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An Weihnachten bekommen Kinder von ihren Grosseltern häufig ein Couvert mit Geld. Bei der Altersvorsorge hingegen herrscht verkehrte Welt. Hier «beschenken» die Jungen die Alten. So schilderte es die grünliberale Berner Nationalrätin Kathrin Bertschy an der Medienkonferenz des Komitees gegen die Volksinitiative «AHVplus».
Das Ungleichgewicht bei den Sozialwerken führe dazu, dass nicht der Enkel einen Weihnachtsbatzen bekommt, sondern «dem Grossvater unter dem Tannenbaum noch ein zusätzliches Tausendernötli zusteckt». Und das jedes Jahr.
Bertschy ist 37 Jahre alt, sie gehört nach heutigen Massstäben zur jüngeren Generation. Bei dieser wächst der Unmut über die Altersvorsorge. Die Jungen haben das Gefühl, sie müssten immer mehr für die Alten zahlen, die immer länger ihre Renten beziehen. Weil die Babyboomer in den nächsten Jahren in Pension gehen, wird dieses Ungleichgewicht weiter zunehmen. Weshalb die Jungen davon ausgehen, dass sie länger arbeiten und weniger bekommen werden.
Die «AHVplus»-Initiative, die eine pauschale Erhöhung der AHV um zehn Prozent fordert, ist für Kathrin Bertschy deshalb «eine unverantwortliche Giesskanne, die auf das Kreditkonto der Jungen gebucht wird». Von keiner Seite ist der Widerstand gegen die Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), über die am 25. September abgestimmt wird, so heftig wie vom Nachwuchs der grossen Parteien – zumindest jenen, die zum Mitte-rechts-Spektrum zählen.
Sechs bürgerliche Jungparteien führen eine gemeinsame Nein-Kampagne unter dem Motto «Rote Karte für den Rentenbeschiss». Die Junge CVP betont in einer Mitteilung, man werde sich «gegen solche unsolidarische Initiativen gegen Junge» künftig wehren. Auch die Operation Libero bezieht Position gegen die Initiative und «Rentengeschenke, die in Zukunft nicht mehr finanzierbar sind».
Das sei «Angstmacherei, geschürt von den Banken und Versicherungen», kontert Doris Bianchi. Sie ist beim SGB zuständig für die Sozialpolitik. Die Behauptung, die Jungen müssten für die Alten zahlen, sei «total falsch». Sie profitierten vielmehr davon, wenn es ihren Eltern finanziell gut gehe, sagt Bianchi. Die «AHVplus»-Initiative wolle das Rentenniveau sichern: «Es ist viel gescheiter, wenn dies bei der AHV geschieht statt bei den Pensionskassen, und zwar auch für die Jungen.»
Wie tief der «Rentengraben» zwischen den Generationen heute ist, zeigen die Umfragen zu «AHVplus». Laut jener von Tamedia will nur ein Drittel der 18- bis 34-Jährigen mit Ja stimmen. Bei den Stimmberechtigten über 50 Jahren sind es zwei Drittel und mehr. Ein ähnliches Bild ergibt die erste SRG-Trendumfrage des Instituts GFS Bern. Die Generation der Rentnerinnen und Rentner will die Initiative mehrheitlich annehmen, die Befragten unter 40 Jahren sind dagegen.
Dabei ist die Initiative nur ein «Kriegsschauplatz». In der Woche nach der Abstimmung debattiert der Nationalrat über die Altersvorsorge 2020. Die Beschlüsse der zuständigen Kommission haben bereits für Wirbel gesorgt. Und die bürgerlichen Jungparteien würden noch weiter gehen. Die Jungfreisinnigen haben ein Positionspapier zur Altersvorsorge verabschiedet, in dem sie unter anderem ein flexibles Rentenalter und die freie Pensionskassenwahl fordern.
Die Renten der Jungen in Gefahr! https://t.co/A6zwm5IRkE
— JCVP Schweiz | JDC (@JCVPSchweiz) March 30, 2016
Die Junge CVP reagierte im Frühjahr geharnischt auf das negative Jahresergebnis der AHV. Die Renten der Jungen seien in Gefahr, deshalb komme eine halbherzige Rentenreform «für die Junge CVP nicht in Frage». Es sei ein Fehler, elementare Veränderungen im Rentensystem nicht anzupacken, «nur um ein positives Abstimmungsresultat herbeizuführen». Die vom Ständerat beschlossene Rentenerhöhung um 70 Franken sei «im Nationalrat unverzüglich zu korrigieren».
Diese Forderung ist pikant, denn es waren die CVP-Ständeräte, die den 70 Franken zum Durchbruch verhalfen. Auch im Nationalrat bemüht sich die CVP um einen Kompromiss. JCVP-Präsident Tino Schneider tritt deshalb im Gespräch mit watson auf die Bremse: «Für die Junge CVP ist es zentral, dass die Vorlage durchkommt, als erster Schritt zu weiteren Reformen. Deshalb sind wir zu Konzessionen bereit. Ein Scheitern der Reform wäre der Worst Case.»
In diesem Punkt bestehe eine Differenz zu Jungfreisinnigen und Junger SVP, räumt Schneider ein. Wobei er sich einen Seitenhieb an die Adresse des SVP-Nachwuchses nicht verkneifen kann: «Für mich ist es unverständlich, dass die JSVP auf ihren radikalen Forderungen beharrt. Die Wähler der SVP haben Reformen bei der Altersvorsorge immer abgelehnt.»
Tatsächlich bildet die SVP-Basis einen wesentlichen Teil der Allianz der Besitzstandwahrer. Sie sorgte dafür, dass selbst die relativ moderate BVG-Revision 2010 trotz aufwändiger Ja-Kampagne (man erinnert sich an die Kuchen-Sujets) mit 73 Prozent Nein nicht abgelehnt, sondern massakriert wurde. Weshalb die neoliberalen SVP-Parlamentarier bei der Altersvorsorge 2020 herumeiern und selbst die FDP bemüht ist, eine mehrheitsfähige Vorlage zu zimmern.
Bei den Jungen sorgen diese Perspektiven für zusätzlichen Frust. Sie haben das Gefühl, gegen eine Mauer anrennen zu müssen. Dies bildet einen Nährboden für radikale Forderungen wie die Entpolitisierung der Altersvorsorge. AHV-Alter sowie Umwandlungssatz und Mindestverzinsung bei den Pensionskassen sollen den Regeln der Mathematik unterliegen und nicht mehr dem Volkswillen. Selbst die Abschaffung der AHV ist für manche denkbar.
Ein EU-Beitritt der Schweiz samt Übernahme des Euro dürfte weit grössere Chancen haben als derartige Forderungen. Zu stark sind die Profiteure des heutigen Systems. Und die AHV ist in der Schweiz ohnehin ein säkulares Heiligtum. «Zum Glück gibt es die AHV», sagt Doris Bianchi vom SGB. Man müsste sonst viel stärker privat vorsorgen, und das werde gerade für die Jungen sehr teuer: «Sie müssten mindestens doppelt so hohe Beiträge zahlen wie heute.»
Für die Jungen gibt es viel zu tun, wenn sie die Allianz der Bewahrer knacken wollen. «Es ist die grosse Aufgabe der Jungparteien, die Notwendigkeit von Reformen aufzuzeigen», sagt JCVP-Präsident Tino Schneider.
Zwei Massnahmen stehen für den Bündner im Vordergrund. Einmal müsse man die Jungen aufrütteln und zum Urnengang motivieren. Und zum anderen müsse man darlegen, dass es Reformen brauche, weil sonst grosse Einschnitte nötig sein werden: «Das ist unser bestes Argument. Wenn nichts geschieht, wird das System irgendwann implodieren.»