Die Zeit drängt und die Wut ist gross: In zwei Wochen ist es fertig mit den kostenlosen Corona-Tests. Bekannt ist das schon lange, trotzdem stieg der Ärger dagegen erst, als diese Woche die erweiterte Corona-Zertifikatspflicht kam. Ab dem 1. Oktober bedeutet diese nämlich für Ungeimpfte, dass sie praktisch von Restaurants, Gyms und Co. ausgeschlossen werden – es sei denn, sie lassen sich regelmässig testen. Was unter Umständen sehr viel kosten kann.
Dagegen wehren sich nun Grüne, SP, SVP und die Mitte. Sie alle fordern, dass die vorbeugenden Corona-Tests inkl. Zertifikat weiterhin gratis bleiben.
Die SVP forderte das am lautesten und reichte gleich einen Vorstoss als Fraktion ein. Die SP will die Gratis-Tests nächste Woche in einer Kommission vorschlagen, die Grünen sind schon lange dafür. Und die Mitte? Von ihrem Parteipräsidenten Gerhard Pfister war auf Twitter zu lesen: «Die Akzeptanz des Covid-Zertifikats muss erhöht werden. Deshalb braucht es auch kostenfreie Tests.»
Rechnerisch hätte man wohl dafür eine Mehrheit im Parlament. Womit sich die Frage stellt: Wie kam es überhaupt zur Abschaffung der Gratis-Tests für symptomlose Menschen, die von links bis rechts abgelehnt wird? Die Antwort ist bei den Windfahnen im Bundeshaus und bei einer vermeintlich unbedeutenden Kommissionssitzung von vor einem Monat zu finden.
Ruth Humbel, Mitte-Nationalrätin, durfte als Präsidentin der Gesundheitskommission ihre Parlamentskolleginnen und -kollegen für einmal in ihren Heimatkanton Aargau statt ins Bundeshaus einladen. Auf der Traktandenliste standen die Pläne des Bundesrates, die Corona-Tests ab dem Oktober kostenpflichtig zu machen. Es war eine «Konsultation», eine kurze Diskussion, die in einem Brief zusammengefasst wurde. Der Bundesrat konnte dort lesen: Die Kommission findet's gut.
«Gut» bedeutete in diesem Fall nicht, dass alle dafür waren. Auf dem Tisch lag nämlich ein Antrag, dass im Brief doch der Beibehalt der Gratis-Tests gefordert werden sollte. «Ich hatte das beantragt», sagt die Grüne Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt. Sie erzählt, dass die Abschaffung der Gratis-Tests für sie eine epidemiologische «Gefahr» darstelle, weil sich dann weniger testen lassen würden. Der Antrag scheiterte jedoch laut watson-Informationen äusserst knapp und wurde entsprechend weder in der Medienmitteilung, noch im Brief an den Bundesrat erwähnt.
Mit dem parlamentarischen Segen im Rücken beschloss der Bundesrat das, was nun ab dem 1. Oktober gilt. Darauf «gedrängt» hätten die beiden SVP-Bundesräte Ueli Maurer und Guy Parmelin. Für die Beibehaltung der kostenlosen Tests schien SP-Bundesrat Alain Berset gewesen zu sein, der «Hürden beim Tests» in einem Interview kürzlich ablehnte.
Maurer und Parmelin dürften dabei an die Staatsfinanzen gedacht haben. Die individuellen Gratis-Tests kosteten den Bund bisher mehrere hunderte Millionen Franken, im Sommer 2021 wurden dafür zuletzt weitere Millionenkredite gesprochen. Die SVP, die Partei der beiden Herren, fand das gar nicht gut und sprach in der Medienmitteilung von einem angeblichen «diktatorischen Massnahmen-Regime».
Wir befürworten die Ausweitung der Zertifikatspflicht, wenn damit Schliessungen verhindert werden können.
— Mattea Meyer (@meyer_mattea) August 25, 2021
Gleichzeitig braucht es mehr niederschwellige Impfangebote und mehr Massnahmen in den Schulen, um insbesondere Kinder zu schützen. @spschweiz https://t.co/Pv0YBs5Q6j
Applaus gab es hingegen von der SP («Die SP begrüsst die heute vom Bundesrat angekündigte Ausweitung der Zertifikatspflicht …») und der Mitte («Auch Die Mitte unterstützt das Vorgehen des Bundesrates»). Also jenen Parteien, von denen nun «Gratis-Tests müssen bleiben»-Rufe zu hören sind. Es waren dieselben Parteien, die der Grünen Nationalrätin vor gut einem Monat die Unterstützung verweigerten, als das Parlament noch rechtzeitig Kritik gegen die kostenpflichten Tests deponieren konnte.
Auf einer Linie blieben damit nur die Grünen (Ja zu Gratis-Tests) und die FDP (Nein zu Gratis-Tests). Die SVP war gespalten (Bundesräte dafür, im Parlament mehrheitlich dagegen), SP und Mitte schwenkten um (von stillschweigenden Bezahl-Test-Befürwortern zu -Gegnern).
SP-Chefin Mattea Meyer betont, dass dies mit der Ausdehnung der Zertifikatspflicht zu tun hat und ihre Partei im August als Kompromissvorschlag eine «eine symbolische Kostenbeteiligung» sowie Gratis-Tests für Minderjährige forderte.
Die späte Einsicht einiger Parteien verärgert die Grüne Fraktionspräsidentin Aline Trede. «Ich habe nichts dagegen, dass man schlauer wird. Aber es hat schon einen Nachgeschmack, wenn sich erst so spät Kolleginnen und Kollegen der anderen Parteien uns anschliessen», so ihre Begründung. Die Wende kommt angesichts der noch verbleibenden zwei Wochen tatsächlich spät – zu spät ist es aber nicht.
Die Gratis-Tests wurden bislang in einer Verordnung geregelt. Eine solche sollte zwar nur der Bundesrat erlassen, sie kann dafür aber sehr schnell geändert werden – wenn die Landesregierung das auch tatsächlich will. So könnte sie bereits am Freitag auf den Entscheid zurückkommen.
Offen wäre nur die Frage, welche logistische Herausforderung so plötzlich aufkommen könnte: Liegen genug Testkits bereit oder müsste sehr viel nachbestellt werden, damit nicht ein Materialengpass droht? Solche Fragen hätte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) klären können. Dieses lehnte aber ein Gespräch zum Thema ab: Der Bundesrat habe dazu schon alles gesagt.