Mit dem geballten Einsatz von Soldaten und Artillerie versucht die russische Armee, die ukrainischen Verteidiger im Donbass zu zermürben. Für die Regierung in Kiew gibt es dagegen nur ein taugliches Mittel: mehr Waffen aus dem Westen. Der Druck auf zögerliche Staaten wie die Schweiz wächst. Sie bekommt das auf direkte Weise zu spüren.
So wurde Verteidigungsministerin Viola Amherd am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos offenbar von mehreren Gesprächspartnern in den «Schwitzkasten» genommen, darunter Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und ihre niederländische Amtskollegin Kajsa Ollongren. So steht es laut den Tamedia-Zeitungen in einem vertraulichen Bundesratspapier.
Demnach versteht man im Ausland zwar, dass die Schweiz nicht direkt Rüstungsgüter in die Ukraine schicken kann. Das Neutralitätsrecht verbietet es neutralen Staaten, kriegführende Länder mit Waffen zu beliefern. Ausserdem hat das Parlament erst im letzten Jahr das Kriegsmaterialgesetz in diesem Sinne verschärft und dem Bundesrat die Hände gebunden.
Kein Verständnis aber hat man dafür, dass die Schweiz auch die Weitergabe von Waffen blockiert, die sie an andere Länder verkauft hat. Zwei Fälle sorgten in den letzten Wochen für Stirnrunzeln. So hat Deutschland keine Erlaubnis erhalten, aus der Schweiz bezogene Munition für den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard an die Ukraine zu liefern.
Ausserdem untersagte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) der dänischen Regierung die Weitergabe von 22 Piranha-Radschützenpanzern. Peinlich für die Dänen: Sie hatten die «Spende» bereits vermeldet, bevor sie das notwendige Gesuch in Bern einreichten. Die Kritik allerdings konzentrierte sich auf die aus globaler Perspektive unflexible Schweiz.
Dabei hält sich diese an den Buchstaben des Gesetzes, das auch die Weitergabe von ins Ausland verkauften Waffen in Konfliktregionen untersagt. Solche Grautöne sind jedoch in Zeiten des Krieges schwer vermittelbar. Weshalb der Bundesrat an seiner Sitzung vom letzten Freitag mit diversen Entscheiden auf den Druck von aussen zu reagieren versuchte.
So darf Deutschland 42 Leopard-Panzer weitergeben, die vor mehr als zehn Jahren dem Hersteller Rheinmetall zurückverkauft wurden. Ausserdem verzichtet die Schweiz vorerst auf einen Teil ihrer bestellten schwedischen NLAW-Panzerabwehrwaffen, damit Grossbritannien seinen Bestand auffüllen kann. Das Königreich hat 5300 Stück an die Ukraine geliefert.
Daneben erlaubte der Bundesrat zwei Schweizer Unternehmen gemäss Tamedia, «Teile für Panzerfäuste und für Flugabwehrwaffen nach Deutschland beziehungsweise Italien zu liefern». Weil es sich um Einzelteile handle, werde das Kriegsmaterialgesetz nicht verletzt. Weiterhin hart blieb der Bundesrat bei den dänischen Piranhas und der deutschen Munition.
Diese Entscheide wirken teilweise spitzfindig bis widersprüchlich. Für die «NZZ am Sonntag» hat der Bundesrat damit «Bauernschläue» bewiesen. Eigentlich aber handelt es sich um jene Art von Schlaumeierei, mit der die Schweiz in der Vergangenheit immer wieder versucht hat, ausländischen Druck abzuwehren, etwa in Steuerfragen oder beim Bankgeheimnis.
Genützt hat es in der Regel wenig. Auch im konkreten Fall kann man sich fragen, ob der Bundesrat mit seinem Zickzack-Kurs in der Waffenfrage durchkommen wird, vor allem wenn die Ukraine an der Kriegsfront noch mehr in Bedrängnis geraten sollte. Aus der Politik gibt es deshalb Vorschläge, wie man sich aus der Zwickmühle befreien könnte.
Der Bundesrat solle Waffenexporte mit Notrecht erlauben, heisst es etwa aus den Reihen von Viola Amherds Mitte-Partei. Andere fragen sich, warum Deutsche und Dänen die Schweizer Waffen nicht von sich aus weitergeben. Die Schweiz würde vielleicht einen Protest deponieren, doch danach würde man zur Tagesordnung übergehen.
Beiden Vorschlägen haftet jedoch ein Makel an: Der Westen unterscheidet sich von Wladimir Putins Barbarei gerade dadurch, dass er Recht und Gesetz hochhält. Diese regelbasierte Ordnung sollte auch in der Rüstungsfrage nicht einfach umgestossen werden. Deshalb gibt es weitere Anregungen, wie die Schweiz flexibler werden könnte.
So will FDP-Präsident Thierry Burkart gemäss der Sonntagspresse mit einem Vorstoss eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes erreichen. Er sieht vor, dass demokratisch regierte Länder in Zukunft keine Bewilligung aus Bern für die Weitergabe von Schweizer Waffen benötigen. Genannt werden etwa Deutschland, Polen, Japan und die USA.
Für die Ukraine kommt Burkarts Vorstoss vermutlich zu spät, und es besteht die Gefahr, dass er im Nationalrat an einer «unheiligen Allianz» von SVP und Rotgrün scheitern wird. Im Moment bleibt dem Bundesrat kaum eine andere Wahl, als sich weiter durchzumogeln und darauf zu hoffen, dass er die Gemüter im Ausland einigermassen besänftigen kann.
Langfristig aber muss der Bundesrat genauer definieren, wie er sich im Spannungsfeld zwischen Neutralität und Waffenlieferungen positionieren will. Zum Beispiel in der Debatte über den von ihm selbst in Auftrag gegebenen Neutralitätsbericht. Denn es besteht keine Gewähr, dass sich ein Szenario wie der Ukraine-Krieg nicht wiederholen wird.