Schweiz
Bundesrat

20 Jahre Schuldenbremse: Jetzt wird es hart für Karin Keller-Sutter

Bundesraetin Karin Keller-Sutter, EFD, und Altbundesrat Kaspar Villiger, von links, an der Jubilaeumsfeier "20 Jahre Schuldenbremse, sie bewaehrt sich noch immer, wie die Schuldenbremse den Staat ...
Karin Keller-Sutter und Kaspar Villiger an der Jubiläumsfeier am Dienstag in Bern.Bild: keystone

20 Jahre Schuldenbremse: Jetzt droht die Vertreibung aus dem «Paradies»

Die Schuldenbremse hat der Schweiz finanzpolitische Stabilität beschert. Nun aber drohen satte Mehrausgaben im In- und Ausland. Finanzministerin Karin Keller-Sutter ist gefordert.
07.09.2023, 09:26
Mehr «Schweiz»

Für viele ist die Schweiz ein finanzpolitisches Paradies, mit tiefen Steuern und geringen Schulden. Das hat sie auch der Schuldenbremse zu verdanken, die vor 20 Jahren eingeführt wurde. Das Stimmvolk hatte ihr 2001 mit 85 Prozent Ja zugestimmt. Für das Finanzdepartement war das Jubiläum Anlass für einen Festakt am Dienstag in Bern.

Nicht zuletzt dank der Schuldenbremse habe die Schweiz die Krisen der letzten Jahre «gut gemeistert», erklärte Sabine D’Amelio-Favez, die Direktorin der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV). Dabei sei sie im Parlament «enorm umstritten» gewesen, erinnerte sich der damalige Finanzminister Kaspar Villiger in einer launigen Ansprache.

Bundesraetin Karin Keller-Sutter, EFD, spricht an der Jubilaeumsfeier "20 Jahre Schuldenbremse, sie bewaehrt sich noch immer, wie die Schuldenbremse den Staat krisenresistent macht", am Dien ...
Die Schuldenbremse ist für Keller-Sutter eine Erfolgsstory.Bild: keystone

Schulden seien nicht «des Teufels», betonte der 82-jährige Luzerner, sondern zur Förderung des Wohlstands «unentbehrlich». In einer Demokratie aber gebe es eine Neigung zur Verschuldung, und in guten Zeiten würden die Menschen sorglos. Gegen die Ausgabefreude des Parlaments habe schon sein Amtsvorgänger Otto Stich (SP) vergeblich angekämpft.

Mehr Ausgaben trotz Bremse

Die Wirtschaftskrise in den 1990er-Jahren trug zusätzlich zu einem starken Anstieg der Staatsverschuldung bei. Als Ausweg wurde die Schuldenbremse eingeführt. Sie ist nicht starr, sondern wirkt antizyklisch, wie Villiger betonte. In Krisenzeiten darf der Staat Defizite machen, die in Wachstumsphasen durch Überschüsse kompensiert werden müssen.

Diese Rechnung ist in den letzten 20 Jahren aufgegangen, dank einer langen Tief- oder sogar Negativzinsphase nach der Finanzkrise 2008 und dank sprudelnder Einnahmen. Seit der Einführung der Schuldenbremse seien die staatlichen Ausgaben von 50 auf über 80 Milliarden Franken angestiegen, sagte die heutige Finanzministerin Karin Keller-Sutter.

Sonderschulden wegen Corona

Kein Politikbereich ausser der Landesverteidigung habe durch die Schuldenbremse Nachteile erlitten, sagte ihr FDP-Kollege Kaspar Villiger. So hätten die Sozialausgaben weiter zugenommen. Ausserdem kann das Parlament mit qualifiziertem Mehr (mindestens der Hälfte der Mitglieder von National- und Ständerat) ausserordentliche Ausgaben beschliessen.

Rayneli Brandenberger, Pflegefachfrau HF, spritzt einer Frau eine dritte Covid-19 Impfung als Booster-Impfung, im Referenz-Impfzentrum des Kantons Zuerich beim Zentrum f
Zur Bewältigung der Coronapandemie beschloss der Bund ausserordentliche Ausgaben von fast 30 Milliarden Franken.Bild: keystone

Diese Ausnahme wurde für unvorhergesehene Situationen wie schwere Rezessionen oder Naturkatastrophen eingeführt. Dazu kann man die Coronapandemie zählen, die zu einer «Sonderverschuldung» von fast 30 Milliarden Franken geführt hat. Eine «Ergänzungsregel» von 2009 verlangt, dass sie mittelfristig über den ordentlichen Haushalt kompensiert wird.

«Neue Ausgaben und Begehren»

Der Bundesrat hat letztes Jahr dafür einen Zeithorizont bis 2035 vorgegeben, doch ob diese Rechnung aufgeht, ist zumindest fraglich. Für die NZZ steht die Schuldenbremse nach 20 Jahren womöglich «vor ihrem bisher grössten Stresstest». Denn der Bund sei «mit einer Vielzahl neuer Ausgaben und Begehren konfrontiert», bestätigte Karin Keller-Sutter.

So will der Bundesrat eine Kapitalspritze für die SBB von 1,2 Milliarden Franken im Jahr 2024 ebenfalls ausserordentlich verbuchen, obwohl man kaum von einer Ausnahmesituation sprechen kann. Die NZZ spricht von Tricks. Und in den nächsten Jahren drohen satte Mehrausgaben im In- und Ausland, zum Leidwesen der Finanzministerin.

Der Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Suessli, im Interview vor einem Piranha IV bei der Praesentation der Armeebotschaft 2023, am Donnerstag, 23. Maerz 2023 auf dem Waffenplatz in Thun. (KEYSTON ...
Die Armee soll mehr Geld bekommen. Armeechef Thomas Süssli weiss auch schon, was er damit anfangen will.Bild: keystone
  • Das Militär war das «Hauptopfer» der Schuldenbremse. Jetzt hat der Wind gedreht. Als Folge des Ukraine-Kriegs beschloss das Parlament einen Anstieg der Armeeausgaben bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also von knapp sechs auf acht Milliarden Franken pro Jahr. Der Bundesrat will dieses Ziel erst 2035 erreichen.
  • Der Bund beteiligt sich mit rund 20 Prozent an den AHV-Ausgaben. Wegen der Demografie werden sie weiter ansteigen. Keller-Sutter möchte auf die Bremse treten, doch ein moderater Sparvorschlag wurde prompt an die Medien «durchgereicht».
  • Im Parlament hängig sind Forderungen, der Bund müsse mehr Geld für Kitas und Prämienverbilligungen (mit der SP-Prämieninitiative als Druckmittel) ausgeben. In beiden Fällen bremst der Ständerat, dennoch sind Mehrausgaben absehbar.
  • Der Klimaschutz geht ebenfalls ins Geld. Das im Juni angenommene Klimagesetz enthält zwei Milliarden Franken für den Ersatz von Öl-, Gas- und Elektroheizungen. Hinzu kommen Subventionen für den Ausbau erneuerbarer Energien.
  • An der letztjährigen Klimakonferenz in Sharm el Scheich wurde ein Fonds beschlossen, mit dem ärmere Länder für die von den Industriestaaten verursachten Klimaschäden entschädigt werden. Das betrifft auch die Schweiz. Wer wie viel zahlen soll, ist noch unklar.
  • Gefordert sein wird die Schweiz beim Wiederaufbau der Ukraine. Sie steht unter Druck aus dem Ausland. Wenn sie kein russisches Geld konfiszieren will, muss sie selber zahlen. Die vom Bundesrat beschlossenen 1,8 Milliarden Franken werden bei Weitem nicht ausreichen.
  • Absehbar ist, dass die Schweiz in Zukunft einen höheren Kohäsionsbeitrag an die EU zahlen muss. Die EU-Kommission hat entsprechende Erwartungen formuliert, und die Gewerkschaften erhoffen sich damit Konzessionen beim Streitthema Lohnschutz.

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auf die «Sparfüchsin» Karin Keller-Sutter kommen schwierige Zeiten zu. «Wir stehen an einem Wendepunkt», sagte sie am Dienstag in Bern. Im Budget 2024 könne die Schuldenbremse noch eingehalten werden, aber für die Zukunft stellte sie Sparmassnahmen in Aussicht.

«Die strengste der Welt»

Für Kritiker ist die Schuldenbremse Teil des Problems. Sie sei «die strengste der Welt», meinte der Lausanner Ökonom Marius Brülhart an einer Podiumsdiskussion. In Deutschland und Österreich, wo nach Schweizer Vorbild eine Bremse eingeführt wurde, sei eine gewisse Neuverschuldung erlaubt. Die Schweiz aber verlange unter dem Strich Überschüsse.

Brülhart wünscht sich stattdessen mehr Spielraum für Steuersenkungen, doch das ist Wunschdenken. Ein Vertreter des Bundes sagte am Dienstag im Gespräch mit watson, man müsse auch über Mehreinnahmen nachdenken. So sei die Schweizer Mehrwertsteuer im internationalen Vergleich niedrig. Anders lasse sich die Schuldenbremse schwer einhalten.

Die Schuldenbremse mag in den letzten 20 Jahren eine Erfolgsgeschichte gewesen sein, doch nun stösst sie zunehmend an ihre Grenzen. Mit «Tricks» wie ausserordentlichen Ausgaben verschafft man sich höchstens etwas Zeit. Am Ende wird die Rechnung fällig – und der Schweiz droht die Vertreibung aus dem finanzpolitischen «Paradies».

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Schlechte Noten für den Bundesrat – gleich vier ungenügend
1 / 10
Schlechte Noten für den Bundesrat – gleich vier ungenügend
Nur noch jeder zweite ist mit der Arbeit des Gesamtbundesrats laut einer neuen Umfrage zufrieden oder eher zufrieden. Ende 2021 lag dieser Wert noch 15 Prozentpunkte höher. Doch nicht nur das Gesamtgremium, auch die einzelnen Bundesräte büssten seit Dezember 2021 an Beliebtheit ein, wie aus einer am 29. August 2022 publizierten Umfrage von Tamedia und «20 Minuten» hervorgeht.

quelle: stefano spinelli
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Keller-Sutter legte einen Start-Ziel-Sieg hin
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
176 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Peter Vogel
07.09.2023 09:48registriert Juni 2020
Das System funktioniert offenbar. Auch kommende (mehr-)kosten wird man so mittelfristig kompensieren können. Wenns etwas viel auf einmal ist dauerts halt einfach länger. Der Schweiz geht es im grossen und ganzen gut, nur die Gelder sind nicht mehr so gleichmässig verteilt wie früher. Bei den Immobilienkonzernen gäbe es sicher noch die eine oder andere Milliarde zu holen. Ach ja, und: Finger weg vom Mittelstand.
12511
Melden
Zum Kommentar
avatar
Antinatalist
07.09.2023 09:40registriert September 2019
Man muss es wieder mal sagen: Die Mehrwertsteuer ist die unfairste Steuer aller Steuern. Der Multimilliardär bezahlt für denselben Warenkorb genau gleich viel wie dessen Putzfrau.
15769
Melden
Zum Kommentar
avatar
Rethinking
07.09.2023 12:43registriert Oktober 2018
Erhöht die Steuern doch für Unternehmen, für Personen mit mehr als 10 Mio Vermögen und für Personen mit mehr als 500k Einkommen…

Statt immer auf dem kleinen Bürger rum zu trampeln…
9614
Melden
Zum Kommentar
176
Es braucht Geduld – zehn Kilometer Stau vor dem Gotthard

Der Reiseverkehr in den Süden ist am Samstag vor dem Gotthard-Strassentunnel ins Stocken geraten. Zwischen Altdorf und Göschenen im Kanton Uri stauten sich die Fahrzeuge am frühen Nachmittag auf der Autobahn A2 auf einer Länge von vorübergehend bis zu 15 Kilometern.

Zur Story