Als Thierry Burkart Anfang Juni seinen Rücktritt als Präsident der FDP Schweiz ankündigte, war das Erstaunen gross. Der Aargauer Ständerat bemühte sich, ein positives Bild seiner vierjährigen Amtszeit zu vermitteln. Die Realität wird ihm kaum gerecht. Inhaltlich rückte die FDP etwa in der Asylpolitik gefährlich nahe an die SVP, und bei kantonalen Wahlen ging es überwiegend bergab.
Unter Burkart sei die FDP «cringe» geworden, lästerte der «Tagesanzeiger» in Anspielung auf die unerfreuliche Tatsache, dass keine Schweizer Partei bei den Jungen unbeliebter ist. Thierry Burkarts Nachfolgerin oder Nachfolger stehe «vor einer Herkulesaufgabe», meinte CH Media. Entsprechend überschaubar ist das Interesse an dem Knochenjob.
Das ist an sich nicht erstaunlich. Bei den Schweizer Parteien hielt sich der Run auf das Präsidium in den letzten Jahren in Grenzen. Häufig war man froh, überhaupt jemanden zu finden. Das traf zuletzt auf die Mitte zu, bei der einzig der Walliser Philipp Matthias Bregy für die Nachfolge von Gerhard Pfister kandidierte. Bei der FDP aber ist das Problem akut.
Am Mittwoch endet die von der Findungskommission gesetzte Bewerbungsfrist, doch bislang kassierte sie nur Absagen. Erst letzte Woche warfen die meistgenannten Favoriten das Handtuch, der Luzerner Ständerat Damian Müller und der Zürcher Nationalrat Andri Silberschmidt. Beide gehören zur jüngeren Generation, sind aber schon alte Politikhasen.
Mit ihrem Profil sprechen Müller und Silberschmidt konservative und progressive Freisinnige an, was sie zu einer «Traumbesetzung» für die Burkart-Nachfolge machte. Weil auch andere «Hochkaräter» verzichten, etwa die Aargauer Nationalratspräsidentin Maja Riniker und Ständeratspräsident Andrea Caroni aus Appenzell-Ausserrhoden, ist das Rennen offen.
Einzig der Glarner Ständerat Benjamin Mühlemann hat ein gewisses Interesse signalisiert, ohne sich ganz aus der Deckung zu wagen. Im Gespräch sind auch die St.Galler Nationalratsmitglieder Susanne Vincenz Stauffacher und Marcel Dobler, und vielleicht taucht ein Name auf, den bislang kaum jemand auf dem Radar hatte.
Die Personalnot ist so gross, dass im traditionell heterogenen Freisinn kaum jemand die potenziellen Kandidaten kritisieren will, wie die «NZZ am Sonntag» feststellte. Das angeblich (zu) linke Profil von Vincenz Stauffacher ist genauso wenig ein Problem wie der geringe Bekanntheitsgrad von Mühlemann. Man ist froh, wenn jemand Burkarts Job will.
Warum aber tut sich die FDP schwer mit der Besetzung des Präsidiums? Es gibt dafür drei Gründe, einen allgemeinen und zwei spezifisch freisinnige:
Das Präsidium einer Schweizer Partei – und erst recht einer Bundesratspartei – ist wie erwähnt ein Knochenjob. Man muss rund um die Uhr verfügbar sein und ist oft abends unterwegs, um den Kontakt zur Basis zu pflegen. In der Findungskommission gibt es laut «NZZ am Sonntag» eine Liste mit allen Abendterminen, die man wahrnehmen müsste.
Das schrecke viele ab, vor allem jene mit (kleinen) Kindern. Andri Silberschmidt begründete seine Absage im «Tagesanzeiger» unter anderem damit, dass er dieses Jahr Vater wurde. Der kinderlose Damian Müller wiederum betonte im CH-Media-Interview, er wolle «kein Vollzeitpolitiker sein, sondern immer auch ein Bein in der Arbeitswelt behalten».
An der Delegiertenversammlung am 18. Oktober in Bern, an der die Burkart-Nachfolge bestimmt wird, will die FDP auch ihren Standpunkt zu den neuen EU-Verträgen festlegen. Kaum eine Partei ist bei diesem Thema so gespalten wie der Freisinn, doch vieles deutet auf ein Ja hin, und das nicht erst, seit Donald Trump der Schweiz den Zollkrieg erklärt hat.
Die Ja-Tendenz im Freisinn gilt als einer der Gründe für den Abgang des EU-Skeptikers Thierry Burkart. Mit dem Berner Nationalrat Christian Wasserfallen geht ein weiterer EU-Kritiker gegenüber «CH Media» davon aus, dass die Delegiertenversammlung «Ja sagen wird zum EU-Paket». Er hat schon früh seinen Verzicht auf die Burkart-Nachfolge erklärt.
Mit der Zustimmung der Delegierten aber wäre das Thema nicht «gegessen», denn bis zu einer Volksabstimmung wird es dauern. Und es gibt in der FDP weiterhin lautstarke Gegner, etwa den Zürcher Stadtrat und Kantonalpräsidenten Filippo Leutenegger. Wer auch immer auf Thierry Burkart folgt, wird sich mit diesem Problem herumschlagen müssen.
Die vielleicht grösste Knacknuss aber ist der zweite FDP-Sitz im Bundesrat. Er wackelte schon nach den Wahlen 2023. Seither konnte sich die Mitte-Partei als «Herausforderin» zumindest stabilisieren, während sich der Abwärtstrend beim Freisinn fortsetzte. Bleibt es dabei, lassen sich zwei Sitze für die FDP nach den Wahlen 2027 kaum noch rechtfertigen.
Es wäre eine unglaubliche Demütigung für eine Partei, die in den ersten Jahrzehnten des Bundesstaats eine Monopolstellung im Bundesrat besass. Und ein abschreckender Aspekt bei der Burkart-Nachfolge, denn wer will als Parteipräsidentin oder -präsident in die Geschichte eingehen, die oder der ein solches Debakel zu verantworten hat?
Es erstaunt deshalb nicht, dass in den letzten Tagen eine Option Auftrieb erhielt, die bei den Bürgerlichen bislang verpönt war: ein Co-Präsidium etwa mit Susanne Vincenz Stauffacher und Benjamin Mühlemann. Selbst Franz Steinegger, der während zwölf Jahren an der Spitze der FDP stand, votierte gegenüber SRF für «zwei Gesichter statt eines».
Womit der frühere Urner Nationalrat explizit auf einen Hauptkritikpunkt an der FDP Bezug nahm, das Fehlen profilierter Köpfe. Das erschwert die Aufgabe zusätzlich. Für den Berner Politologen Lukas Golder lässt sich der Turnaround kaum in den nächsten zwei Jahren herbeiführen, sondern «frühestens in sechs Jahren», wie er dem SRF sagte.
Für den zweiten Bundesratssitz könnte das zu spät sein.
Um dann nach nur 4 jahren einfach hinzuschmeissen...