Das Rückgrat des Schweizer Bahnnetzes muss gestärkt werden
Der Bundesrat hat die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) im Rahmen des Projekts «Verkehr 45» mit einer Expertise zur Zukunft des Verkehrs beauftragt.
Professor Weidmann und sein Team haben vor einigen Tagen eine Analyse vorgelegt, die einen wichtigen technischen Meilenstein darstellt. Nun ist die Politik am Zug. Nach Jahrzehnten intensiver Investitionen in die Nord-Süd-Achse ist es an der Zeit, den Blick fokussiert auf die Ost-West-Achse zu richten – das eigentliche Rückgrat der Mobilität in der Schweiz.
Mit dabei: Nicolas Feuz (Schriftsteller), Anne Challandes (Schweizer Bauernverband), Roger Nordmann (Berater, ehem. SP-Nationalrat), Damien Cottier (FDP), Céline Weber (GLP), Karin Perraudin (Groupe Mutuel, ehem. CVP), Samuel Bendahan (SP), Claude Ansermoz (ehemaliger Chefredaktor von «24 Heures»), Ivan Slatkine (Präsident der FER) und die QoQa-Otte.
Erhebliche Verzögerungen
In den letzten Jahrzehnten sind die Achse Genf–Lausanne–Bern und die Jurafusslinie auf der Strecke geblieben, und ihre Modernisierung ist zu einer nationalen strategischen Aufgabe geworden. Tatsache ist, dass sich entlang der Ost-West-Achse der Grossteil der Bevölkerung, der Arbeitsplätze und der wirtschaftlichen Aktivitäten des Landes konzentriert.
Sie verbindet Genf, Lausanne, Bern mit Zürich, der Ostschweiz und Basel. Gleichzeitig öffnet sie die Schweiz einerseits in Richtung Paris, Südfrankreich und Spanien sowie London und Benelux und andererseits in Richtung Deutschland, Nordeuropa und Österreich. Sie ergänzt die Verbindungen nach Italien, die ebenfalls weiter modernisiert werden müssen, insbesondere die Simplon-Strecke. Auf der Ost-West-Hauptachse werden zudem die regionalen Verkehrsnetze miteinander verbunden.
Ein Hindernis für Wirtschaft und Entwicklung
Doch diese Achse stösst heute an ihre Grenzen: Die mühsame Erstellung des Fahrplans 2025 hat gezeigt, dass ohne erhebliche Investitionen in der Westschweiz keine zusätzlichen Kapazitäten möglich sind. Die Streichung einer stündlichen Direktverbindung zwischen Genf und Neuchâtel–Biel–Zürich verdeutlicht diese Grenze: weniger Angebote, schlechtere Anschlüsse, geringere Belastbarkeit.
Die Situation steht im Gegensatz zu den Zielen von «Bahn 2000», einem Projekt, das vor fast 40 Jahren vom Volk angenommen wurde: Während die Reisezeiten zwischen Bern und Zürich, Bern und Luzern oder Bern und Basel um 15 Minuten verkürzt wurden, sind sie seit 2005 auf der Achse Bern–Genf um 10 Minuten gestiegen!
Dieser Rückstand bei den Investitionen – aber auch der mangelnde Unterhalt der Strecken in der Romandie – wirkt sich negativ auf die wirtschaftliche Attraktivität, die Anschlüsse und das Potenzial für eine Verkehrsverlagerung auf die Schienen aus, das dort weiterhin höher ist als anderswo in der Schweiz. Dass ab Dezember eine direkte Verbindung Lausanne–Biel–Basel wieder eingeführt wird, ist zwar eine gute Nachricht, doch das reicht nicht aus.
Mehr Kapazitäten, mehr Redundanzen
Um die Bahn für 2050 auszubauen, muss man:
- 🚄 Die Kapazitäten für Personen- und Güterverkehr erhöhen.
- 🔁 Redundanzen schaffen, insbesondere auf der Strecke Lausanne–Genf, der einzigen wichtigen nationalen Achse ohne alternative Route.
- 🕒 Die Reisezeiten zwischen den grossen Zentren verkürzen (eine Stunde zwischen Lausanne und Bern oder Biel).
- 🧭 Die Anschlüsse in Bern und Lausanne verbessern.
Was die Jurafusslinie betrifft, so muss diese wettbewerbsfähig bleiben, indem Engpässe (Bussigny, Vauseyon) beseitigt werden, um Basel und Zürich auch über diese Achse gut mit Genf und Lausanne zu verbinden und die Städte des Jurabogens (Biel, Delémont, La Chaux-de-Fonds) optimal an das übrige nationale Schienennetz anzuschliessen.
Es geht nicht darum, die Westschweiz zu bevorzugen – auch in anderen Regionen, insbesondere natürlich in der Deutschschweiz, wird es grosse Investitionen geben. Es geht vielmehr darum, ein objektives Ungleichgewicht auszugleichen: In den vergangenen Jahrzehnten wurden im Westen der Schweiz weniger Unterhalt und Investitionen in die Bahn getätigt – eine Region, die daher ihren Rückstand aufholen und ihre Investitionen fortsetzen muss, um weiterhin effizient an den Rest des Landes angeschlossen zu sein … und die Schweiz nach Nordwest- und Südwesteuropa hin ans europäische Schienennetz anzubinden.
Eine ehrgeizige nationale Vision für 2050
«Bahn 2000» und die Alpentransversalen wurden durch eine gemeinsame nationale Vision und langfristige Finanzierung möglich. Die Bahn von morgen lässt sich nicht durch einzelne, immer teurere und komplexere Projekte bauen: Es bedarf einer klaren nationalen Vision, die die Ost-West-Achse ins Zentrum der Strategie für 2050 stellt und die das Verkehrsangebot und nicht die Infrastruktur in den Mittelpunkt rückt.
In die Bahn – als Ergänzung zum Strassenverkehr – zu investieren, bedeutet, in die Lebensqualität, den Klimaschutz und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu investieren. Es bedeutet, auch in Zukunft eine effiziente und nachhaltige Mobilität zu ermöglichen, die Verlagerung des Verkehrs auf die Schienen zu stärken und alle Regionen besser miteinander zu verbinden.
2050 mag weit entfernt scheinen. Doch die Entscheidungen werden heute getroffen. Nach der Expertenanalyse liegt es nun an den Kantonen, dem Bundesrat und dem Parlament, mit Weitsicht die Weichen zu stellen. Dazu gehört die Stärkung der Ost-West-Achse – des eigentlichen Rückgrats unseres Landes.
