Die Schweiz hat einen neuen Bundesrat. Beat Jans liess sich am Donnerstag in Basel ausgiebig feiern. Und ein neues Parlament, das am Freitag seine erste Session beendete. Bei den Wahlen im Oktober kam es zum Rechtsrutsch. Die SVP konnte einen Teil der Verluste von 2019 gutmachen, Grüne und Grünliberale büssten einen Teil ihrer Gewinne ein.
Das Parlament sei konservativer geworden, meinen erfahrene Mitglieder. Spürbar sei aber auch die nochmals gewachsene Macht der Mitte, deren Chef Gerhard Pfister die Legislatur als Alterspräsident eröffnete. Sie sorgt nicht nur für Mehrheiten, sie kann Vorlagen ihren Stempel aufdrücken. Das zeigte sich etwa beim Asyl für Afghaninnen.
Im Gespräch mit neu gewählten National- und Ständeräten war eine gewisse Überwältigung erkennbar. Das ist nichts Neues. Wie anspruchsvoll die eidgenössischen Räte sind, merkt man, wenn es ernst gilt. Wegen der vielen Sitzungen wird selbst die Nahrungsaufnahme zur Challenge. Dafür gibt es gerade während der Wintersession zahlreiche Apéros.
Für einige Neulinge gab es eine Ernüchterung, weil sie nicht in ihre Wunschkommission durften. So wurde ausgerechnet den beiden neu gewählten Pflegefachkräften Farah Rumy (SP) und Patrick Hässig (GLP) der Einzug in die Sozial- und Gesundheitskommission (SGK) verweigert. Dafür tummeln sich dort weiterhin Parlamentarier mit bezahlten Mandaten.
Dafür kann es gute Gründe geben (im Fall der Grünliberalen ist es die geschrumpfte Fraktion). Doch die Parlamentsarbeit findet primär in den Kommissionen statt. Es ist der Hauptgrund, warum National- und Ständeräte während der Debatten im Plenum öfter den Saal verlassen (oder stricken und gamen).
Am Ende aber zählt jede Stimme, weshalb sich alle beeilen, bei einer Abstimmung rechtzeitig an ihrem Platz zu sein und auf das Knöpfchen zu drücken. Das ist auch und gerade in der Wintersession der Fall, in der jeweils das Budget für das kommende Jahr behandelt wird. Auch sonst war in dieser ersten Session der neuen Legislaturperiode einiges los.
Die Region Basel und die Stadt im Besonderen haben oft ein schwieriges Verhältnis zum Rest des Landes. Man fühlt sich zu wenig geschätzt für das, was man als Wirtschafts- und Kulturstandort leistet. So war Basel-Stadt während 50 Jahren nicht im Bundesrat vertreten. Dieser Makel wurde mit der Wahl von Beat Jans getilgt, und auch sonst herrschte Feierlaune.
Denn mit Eric Nussbaumer und Eva Herzog stellt die Region Basel derzeit auch den Nationalratspräsidenten und die Ständeratspräsidentin. Basel boomt in Bundesbern. Alle drei sind Mitglieder der SP, doch in der Partei herrscht nicht nur eitel Freude. Sie muss einen Weg finden, um das Verhältnis mit Daniel Jositsch zu kitten.
Die ansonsten ziemlich überraschungsfreie Bundesratswahl sorgte für einen weiteren Eklat. Die FDP verweigerte dem Zürcher Nationalrat Hans-Peter Portmann in letzter Minute das Präsidium der Aussenpolitischen Kommission (APK). Er hatte die SP beschuldigt, bei der Wiederwahl von Bundesrat Ignazio Cassis die Konkordanz gebrochen zu haben.
Damit hatte Portmann wohl gegen eine Art Stillhalte-Doktrin in der Partei verstossen, falls Cassis und Karin Keller-Sutter einigermassen problemlos wiedergewählt werden sollten. Laut Insidern war der Vorfall aber nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der Banker aus Zürich redet oft und gerne, manchmal vielleicht mehr, als er sollte.
Doch nicht nur Hans-Peter Portmann wurde von der FDP «abgestraft», sondern auch der Aargauer Nationalrat Matthias Jauslin. Er wurde aus der Umwelt- und Energiekommisson (UREK) entfernt und in jene für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) abgeschoben. Jauslins «Vergehen»: Er hatte sich für eine ambitionierte Umwelt- und Klimapolitik starkgemacht.
Den beiden «Degradierten» war der Frust anzusehen. Besonders bitter für Matthias Jauslin: Er wurde in der UREK ausgerechnet durch den Berner Christian Wasserfallen ersetzt, einen der grössten Öko-Bremser im Parlament. Für Beobachter sind die «Strafaktionen» Ausdruck der grossen Nervosität in der FDP, die um ihren zweiten Bundesratssitz bangen muss.
Die Parteileitung sitze «auf Nadeln», meinte ein Fraktionsmitglied. Fragt sich nur, ob sie ihr Profil vor allem gegenüber der SVP stärken kann, wenn sie einen profilierten Europapolitiker wie Hans-Peter Portmann und einen profilierten Umweltpolitiker wie Matthias Jauslin mobbt. Oder ob sie den Bundesratssitz nicht erst recht aufs Spiel setzt.
Es gab aber auch positive Nachrichten. Ausgerechnet in der ersten Session der neuen Legislatur gelang dem Parlament erstmals seit langer Zeit ein grosser Wurf in der Gesundheitspolitik. Die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (Efas) kam überraschend problemlos durch die Schlussabstimmung.
Ein Scheitern war keine Option, nachdem das Parlament während 14 Jahren (!) daran herumgedoktert hatte. Allerdings findet in der Gesundheitspolitik immer jemand ein Haar in der Suppe. Die Gewerkschaft VPOD will das Referendum ergreifen. Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider muss wohl erneut gegen die eigene Klientel antreten.
Die Beratungen über den Voranschlag 2024 war geprägt durch härtere Verteilkämpfe um die Bundesfinanzen. So setzte der Nationalrat durch, dass die Verdoppelung des Armeebudgets erst 2035 und nicht wie vom Ständerat gefordert schon 2030 erreicht werden soll. Doch auch so konnte die Schuldenbremse nur mit Mühe und Not eingehalten werden.
Knapp an einer Peinlichkeit vorbei schrammte das Parlament bei der aus den Reihen der SVP beantragten Streichung des Schweizer Beitrags von 20 Millionen Franken für das UNO-Palästinenserhilfswerk UNWRA. Am Ende wurde der Kredit des Aussendepartements für humanitäre Aktionen um 10 Millionen gekürzt, ohne Erwähnung des UNWRA.
Das Hilfswerk mag umstritten sein, doch die Streichung hätte das humanitäre Image der Schweiz in der arabischen Welt beschädigt. Das zeigte sich an der Medienkonferenz von EDA-Staatssekretär Alexandre Fasel am Mittwoch, als eine Journalistin und ein Journalist von arabischen Medien explizit Fragen nach dem Schweizer UNWRA-Beitrag stellten.
Es ist ein bekannter Befund: Der Einfluss der Landwirtschaft im Parlament steht in keinem Verhältnis zu ihrem Anteil an der Wirtschaftsleistung und der Bevölkerung. Und bei den Wahlen wurde er weiter gestärkt. Schon in der ersten Session kosteten die Bauern ihre Macht aus, etwa als sie die SP-Bundesratskandidaten zum Hearing befahlen.
Bei der Budgetberatung verhinderten sie die von Finanzministerin Keller-Sutter beantragte Kürzung bei den Direktzahlungen, und der Ständerat versenkte auf ihr Betreiben hin einen sehr moderaten Gegenvorschlag zur Biodiversitäts-Initiative, die nun zur Abstimmung kommen wird. Bauernkritiker im Parlament schwanken deshalb zwischen Ärger und Resignation.
Am Ende gab es doch einen Nasenstüber, und zwar ausgerechnet für Mitte-Nationalrat Markus Ritter, den Präsidenten des Bauernverbands, den manche für zunehmend abgehoben halten. Nun aber verweigerte ihm die eigene Partei den gewünschten Sitz in der Finanzkommission, wo er dafür sorgen wollte, dass die Bauern weiterhin viel Geld erhalten.
Irgendwie passt das zu einem Land, in dem Machtrausch nicht goutiert wird. Auch sonst war in dieser Session vieles wie gehabt, etwa die Mühen der Politik beim Klimaschutz (siehe die Beratungen über das CO2-Gesetz im Nationalrat). Trotz Rechtsrutsch blieb vieles so, wie man es sich vom Bundesparlament gewohnt ist. Typisch schweizerisch eben.