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Die Wahlen 2007
waren ein Triumph für die SVP. Ihre Kampagne hatte sie mit Slogan «Blocher stärken! SVP wählen!» gänzlich auf ihren Übervater ausgerichtet. Vier Jahre zuvor hatte Christoph Blocher
für seine Partei einen zweiten Sitz in der Landesregierung erobert,
zu Lasten der CVP und ihrer Bundesrätin Ruth Metzler. Im Vorfeld der
Wahlen war über eine mögliche Retourkutsche spekuliert worden, doch
nach dem Sieg der SVP mit fast 29 Prozent schien der Fall klar: «Die
Abwahl von Christoph Blocher ist kein Thema mehr», hiess es in den
Medien.
Dann kam alles ganz
anders.
Blochers Amtsführung
hatte zunehmend für Unmut gesorgt: Wiederholt hatte er das
Kollegialprinzip verletzt und sich ständig in die Geschäfte der
übrigen Bundesräte eingemischt. Weitere Elemente kamen hinzu. Eine
Woche vor der Bundesratswahl am 12. Dezember 2007strahlte das
Schweizer Fernsehen einen Film aus, in dem Blochers älterer
Bruder Gerhard eine bedenkliche Gesinnung offenbarte und damit bei
vielen Menschen für Entsetzen sorgte.
Zu jenem Zeitpunkt
war die «Verschwörung» zur Abwahl von Christoph Blocher bereits
im Gang. Der Ablauf lässt sich rekonstruieren, auch wenn über
einzelne Punkte widersprüchliche Versionen vorliegen. Wichtigster
Gewährsmann ist der frühere Bündner SP-Nationalrat Andrea
Hämmerle, der seine Sicht 2011 im Buch «Die Abwahl» niedergeschrieben hat.
Während der
Sommersession 2007 findet im Dachstock des Bundeshauses eine Sitzung
des SP-Präsidiums statt. Ein Thema sind die Bundesratswahlen. Die SP
will die Wiederwahl von Christoph Blocher verhindern und eine
Gegenkandidatur aus der SVP lancieren. Vize-Fraktionschef Hämmerle
bringt laut eigenen Angaben die Bündner Finanzdirektorin Eveline
Widmer-Schlumpf ins Spiel. Der damalige SVP-Präsident Ueli Maurer
hatte sie 2003, als über Anwärter für einen zweiten SVP-Sitz
spekuliert worden war, selber als «sehr valable Kandidatin» bezeichnet.
Im Hotel Stern in
Chur findet ein Abendessen der Bündner Regierung mit
der Bundeshausdelegation des Kantons statt. Dabei soll Andrea
Hämmerle die Finanzdirektorin «beiläufig» auf eine mögliche
Sprengkandidatur angesprochen haben. Mehr sei in jenem Rahmen nicht
möglich gewesen. Was genau abläuft, ist unklar. Sicher ist, dass
die SP danach ihren Coup zur Blocher-Abwahl vorantreibt. Alles hängt
von der CVP ab. Fraktionschefin Ursula Wyss kontaktiert ihren CVP-Kollegen Urs Schwaller und informiert ihn über die «Geheimoperation».
Die Grünen
lancieren den Waadtländer Ständerat Luc Recordon als
Kampfkandidat gegen Bundesrat Blocher. Ernst meinen sie es damit
nicht. «Wir wollten die SP und CVP zur Aktion provozieren», sagte
der Genfer Nationalrat Ueli Leuenberger später der NZZ am
Sonntag.
Am Samstag vor der
Wahl telefoniert Andrea Hämmerle mit Eveline Widmer-Schlumpf. In dem
rund 20-minütigen Gespräch weiht er sie erstmals ausführlich in
die Abwahlpläne und in die Möglichkeit ein, dass ihr Name als
Alternative ins Spiel gebracht wird. Sie nimmt es laut seinen Angaben
zur Kenntnis, sagt aber nicht Nein.
Hämmerle fürchtet,
dass Widmer-Schlumpfs Name durch eine Indiskretion an die
Sonntagspresse gelangt ist. Stattdessen bringt sich CVP-Präsident
Christophe Darbellay in der «SonntagsZeitung» selber als
Kampfkandidat in Stellung. Glaubt er tatsächlich an diese Chance,
oder handelt es sich um eine Nebelpetarde? Die Interpretationen gehen
auseinander, doch der gewünschte Effekt tritt ein: Niemand spricht
an diesem Tag über Eveline Widmer-Schlumpf.
Die Spitzen von SP
und CVP treffen sich zu einer Sitzung. Die Sozialdemokraten stellen
klar, dass sie geschlossen für Widmer-Schlumpf votieren werden.
Damit spielen sie den Ball der CVP zu.
Hämmerle telefoniert über Mittag mit der Bündner Regierungsrätin und informiert sie über den Stand der Dinge. Erneut bleibt Widmer-Schlumpf passiv. Am Nachmittag tagen die Fraktionen. Jene von CVP, EVP und GLP führt eine anonyme Probeabstimmung zu den sieben Bundesräten durch. Blocher wird von einer Mehrheit abgewählt.
Fraktionschef Urs Schwaller informiert Ursula Wyss. Die SP interpretiert das Ergebnis als Signal zum Angriff. Spekulationen über mögliche Namen werden vom Zürcher Nationalrat Mario Fehr per Ordnungsantrag unterbunden. Wenige Stunden vor der Wahl soll nichts nach draussen gelangen.
Für einmal trägt
die Nacht vor der Wahl den ominösen Namen völlig zu recht. Andrea
Hämmerle liegt im Bett, er hat seine Stimme verloren, was er als «psychisch bedingt» interpretiert. Zuvor informiert er
Widmer-Schlumpf in einer E-Mail über die neusten Entwicklungen. Die
Grünen sichern den Rückzug der Kandidatur Recordon zu, doch es
bleibt unklar, ob es zu einer Mehrheit für Widmer-Schlumpf
reicht. Deshalb werden freisinnige National- und Ständeräte aus der Westschweiz
und dem Tessin «bearbeitet», um mögliche CVP-Abweichler zu
kompensieren.
Nun kursiert auch
der Name Widmer-Schlumpf. SVP-Präsident Ueli Maurer erfährt davon
und telefoniert um 23.45 Uhr mit der Bündnerin. Um 1 Uhr treffen sich Christophe Darbellay, Ueli Leuenberger und die beiden Freiburger SP-Parlamentarier Christian Levrat und Alain Berset in der
Bar des Hotels Bellevue. Das welsche Quartett besiegelt
das Komplott gegen Blocher, doch noch steht nicht fest, ob für die
Abwahl genügend Stimmen vorhanden sind.
Nach einer kurzen
Nacht treffen sich die Fraktionen um 7 Uhr ein letztes Mal. Die
Sitzungen von FDP und SVP dauern nur kurz. Offenbar nimmt man eine
Kandidatur von Eveline Widmer-Schlumpf auf die leichte Schulter.
Bei CVP, SP und Grünen hingegen lassen die Fraktionschefs die Masken
fallen, sie stimmen ihre Leute auf die Wahl der Bündner
Regierungsrätin ein. Andrea Hämmerle telefoniert erneut mit ihr.
Um 8 Uhr beginnt das
Wahlprozedere. Der Waadtländer Kommunist Josef Zysiadis macht seinem
Ruf als Sololäufer alle Ehre, er eilt ans Mikrofon und verkündet
die Kandidatur von Eveline Widmer-Schlumpf. Die «Verschwörer» halten den Atem an: Platzt das Komplott in letzter Minute? Als SVP-Fraktionschef Caspar Baader jedoch in
der Folge eine Lobrede auf Christoph Blocher hält,
kippt die Stimmung endgültig. Bereits im ersten Wahlgang erhält
Eveline Widmer-Schlumpf 116 Stimmen. Im zweiten Durchgang ist sie mit
125 zu 115 Stimmen gewählt. Bei der Ankunft in Bern bittet sie um einen Tag Bedenkzeit.
Die Unsicherheit
hält an. Die CVP beschliesst, bei einer Absage der Bündnerin von
der SVP eine Alternative zu Christoph Blocher zu fordern. Im Fall
einer Weigerung soll Fraktionschef Urs Schwaller als Gegenkandidat
antreten. Es kommt nicht soweit. Am Morgen wird Widmer-Schlumpf
gemeinsam mit ihrer Familie im Zug nach Bern gesichtet. Ein sicheres
Indiz für das, was kommt. Sie tritt im Nationalratssaal ans Mikrofon
und verkündet: «Ich erkläre Annahme der Wahl.» Christoph
Blocher hält eine wütende Abschiedsrede.
Einige Umstände des Wahlkrimis bleiben diffus. Der im März 2008 ausgestrahlte SRF-Film «Die Abwahl» suggeriert, dass Widmer-Schlumpf aktiver in das Komplott involviert war, als von Andrea Hämmerle behauptet. Aussagen von Christophe Darbellay und Ursula Wyss deuten darauf hin. Wie es wirklich war, kann wohl nur die abtretende Bundesrätin erklären. Sofern sie das irgendwann will.