SVP-Imark in der «Arena»: «Ich weiss nicht, was es aus eurer Sicht zu jammern gibt»
In der politischen Schweiz sorgt ein Verkehrsgutachten seit Tagen für Aufsehen. Bundesrat und Uvek-Vorsteher Albert Rösti hatte es Anfang Januar beim ETH-Professor Ulrich Weidmann in Auftrag gegeben. Am Donnerstag stellte dieser die Resultate der Öffentlichkeit vor.
Diskutiert wird der Weidmann-Bericht nicht nur wegen seiner vermutlich weitreichenden Folgen für die Schweizer Verkehrspolitik der kommenden 20 Jahre. Kontrovers ist auch: Der Bericht bringt Autobahnausbauprojekte zurück auf die Agenda, die das Stimmvolk an der Urne bereits abgelehnt hat.
Am Ende entscheidet die Politik, ob sie den Empfehlungen des Verkehrsexperten Weidmann folgt. Das Parlament wird voraussichtlich 2027 darüber beraten.
In der «Arena» vom Freitagabend debattierten vier Nationalrätinnen und Nationalräte bereits jetzt über die Frage: Wie weiter beim Verkehr?
- Philipp Kutter, Nationalrat Die Mitte/ZH und Präsident Verkehrskommission Nationalrat
- Gabriela Suter, Nationalrätin SP/AG
- Christian Imark, Nationalrat SVP/SO
- Florence Brenzikofer, Nationalrätin Grüne/BL
Mario Grossniklaus moderierte die Sendung.
Wie visionär ist «Verkehr 2045»?
Zwei Spielzeuge standen sich an diesem Abend im Studio gegenüber: ein Mini-Auto und eine Mini-SBB-Lokomotive. Symbolisch für die Frage im Raum: Was soll für den Schweizer Verkehr Priorität haben?
Der Bund hat ein Problem: Es sei nicht genügend Geld für alle geplanten Ausbauprojekte im Schienen- und Strassenverkehr da, zwei Drittel von rund 500 müssten daher zurückgestellt werden.
Hier kam Verkehrsexperte Ulrich Weidmann ins Spiel: Er sollte in seinem Gutachten priorisieren, welche Nationalstrassen-, Bahn- und Agglomerationsprojekte den grössten Nutzen für die Schweiz hätten – und welche Ausbauprojekte bis nach 2045 warten könnten.
Wurde bisher über Schienen- und Strassenprojekte in der Regel separat beraten, denkt der Forschungsbericht «Verkehr 2045» erstmals beides zusammen.
Ziemlich visionär, fand Moderator Mario Grossniklaus – doch SP-Nationalrätin Gabriela Suter widersprach. Es handle sich vielmehr um eine Auslegeordnung bereits geplanter Projekte als um eine visionäre Studie für die Zukunft des Schweizer Verkehrs.
Alles andere als visionär sei zudem, dass bereits vom Stimmvolk abgelehnte Autobahnprojekte wie der Rheintunnel in Basel oder der Ausbau des Rosenbergtunnels in St.Gallen im Weidmann-Bericht zur nationalen Priorität erklärt worden seien.
Diese Meinung teilte auch Grünen-Nationalrätin Florence Brenzikofer: «Das ist inakzeptabel.» Zum Bericht äusserte sie sich dennoch verhalten optimistisch, weil ein Grossteil der Ausgaben im Bericht dem öffentlichen Verkehr vorbehalten ist.
Schiene vs. Strasse
Wie schwer es der ganzheitliche Ansatz von Bahn- und Strassenprojekten im Parlament haben dürfte, zeigte sich kurz darauf. Moderator Mario Grossniklaus fragte die Grünen-Nationalrätin Florence Brenzikofer nach ihrer Unterstützungsbereitschaft für einen Strassenausbau: «Würden Sie auch bei einem Ausbau der Strassen mitmachen?» Brenzikofer erwiderte, ohne zu zögern: «Nein, ganz und gar nicht!»
SVP-Nationalrat Christian Imark fiel es zunehmend schwer, seine Entrüstung über die Aussagen von links zurückzuhalten.
Denn: Für die Bahnprojekte seien im aktuellen Bericht bereits deutlich mehr Mittel vorgesehen als für den Strassenausbau, merkte Imark an.
Christian Imark (SVP): «Meine Leute stehen im Stau»
Weidmann skizziert im Bericht zwei finanzielle Szenarien: in einem stehen den Bahnprojekten 14 Milliarden Franken zur Verfügung, im anderen 24 Milliarden. Letzteres würde einer Aufstockung der Mittel bedürfen, zum Beispiel über die Mehrwertsteuer. Für den Ausbau der Nationalstrassen sind 9 Milliarden Franken vorgesehen.
Imark räumte ein, dass es wohl im Sinne der Bevölkerung sei, mehr Geld in Bahnprojekte zu investieren als in die Strassen – «das gebe ich offen zu». Deswegen überhaupt nicht in die Strassen zu investieren, wie es Brenzikofer zuvor angedeutet hatte, sei aber keine Lösung.
Imark zu Hilfe kam Mitte-Nationalrat Philipp Kutter. Kutter, Präsident der nationalrätlichen Verkehrskommission, wies auf den brüchigen Kompromiss für die Unterstützung für Strassen- und Schienenbauprojekte im Parlament hin. Bis zum vergangenen Herbst habe im Parlament ein Konsens geherrscht: Grundsätzlich investiere man mehr in den Bahnausbau, vernachlässige dafür aber Strassenprojekte nicht komplett. Als eine Allianz von linksgrünen Organisationen und Parteien im vergangenen Herbst das Referendum beim Autobahnausbau ergriffen habe, sei dieser Konsens in Schieflage geraten. Kutter warnte:
Und dann wurde Kutter grundsätzlich. Mobilität und Verkehr bildeten einen wichtigen Pfeiler des Schweizer Wohlstands: «Mobilität ist ein Teil unseres wirtschaftlichen Erfolges.» Und dieser habe seinen Preis.
Philipp Kutter (Mitte): «Es geht nicht ohne Strassenverkehr»
Die Stimmung kippt – ein Lichtblick bleibt
Die Mobilität in der Schweiz, wie Moderator Mario Grossniklaus anhand von Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigte, findet heute zu einem grossen Teil auf den Strassen statt. Ganze 73 Prozent machte der motorisierte Individualverkehr 2023 aus.
Philipp Kutter von der Mitte-Partei blieb dabei: «Öffentlicher Verkehr ist effizienter und besser fürs Klima.» Es sei darum richtig, dass die Politik den öffentlichen Verkehr priorisiere – und gleichzeitig den autofahrenden Teil der Bevölkerung nicht vergesse.
Hier schaltete sich SP-Nationalrätin Gabriela Suter wieder ein und plädierte für längerfristige Investitionen.
Die Aufgabe der Verkehrspolitik sei es, visionär vorauszudenken, wie sich die Schweizer Bevölkerung in 20 Jahren fortbewegt.
Gabriela Suter (SP): «Ein Schienenprojekt hat für mehrere Jahrzehnte Bestand»
Ausserdem gelte es, Klima- und Mobilitätsziele einzuhalten, ergänzte die Grünen-Nationalrätin Florence Brenzikofer. Von Klimazielen wollte SVP-Nationalrat Christian Imark jedoch nichts wissen. Diese würden sich mit der zunehmenden Elektromobilität ohnehin erübrigen, meinte Imark, der selbst ein Elektroauto besitzt.
Die Debatte wurde zu diesem Zeitpunkt bereits so emotional geführt, dass kaum ein Satz zu Ende gesagt werden konnte, ohne dass die Gegenseite unterbrach. Die Stimmen: laut.
Als eine Stunde um war und das Thema Tempo 30 die Gemüter zum Schluss noch einmal gehörig erhitzte, sagte Suter, sichtlich genervt:
Grossniklaus schloss sich ihr an: «Ich auch – weil ich nichts mehr verstehe!»
Hier hat Gabriela Suter (SP) genug – und Moderator Mario Grossniklaus auch:
Dazwischen gab es aber einen Lichtblick: nämlich dann, als Grossniklaus nach kreativen Lösungen für den Strassen- und Schienenverkehr fragte. Da zeigte sich: Die Verkehrspolitikerinnen und -politiker haben durchaus klare Visionen.
Kutter schlug vor, den privaten Freizeitstrassenverkehr durch spezielle ÖV-Angebote zu verringern, zum Beispiel mit direkten Verbindungen in Skigebiete. Suter sprach sich derweil für Homeoffice-Tage zur Entlastung der Pendelstrecken aus. Und Brenzikofer dachte über Carsharing und Mobility-Pricing nach.
Laut, emotional, heftig: So war die «Arena» zur Zukunft des Schweizer Verkehrs. Es dürfte nur ein Vorgeschmack darauf gewesen sein, was das Parlament – und uns alle – übernächstes Jahr bei der politischen Debatte erwarten wird.