Die Alpen sind ein nationaler Mythos, der Emotionen und Sehnsüchte weckt. Zum Beispiel am letzten Wochenende am Schwingfest in Mollis. «Endlich wieder ein Eidgenössisches in den Bergen», sagte ein Besucher zu Radio SRF. Die imposante Kulisse mit stotzigen Felswänden verlieh dem Grossanlass im Glarnerland tatsächlich ein besonderes Flair.
Kein Wunder, boomen Ferienhäuser und Zweitwohnungen im Berggebiet, auch dank «Schlupflöchern» bei der Umsetzung der vom Stimmvolk angenommenen Weber-Initiative. Für die Gebirgskantone ist der darauf fällige Eigenmietwert eine wichtige Einnahmequelle, auch weil sie in den meisten Fällen strukturschwach und nicht auf Rosen gebettet sind.
Für den Hauseigentümerverband und die bürgerlichen Politiker, die dem Eigenmietwert an den Kragen wollen, ist dies eine Knacknuss. Also zauberten sie im Parlament quasi in letzter Minute eine neue Objektsteuer aus dem Ärmel, die die Kantone auf Zweitliegenschaften erheben können. Damit soll die Abschaffung des Eigenmietwerts kompensiert werden.
Genauer gesagt wird am 28. September nur über diese Steuer abgestimmt, was für Verwirrung auf dem Stimmzettel sorgt. Denn dafür braucht es eine Verfassungsänderung und damit einen obligatorischen Volksentscheid. Weil die Abschaffung des Eigenmietwerts damit verknüpft ist, fällt sie ebenfalls weg, wenn das Stimmvolk Nein zur «Chalet-Steuer» sagt.
Es könnte ein enges Rennen geben. Umso wichtiger wäre die Zustimmung der Gebirgskantone. Dumm nur, dass ihre Regierungen sich über dieses «Geschenk» ganz und gar nicht freuen. Sie lehnen die eigens für sie geschaffene Zweitwohnungssteuer nicht nur ab, sondern bekämpfen sie aktiv, etwa an einer Medienkonferenz am Freitag in Bern.
Dabei äusserten sich Vertreterinnen und Vertreter von sieben der acht Kantone, die eine gemeinsame Regierungskonferenz bilden. Für die Präsidentin, die Bündner Mitte-Regierungsrätin Carmelia Maissen, ist die Objektsteuer «unverantwortlich, unfair, unausgegoren und volkswirtschaftlich schädlich». Der Innerrhoder Hans Dörig bezeichnete sie als untauglich.
Konkret fürchten die Kantone die Einnahmeausfälle durch den Wegfall des Eigenmietwerts. Landesweit werden sie auf 1,8 Milliarden Franken geschätzt. Es sei stossend, dass Bundespräsidentin und Finanzministerin Karin Keller-Sutter diese als «momentan» bezeichne, meinte die Obwaldner Regierungsrätin Cornelia Kaufmann-Hurschler (Mitte).
Die acht Gebirgskantone rechnen mit Ausfällen von gegen 300 Millionen Franken. Fast 100 Millionen entfallen auf das Tessin, das Ferienparadies vieler (Deutsch-)Schweizer. Dessen Regierung fehlte am Freitag in Bern wegen einer Terminkollision, doch sie trage die gemeinsame Position «uneingeschränkt mit», sagte Carmelia Maissen.
Schon im Parlament leisteten die Vertreter der Bergkantone Widerstand gegen die Abschaffung des Eigenmietwerts. Die neue Objektsteuer soll für Abhilfe sorgen. Warum also lehnen die Kantonsregierungen dieses Präsent ab, das ihnen quasi auf dem Silbertablett serviert wird? Die Antwort ist einfach: Sie fürchten, am Ende mit leeren Händen dazustehen.
Im Verfassungsartikel ist nur von «können» die Rede. Die Kantone müssen die Steuer separat einführen. Am Ende steht eine Volksabstimmung, und die Erfahrung lehrt, dass eine Annahme alles andere als sicher ist. Die Gefahr besteht, dass die Kantone am Ende weder den Fünfer noch das Weggli haben. Kein Eigenmietwert mehr und keine Chalet-Steuer.
Mehrere Gemeinden im Oberengadin, wo der Mangel an Erstwohnungen teilweise dramatisch ist, haben eine Abgabe auf Zweitwohnungen abgelehnt. Das Wallis wollte eine solche mit der Revision des Tourismusgesetzes einführen. Regierung und Kantonsparlament waren dafür, doch das Stimmvolk schmetterte das Vorhaben 2009 mit 75 Prozent Nein ab.
Gerade sein Kanton habe viel zu verlieren, meinte der Walliser Staatsrat und ehemalige CVP-Präsident Christophe Darbellay. Fast jede dritte bewohnte Liegenschaft in seinem Kanton sei eine Zweitwohnung. Und der Einfluss der «Zweitwohnenden» ist nicht zu unterschätzen. Sie haben zwar meist kein Stimmrecht, sind aber als Kunden des lokalen Gewerbes ein Wirtschaftsfaktor.
Mit dem Eigenmietwert sollen auch die Abzüge für Sanierungen wegfallen. Darbellay fürchtet negative Folgen für das Baugewerbe und mehr Schwarzarbeit. Einen speziellen Grund für das Nein gibt es in Nidwalden. Als steuergünstiger und finanzstarker Kanton könne man die Ausfälle verkraften, sagte Regierungsrätin Therese Rotzer-Mathyer.
Nidwalden gehört jedoch auch zur Minderheit der Geberkantone im nationalen Finanzausgleich. In diesem könnte es zu «Verwerfungen» kommen, wenn in den strukturschwachen Kantonen die Einnahmen einbrechen, warnte die Mitte-Politikerin. Im Klartext: Die Geber fürchten, noch stärker zur Kasse gebeten zu werden.
Für die Gebirgskantone ist die Objektsteuer letztlich eine Art Luftschloss. Regierungsrat Thomas Tschudi aus dem Kanton Glarus, ein Mitglied der sehr eigentümerfreundlichen SVP, drückte es so aus: «Das Bundesparlament hat auf einer Flughöhe von 10’000 Metern legiferiert, ohne sich darum zu kümmern, wie man den Flieger zum Landen bringt.»
Letztlich habe es diese Verantwortung einfach auf die Kantone abgeschoben, sagte Tschudi. Sollte sich die ablehnende Haltung in den Gebirgsregionen durchsetzen, könnte es für die Vorlage am 28. September sehr eng werden. Denn sie benötigt das Ständemehr.
Fiktives, nicht vorhandenes Einkommen zu besteuern ist Raub.
Längerfristig kann das natürlich wünschenswert sein, es soll ja nicht Anreize zum Schulden machen geben. Aber es wird viele im Moment doch treffen, nicht nur Leute, die leichtfertig auf Pump leben. Es wäre wichtig, das auch noch zu beleuchten.