Seit 1996 müssen alle in der Schweiz wohnhaften Personen bei einer Krankenkasse versichert sein. Dieses Obligatorium wurde mit dem zwei Jahre zuvor vom Stimmvolk angenommen Krankenversicherungsgesetz (KVG) eingeführt. Seither sind die Prämien beträchtlich gestiegen, dennoch wurde das Obligatorium nie ernsthaft infrage gestellt.
Nun hat die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) den «Tabubruch» gewagt: Ihrer Meinung nach solle «eine Abschaffung der obligatorischen Krankenversicherung in Betracht gezogen werden», sagte sie im Interview mit der «Sonntagszeitung». Und stach voll ins Wespennest. Die Reaktionen waren heftig und überwiegend ablehnend.
Eine Abschaffung des Obligatoriums könnte unabsehbare Folgen haben. Das weiss Rickli. Sie betonte selbst, sie habe «keine fertige Lösung parat». Tatsächlich ist ihre Idee nicht durchdacht. Für Bedürftige solle es weiterhin eine Grundversicherung geben, so Rickli. Was aber ist mit den «schlechten Risiken», also älteren und chronisch kranken Menschen?
Sie werden heute durch das Obligatorium «geschützt». Fällt es weg, dürften sie es schwer haben, eine bezahlbare Krankenkasse zu finden – wenn überhaupt. Selbst die liberale NZZ verweist darauf, dass dieser Aspekt die Politik zur Reform von 1996 «getrieben» habe. Fällt das Obligatorium aber nur für jüngere und gesunde Leute, kann man es auch beibehalten.
Denn auch vermeintlich gute Risiken könnten ohne Versicherung bei einem medizinischen Notfall in finanzielle Not geraten. Die USA sind in dieser Hinsicht ein warnendes Beispiel. Irgendwer zahlt am Ende immer. Womöglich bleiben die Kosten für medizinische Behandlungen bei den Steuerzahlenden hängen und damit auch bei den Kantonen.
Dabei beklagte Natalie Rickli im Interview die Tendenz, «immer mehr Kosten den Kantonen aufzubürden». Diesen Ball kann man zurückspielen und die Kantone auffordern, zuerst ihre «Hausaufgaben» zu machen. Denn im komplexen und schwer reformierbaren Schweizer Gesundheitswesen sind sie oft mehr Teil des Problems als der Lösung.
Eine anderer zentraler Bestandteil der KVG-Reform sind die individuellen Prämienverbilligungen. Mit dem ungebremsten Anstieg der Gesundheitskosten hat auch ihr Umfang zugenommen. Allein im Kanton Zürich stünden dafür jährlich über eine Milliarde Franken bereit, sagte Natalie Rickli. Beinahe 30 Prozent der Einwohner erhielten Prämienverbilligungen.
Das ist nur ein Teil der Wahrheit. «Während der Bund seinen Verbilligungsbeitrag im Gleichschritt mit den Kosten jährlich erhöht, passen viele Kantone ihre Beiträge nicht entsprechend an», heisst es im «Tages-Anzeiger» vom Dienstag. Zehn Kantone hätten im letzten Jahr sogar weniger Geld an die Versicherten ausbezahlt als zehn Jahre zuvor.
Die Zahlen basieren auf einer Auswertung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Die Kantone würden Geld zurückhalten, das die Versicherten angesichts der stetig steigenden Prämien dringend bräuchten, sagte Zentralsekretär Reto Wyss. Tatsächlich betrachten viele Kantone die Prämienverbilligungen als «Manövriermasse».
Das ist Wasser auf die Mühlen der Prämienentlastungs-Initiative, mit der die SP einen Ausbau der Verbilligungen fordert. In der nächste Woche beginnenden Herbstsession in Bern dürfte sich zeigen, ob ein griffiger Gegenvorschlag zustande kommt. Die Kantone stehen auch in diesem Fall auf der Bremse, doch damit erhöhen sie nur die Chancen der Volksinitiative.
Dieses Kürzel steht für die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen. Heute gibt es einen wesentlichen Unterschied. Ambulante Spitalbehandlungen, die aus Effizienzgründen sinnvoll sind, müssen vollständig von den Krankenkassen bezahlt werden. Bei stationären Behandlungen zahlen die Kantone 55 Prozent der Kosten.
Die frühere Mitte-Nationalrätin und Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel hat deshalb vor 14 Jahren einen Vorstoss für eine Vereinheitlichung eingereicht. Seither ringt das Parlament um eine Lösung, und wieder sind die Kantone die Bremser. Sie fürchten Mehrkosten wegen der Zunahme der ambulanten Eingriffe und stellen deshalb eine Zusatzforderung.
Konkret verlangen sie den Einbezug der Langzeitpflege, mit dem Hintergedanken, die Kosten teilweise den Krankenkassen aufzubürden. Das ist angesichts der alternden Bevölkerung ein brisantes Anliegen. Gemäss einer Studie des Krankenkassenverbands Santésuisse werde EFAS auf diese Weise zum Verlustmodell für die Prämienzahlenden.
Eigentlich wissen es alle: In der Schweiz gibt es zu viele Spitalbetten. Eine bessere Planung und Koordinierung wäre angesagt, doch die Schliessung kleiner, ineffizienter Spitäler stösst in der Bevölkerung auf Widerstand. Dennoch wagten sich sechs Ostschweizer Kantone vor drei Jahren an den grossen Wurf einer gemeinsamen Spitalplanung.
In diesem Frühjahr folgte die grosse Ernüchterung. Glarus, Graubünden und Thurgau stiegen aus dem Projekt mit St.Gallen und den beiden Appenzeller Halbkantonen aus. Die Bündner begründeten den Rückzug mit der Anwendung von Mindestfallzahlen. Diese würden die Gesundheitsversorgung in abgelegenen Talschaften gefährden, hiess es.
Dabei sind Mindestfallzahlen aus Gründen der Effizienz und der Behandlungsqualität sinnvoll. Als eigentlichen Grund für den Ausstieg vermuten Beobachter den Kantönligeist. Graubünden und auch Thurgau hätten gemäss der NZZ befürchtet, zum Juniorpartner der «übermächtigen» St.Galler zu werden und als Spitalstandort an Bedeutung zu verlieren.
Das Ostschweizer «Trauerspiel» erschwert eine verstärkte Zusammenarbeit. Dabei ist sie ein Gebot der Stunde, auch weil viele Spitäler defizitär sind. «Es ist nötig, dass die Kantone die Spitallandschaft reformieren. Sonst wird uns irgendwann der Bund dazu zwingen – und das mit Recht», sagte der Ausserrhoder Gesundheitsdirektor Yves Noël Balmer (SP) der NZZ.
Auf den Bund und die Nachfolgerin oder den Nachfolger von Gesundheitsminister Alain Berset hoffen viele, auch Natalie Rickli. Doch die Kantone können sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen. Kantönligeist und Rappenspalterei dürfen kein Vorwand sein für unausgegorene Ideen wie eine Abschaffung der obligatorischen Krankenversicherung.
Als weiteres müssten die Menschen aufhören, ständig wegen jedem Husten zum Arzt zu rennen. Genau durch solche Sachen steigen die Prämien und manche Leute wie ich zahlen sich dumm und dämlich, obwohl wir seit Jahren keinen Arzt mehr gesehen haben.
Ich könnte wetten, die Prämien sinken. Wenn wir zu lange warten, sinkt die Solidarität und das Obligatorium wird abgeschafft -> keine KK für die, die sie brauchen.
Das grösste Problem sind die Lobbyisten/Profiteure von SVP und Konsorten.
Und ja. Die SVP schadet. Immer.