum Urnengang motivieren. Und zum anderen
müsse man darlegen, dass es Reformen brauche, weil sonst grosse
Einschnitte nötig sein werden: «Das ist unser bestes Argument.
Wenn nichts geschieht, wird das System irgendwann implodieren.»
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