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Schweizer Armee: Chef will noch dieses Jahr Drohnenabwehr.

Armeechef Süssli will Abwehrdrohnen – noch dieses Jahr

Polen, Dänemark, Deutschland: Überall gibt es Drohnenalarm. Auch über Meiringen habe es mehr Drohnenflüge gegeben als bisher angenommen, sagt Armeechef Thomas Süssli. Er handelt nun.
03.10.2025, 17:4003.10.2025, 17:40
Othmar von Matt / ch media
Russland mache die Zeit in der Ukraine zu einer Waffe, sagt Armeechef Thomas Süssli.
Thomas Süssli will bei der Drohnenabwehr handeln.Bild: CH Media

«Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht im Frieden»: Das sagte der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz am Montag. Hat er Recht?
Thomas Süssli: Das trifft die Situation sehr genau. Das entspricht auch unserer Auffassung.

Es gab Drohnenalarm in Polen, dazu drangen drei russische Kampfjets 12 Minuten in estnisches Territorium vor. Was ist da los?
Das ist Teil des hybriden Konflikts. Erstens geht es wohl um «Probing»: Russland sondiert, stellt den Westen auf die Probe, will sehen, wie die Nato-Länder reagieren.

Und zweitens?
Geht es um Beeinflussung. Möglicherweise will Russland Angst säen im Westen.

Ist Westeuropa und die Schweiz auf solche hybriden Konflikte vorbereitet?
Für mich zeigte sich auf dem Sicherheitsforum von Warschau Anfang Woche, dass in den letzten Jahren in Europa viel gesprochen wurde, jetzt aber Taten folgen. Aus einem hybriden Konflikt kann schnell ein konventioneller Konflikt werden. Nachrichtendienste, Verteidigungsminister und Armeechefs in Europa fürchten, dass Russland ab 2028 bereit sein könnte, den Konflikt militärisch eskalieren lassen könnte. Europa muss alles unternehmen, dass es nicht so weit kommt.

Hat das die Schweiz realisiert?
Ich habe den Eindruck, dass die Botschaft bei uns noch nicht wirklich angekommen ist – nicht im gleichen Ausmass wie in Europa.

Die Gefahr rückt aber näher. In der Nacht zum Freitag wurden am Flughafen München Drohnen gesichtet, weshalb Flüge gestrichen werden mussten und Passagiere strandeten.
Auch wir sind das Ziel von Desinformation, Beeinflussung und Spionage. Sabotageaktionen gab es in der Schweiz bislang nicht. Kürzlich stellten wir jedoch fest, dass über dem Flugplatz in Meiringen mehr Drohnen fliegen als uns bewusst war.

Wissen Sie, wer die Drohnen gesteuert hat?
Nein.

Aber Sie wissen, um was für Drohnen es sich handelt?
Wir gehen von kleinen kommerziellen Drohnen aus, die jeder und jede kaufen kann.

Heisst das, in Meiringen könnten auch Jugendliche einen Streich gespielt haben?
Ich würde es anders formulieren: Es gibt mehr Drohnenflüge, als wir ursprünglich angenommen haben.

Ein aufgebockter Tiger auf dem Militärflugplatz von Meiringen.
Bild: Roland Schmid
Über dem Militärflugplatz Meiringen sind auch schon Drohnen gekreist.Bild: CHMedia/Roland Schmid

Und wie wollen Sie reagieren?
Wichtig ist, dass wir – auch rechtlich – die Grundlagen dafür schaffen, gegen solche Drohnen vorgehen zu können. Um Klarheit zu bekommen, wer sie zu welchem Zweck einsetzt. Daran arbeiten wir.

Sie gaben Ihren Rücktritt als Armeechef bekannt auf Ende 2025. Im Juni schrieben Sie noch ein Manifest mit der Schlussfolgerung: «Die Zeit drängt.»
Sie drängt definitiv. Als der Krieg am 24. Februar 2022 nach Europa zurückkehrte, war die Schweizer Armee auf die wahrscheinlichsten Einsätze ausgerichtet: In erster Linie sollte sie die zivilen Behörden unterstützen. Die Verteidigung sollte nur noch als Kompetenz erhalten bleiben. Das war ein bewusster Entscheid. Inzwischen hat sich die Bedrohungslage massiv verändert, doch die Armee entspricht dieser Lage nicht. Mit meinem Manifest weise ich auf diesen Graben hin.

Im Manifest fällt ein Satz auf: «Die Verantwortung für die Beurteilung der Risiken und Bedrohungen der Schweiz liegt bei den politischen Behörden.» Kann man da Bedauern oder Kritik herauslesen?
Die Armee muss sich immer auf die Bedrohung ausrichten, welche die Politik wahrnimmt. Ausdruck davon ist der sicherheitspolitische Bericht. Der letzte erschien 2021, noch vor dem Krieg. Seither hat sich enorm viel verändert. Jetzt wird dann die sicherheitspolitische Strategie herauskommen. Sie gilt als neue Grundlage für die Ausrichtung der Armee.

Ist es für Sie falsch, dass die Politik die Ausrichtung der Sicherheitspolitik entscheidet?
Nein, keinesfalls. Das muss so sein. Wir sind ein demokratischer Staat. Da gilt immer das Primat der Politik.

Die Schweizer Politik richtet sich aber im Wettstreit zwischen Finanz- und Sicherheitspolitik finanzpolitisch aus.
Die Politik wägt die verschiedenen Interessen des Landes ab. Es obliegt tatsächlich der politischen Stufe zu entscheiden, wie die Bedrohungswahrnehmung im Vergleich zum strukturellen Defizit der Schweiz ist. Es ist eine absolut politische Einschätzung und auch der Entscheid ist politisch.

Das kann Ihnen als Armeechef nicht gefallen.
Als Armeechef ist es meine Aufgabe aufzuzeigen, was unsere Armee heute kann und wo wir militärisch stehen mit der Beschaffung der verschiedenen Systeme. Das mache ich mit meinem Manifest.

Wo steht die Schweiz?
Im Bereich Cyber brauchen wir uns nicht zu verstecken. Im Bereich Luft sind wir auf die neuen Systeme angewiesen, die unterwegs sind. Und am Boden machen wir mit dem Rüstungsprogramm 2025 einen Schritt vorwärts. Das alles reicht aber nicht aus für die veränderte Bedrohungslage.

Sie warnten sofort nach dem 24. Februar 2022, die Armee könne im Kriegsfall höchstens einen Monat durchhalten. Was ging damals in Ihnen vor?
Stellen Sie sich vor, Sie stehen irgendwo in der Verantwortung. Dann ändern sich die Voraussetzungen plötzlich grundlegend. Sie verfügen zwar über das entsprechende Wissen, sagen aber nichts…

…das konnten Sie nicht mit Ihrem Gewissen vereinbaren?
Ich kann doch in einer solchen Situation nicht einfach nichts sagen. Das wäre unhaltbar gewesen.

Sie haben sehr viel politischen Einfluss genommen. Das wurde Ihnen angekreidet. War das richtig?
Die Geschichte und die Zeit wird zeigen, ob es richtig war.

Eine Aufklaerungsdrohne startet auf dem Waffenplatz, am Mittwoch, 18. Juni 2025, in Thun. Mit Scout 25 praesentiert armasuisse Wissenschaft und Technologie (W+T) mit Unterstuetzung der Schweizer Armee ...
Die Schweizer Armee hat auch eigene Drohnen. Hier eine über dem Waffenplatz Thun im Juli 2025.Bild: keystone

Haben Sie für sich selbst ein reines Gewissen?
Heute sage ich: Ich hätte vielleicht sogar mehr machen können oder machen müssen. Ich wies allerdings immer wieder sachlich auf den Graben hin zwischen Bedrohung und Fähigkeiten der Armee. Mit dem Schwarzbuch «Die Verteidigungsfähigkeit stärken» zeigten wir auch Lösungen auf. Zudem stellten wir intern komplett auf Verteidigung um.

Die grösste Sicherheitslücke besteht in der Luft. Verteidigungsminister Martin Pfister sagte offen, die Schweiz könne keine Drohnen abschiessen. Muss da nicht dringend etwas geschehen?
Ja, es muss. Leider verzögert sich unser Beschaffungsprogramm für die Boden-Luft-Abwehr grosser Reichweite. Wir beschaffen zurzeit aber auch Boden-Luft-Raketen für die mittlere Reichweite.

Diese Systeme sind gegen Marschflugkörper und Lenkwaffen gedacht, weniger gegen Drohnen.
Drohnen fallen vor allem in den unteren Luftraum kurzer Reichweite. Den wollen wir doppelt schützen: mit einem System kurzer Reichweite und mit einer Drohnenabwehr.

Denken Sie an Skyranger von Rheinmetall, eines der wenigen effizienten Abwehrsysteme gegen Drohnen?
Skyranger ist in aller Munde, viele Armeen evaluieren dieses System. Das ist aber eine ballistische Lösung. Für hybride Situationen wie Drohnen über Flugplätzen ist es nicht geeignet. Da braucht es andere Mittel.

Welche?
Wir sind in der Schweiz führend in Sachen Drohnentechnologie. Da zeigt sich: Abwehrdrohnen könnten eine gute Lösung sein gegen solche Drohnen. Das zeichnet sich für uns ab. Deshalb prüft das Bundesamt für Rüstung Armasuisse solche Technologien gerade im Auftrag der Armee.

Abwehrdrohnen gegen andere Drohnen: Wie muss man sich das vorstellen?
Diese Drohnen nehmen über ihre Sensorik gegnerische Drohnen wahr, steigen sehr schnell sehr hoch auf und bekämpfen gegnerische Drohnen physisch. Solche Drohnen werden zurzeit in anderen Armeen erprobt. Auch Schweizer Firmen verfügen über die entsprechende Technologie.

Wann wäre ein solches System einsetzbar?
Die Zeit drängt. Wir arbeiten deshalb direkt mit Start-Ups zusammen. Wir passen auch die Beschaffungsprozesse an, um das System schnellstmöglich zu entwickeln oder zu evaluieren und einzuführen.

In einem halben Jahr?
Als Nutzer sage ich: Ehrlich gesagt lieber dieses Jahr als erst nächstes Jahr.

Die Armee will auch Angriffsdrohnen einführen. Wo stehen Sie da?
Wir haben letztes Jahr eine Task Force Drohnen gebildet. Sie will innerhalb von drei Jahren ein System von Angriffsdrohnen entwickeln. Dafür arbeiten wir mit kleinen Start-Ups und mit Hochschulen wie der ETH Zürich zusammen. Wir entwickeln eine Lösung mit der Schweizer Industrie.

Drei Jahre sind lange im aktuellen Umfeld.
Das stimmt. Für unsere Verhältnisse sind sie trotzdem kurz. Generell sind die immer kürzeren Innovationszyklen aber eine grosse Herausforderung. Früher dauerten Innovationen Jahre, dann Monate, Anfang 2025 in der Ukraine 8 bis 12 Wochen. Heute spricht man noch von Tagen. Wir können uns keine langjährigen Beschaffungsprozesse mehr leisten für Drohnenabwehrsysteme.

Was können diese Angriffsdrohnen?
In der Ukraine werden heute bis zu 80 Prozent aller Schläge auf gegnerische Systeme von Angriffsdrohnen verursacht. Personen mit Virtual-Reality-Brillen steuern sie, als ob sie selbst in den Drohnen sässen. Das macht diese Drohnen sehr präzise.

Was erreichen sie?
Sie sind enorm flexibel, können etwa in die offene Luke eines gegnerischen Kampfpanzers eindringen und ihn zerstören. Eine solche Drohne kostet 500 Dollar. Die Ukraine produziert mehrere tausend Stück pro Tag.

Bis wann wollen Sie diese Angriffsdrohnen haben?
Wir möchten spätestens 2027 ein eigenes System haben. Dafür haben wir im Heer ein Drohnen- und Robotikzentrum gebildet. Es soll die Truppen für den Kampf mit Drohnen im Verbund mit anderen Waffensystemen trainieren. Wir profitieren vom Wissen von Hochschulen und Start-ups. Einige sind so gut, dass sie ihren Geschäftssitz wegen der Dual-Use-Problematik ins Ausland verlegen mussten – weil sie jetzt auch Kriegsdrohnen herstellen.

Um wie viele Drohnen geht es?
Militärs sprechen nicht gerne über Zahlen. Aber wir wollen genug Drohnen für die Ausbildung und für eine minimale Bevorratung. Entscheidend ist: Wir entwickeln die Drohnen nicht selbst. Die gibt es schon. Wir entwickeln das System dazu.

Werden in der Armee heute Drohnenspezialisten ausgebildet?
Wir haben einen Pilotversuch am Laufen: In einer Rekrutenschule fassen wir jene Soldaten zusammen, die an Drohnen ausgebildet werden.

Wie viele sind das?
Einige Dutzend bisher. Wir wollen diese Basis schnell verbreitern. Ich kann mir vorstellen, dass wir Verbände von Drohnenspezialisten schaffen, sobald wir das System der Angriffsdrohnen einsetzen.

Der Kampfjets F-35 ist wichtig für die Luftverteidigung. Er ist aber sehr umstritten. Priska Seiler-Graf, Präsidentin der Sicherheitskommission, kritisiert, die USA unter Donald Trump hätten sich «vom Rechtsstaat verabschiedet». Können Sie guten Gewissens Kampfjets in den USA kaufen?
Es ist nicht an mir, die aktuelle politische Lage in den USA zu beurteilen. Bei unserer Evaluation hat sich der F-35 als bestes Flugzeug herausgestellt. Zwölf europäische Länder haben den F-35 beschafft. Damit kann man sagen: Der F-35 ist auch ein europäisches Flugzeug. Er war von Beginn an ein internationales Projekt, wird auch in Japan und Italien produziert.

In Ihrem Manifest schreiben Sie, der F-35 sei allen anderen Kampfjets deutlich überlegen.
Der F-35 hat einzigartige Fähigkeiten wie etwa die Tarnkappen-Eigenschaft. Im Luftkampf hat er eine Killer-Ratio von 20:1. Auf einen abgeschossenen F-35 schiesst er also 20 gegnerische Kampfjets ab. Dazu ist der F-35 ein fliegendes Frühwarn- und Kontrollsystem. Er erstellt ein konsolidiertes Luftbild und ein Bild der Gesamtlage – und er erkennt Marschflugkörper und Drohnen.

A U.S. F-35 fighter jet lands at José Aponte de la Torre Airport in Ceiba, Puerto Rico, Friday, Sept. 19, 2025. (AP Photo/Alejandro Granadillo)
Puerto Rico U.S. Military
Süssli hält am F-35 fest: Es sei der beste Kampfjet, den die Schweiz bekommen könne.Bild: keystone

Am Sicherheitsforum von Warschau zeigten sich die Aussenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands überzeugt, dass Russland den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen kann. Teilen Sie diesen Optimismus?
Ich würde Russland auf keinen Fall unterschätzen. Russland vergrössert gerade seine Armee von 1,1 auf 1,5 Millionen Soldaten. Zudem gibt es Hinweise, dass in den reaktivierten Militärbezirken Leningrad und Moskau entlang der Grenze zu den baltischen Staaten massiv Führungsanlagen, Truppenunterkünfte und logistische Einrichtungen gebaut werden. Gemäss einer Aussage im US-Senat hat Russland 2024 1500 Kampfpanzer produziert. Ein grosser Teil ging an die neu gebildeten Grenzkräfte. Und Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt. Dahinter steckt eine langfristige Strategie.

Der polnische Aussenminister ging noch weiter. Er sprach von Signalen aus China. Möglicherweise ändere es seine Position zu Russland.
Betrachtet man die geopolitische Lage tatsächlich aus einer übergeordneten Perspektive, sieht es anders aus. Ich besuchte kürzlich in Südkorea unsere Schweizer Soldaten an der Grenze zu Nordkorea. Da zeigte sich, dass sich die Welt in zwei Lager aufteilt. China und immer mehr Staaten auch des globalen Südens lehnen die regelbasierte Weltordnung der USA und von Europa ab. Russland wirkt in dieser Grosswetterlage eher wie ein lokales Unwetter. Es wird aber von Nordkorea und von China unterstützt. All diese Konflikte sind miteinander verbunden. Das macht die Welt viel gefährlicher.

Hatten Sie als Armeechef teilweise schlaflose Nächte?
Der Druck ist hoch in einer solchen Funktion. Man legt die Verantwortung abends nicht mit der Uniform ab. Das spürte ich im März 2020, als die Armee bei Covid gefragt war. Und als ich am frühen Donnerstagmorgen des 24. Februar 2022 die Rede von Wladimir Putin sah, war mir sofort klar: Das verändert die Welt und damit die Schweiz und ihre Armee.

Kommunikation war für Sie immer wichtig. Was hat sie gebracht?
Ich habe jede Möglichkeit genutzt, um zu informieren. 2024 hatte ich über 100 Auftritte – vor zusammengezählt 14'000 Menschen. (bzbasel.ch)

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