Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat Anfang August sämtliche Corona-Impfstoffverträge der Schweiz offengelegt. Pikante Stellen wurden jedoch weiträumig geschwärzt. So bleibt bis heute unklar, zu welchen Konditionen die Eidgenossenschaft in den vergangenen zwei Jahren für mehrere hundert Millionen Franken Deals mit Pfizer, Moderna und Co. einging. Schuld an den grossräumigen Schwärzungen waren Geheimhaltungsvereinbarungen, die die Schweiz einging und angebliche «Berufs-, Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse der jeweiligen Hersteller».
Angeblich deshalb, weil das BAG bis heute nicht im Einzelfall darlegen wollte, welche konkreten Interessen durch behördliche Zensur geschützt werden mussten – und weshalb. Der Jurist und Solothurner SVP-Kantonsrat Rémy Wyssmann, der die Transparenz-Bemühungen als Erstes forderte, will diese Pauschalbegründung nicht akzeptieren. Er hat vor einigen Tagen ein neues Gesuch an die Bundesbehörden geschickt, in dem ein zweites Schlichtungsverfahren gefordert wird. Darüber berichtet hatte als Erstes der Nebelspalter.
Das «Schlichtungsgesuch» mag nach einem harmlosen bürokratischen Akt klingen, es ist aber ein notwendiger Schritt vor einem allfälligen Gerichtsverfahren: Erst wenn Adrian Lobsiger, der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (Edöb), noch einmal eine Empfehlung für (oder gegen) vollständige Transparenz abgibt, kann eine Verfügung des BAG an das Bundesverwaltungsgericht gezogen werden.
Die Position des Datenschützers dürfte zu Gunsten der Transparenz ausfallen. Anfang Januar 2022 empfahl er dem BAG, die Impfstoffverträge «unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips» offenzulegen. Wohl im Wissen, dass es zu grossräumigen Schwärzungen kommen könnte, schrieb er damals sinngemäss: Das BAG müsse bei einem allfälligen juristischen Streit genau und konkret («in der von der Rechtsprechung geforderten Begründungsdichte») aufzeigen, wieso welcher Absatz geschwärzt werden müsse.
Zu dieser Sisyphusarbeit wird das BAG nun gezwungen: Der Solothurner Jurist verlangte vom Datenschützer die Empfehlung, dass Schwärzungen nur zugelassen werden dürften, wenn im Vertrag «sensible Personendaten» erwähnt werden. Andernfalls müsse das BAG – so Wyssmanns Forderung – die Impfstoffverträge «integral offenlegen».
Der Kantonalpolitiker begründet sein Gesuch nicht nur mit viel Pathos («Als Bürger, Steuerzahler will ich wissen …»), sondern auch knallhart juristisch: Er verweist darauf, dass das Öffentlichkeitsprinzip eine «Absage an jede Form geheimer Kabinettsverwaltung» sei und Behörden aufgrund eines gerichtlichen Leitentscheids (sogenannte Präjudiz-Fälle) keine Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben dürften.
Er führt auch aus, dass seiner Ansicht nach kein Berufsgeheimnis (Pharmaunternehmen seien keine Ärztinnen oder Juristen) und auch kein Fabrikationsgeheimnis (diese beträfen nur die «technischen Seiten eines Produkts») gefährdet seien. Mögliche «Geschäftsgeheimnisse» sehe er nur «beim Kaufgegenstand, Kaufpreis oder Liefer- und Haftungsbedingungen» – diese müssten aber «detailliert» und «für jeden Hersteller einzeln» begründet werden. Im Gesuch kritisiert er: «Nicht einmal der Versuch eines solchen Nachweises wurde bis heute ansatzweise begonnen.»
Wyssmann glaubt ohnehin, dass dieser «Nachweis» gar nicht erbracht werden könne: Er erwähnt, dass in Brasilien und Albanien ähnliche Impfstoffverträge detailliert geleakt wurden – ohne dass auch nur eine Herstellerfirma einen Wettbewerbsnachteil erfahren hätte. Das Onlineportal des Satireblatts Nebelspalter spekulierte aufgrund einer Bildanalyse sogar, dass die Schweiz beinahe identische Verträge wie Brasilien und Albanien unterzeichnet hatte.
Wie geht es nun weiter mit den Impfstoffverträgen? Der Datenschützer des Bundes kündigte Anfang August an, sich zur Thematik aktuell nicht äussern zu wollen, da er seine «Unbefangenheit» gefährdet sieht. «Erst im Rahmen eines neuen Schlichtungsverfahrens würde der EDÖB seine Einschätzung in einer allfälligen Empfehlung abgeben», so die Stellungnahme gegenüber watson. Dieses dürfte in diesen Tagen formell eröffnet werden – sprich: Wyssmann, das BAG und der Datenschützer werden im Untergeschoss eines Behördengebäudes über Argumente dafür und dagegen streiten müssen.
Dabei wird es in erster Linie darum gehen, wie das BAG oder die Herstellerfirmen einzelne Schwärzungen begründen werden. Weigert sich das Bundesamt erneut, diese Fakten zu liefern, droht eine Ohrfeige vor den Bundesgerichten: 2015 stolperte mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine andere Bundesbehörde beim Versuch, ein Transparenzbegehren mit unzureichender Begründung abzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht beurteilte diese Taktik als schwerwiegende «Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör», weil nicht mal das Gericht so beurteilen konnte, ob das Seco gesetzeswidrig handelte oder nicht.
Als Konsequenz dieser unbegründeten Geheimniskrämerei wurde das Seco zwar nicht zur Transparenz verdonnert, es musste aber auf richterliches Verlangen nochmals begründen, wieso eine bestimmte Information geheim bleibt. Das Seco musste diesen Entscheid umsetzen, andernfalls wäre eine Klage wegen Rechtsverweigerung möglich gewesen.
Wiederholt sich diese Geschichte nun beim BAG, droht ein regelrechter Skandal: 2015 konnte dem Seco noch zugesprochen werden, dass das Öffentlichkeitsprinzip vergleichsweise jung war. Es trat erst 2006 in Kraft und Gerichte mussten zuerst durch Urteile eine Praxis entwickeln, was bei der Verhinderung von Transparenz noch erlaubt ist.
Diese Grundsatzurteile wurden in der Zwischenzeit jedoch gefällt, womit die Rechtsabteilung des BAG im Bilde darüber war, dass Transparenzbegehren nur «in der von der Rechtsprechung geforderten Begründungsdichte» abgelehnt werden dürfen.
Gerne den selben Effort, wenn es dann mal wider um die Offenlegung der Parteifinanzierung gehen sollte!
«Als Bürger, Steuerzahler will ich wissen …» wie viel Spenden die grösste Partei der Schweiz von wem erhält.
Wyssmann als SVP-ler und Transparenz-Begehrer könnte da Überzeugungsarbeit leisten in seiner Partei. Oder ist auch er nur ein Opportunist?