Der Bundesrat will die Organisation «Lies!» vorerst nicht verbieten, die in Schweizer Städten Korane verteilt. Er begrüsst es aber, wenn die Kantone die Bewilligung für Standaktionen verweigern. Und er stellt eine Gesetzesänderung zum Organisationsverbot in Aussicht.
Der Bundesrat äussert sich in seiner am Donnerstag veröffentlichten Antwort auf eine Motion von SVP-Nationalrat Walter Wobmann (SO). Er beantragt dem Parlament, diese abzulehnen. Wobmann will den Bundesrat beauftragen, die Organisation «Lies!» zu verbieten und Koran-Verteilaktionen zu unterbinden.
Die als salafistisch eingestufte Organisation «Lies!» werde mit der Verbreitung von dschihadistischem Gedankengut in Verbindung gebracht, argumentiert Wobmann. Die Koran-Verteilaktionen dienten dazu, junge Leute zu umwerben und für den Dschihad zu gewinnen.
Der Bundesrat stellt das nicht in Abrede. Er beurteile es als wahrscheinlich, dass die Kampagne «Lies!» zur Radikalisierung von Personen und deren Rekrutierung für dschihadistisch motivierte Reisen beitrage, schreibt er.
Zwar hätten bis heute keine direkten gewaltextremistischen oder terroristischen Tätigkeiten mit Bezug zur Kampagne «Lies!» festgestellt werden können. Ein wesentlicher Anteil von mutmasslichen oder erwiesenen Schweizer Dschihadreisenden habe aber Bezüge zu «Lies!».
Für ein Verbot fehlten allerdings Belege für eine existierende Organisationsstruktur in der Schweiz, schreibt der Bundesrat. Sollte trotzdem ein Verbot ausgesprochen werden, müsste jeweils bewiesen werden, dass die betroffene Person Mitglied der Organisation sei.
Eine Hürde stellen auch die im neuen Nachrichtendienstgesetz verankerten Voraussetzungen für ein Organisationsverbot dar. Aus Sicht des Bundesrates ist der Artikel unklar formuliert. Er werde rasch eine Revision veranlassen, damit die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Organisationsverbotes gewährleistet seien, kündigt der Bundesrat an.
Gemäss dem heute geltenden Gesetzesartikel kann der Bundesrat eine Organisation oder Gruppierung verbieten, welche mittelbar oder unmittelbar terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten propagiert, unterstützt oder in anderer Weise fördert und damit die innere oder äussere Sicherheit konkret bedroht.
Im Artikel steht aber auch, dass sich ein Verbot auf einen entsprechenden Beschluss der UNO oder der OSZE stützen muss. Diese Bestimmung will der Bundesrat ändern.
Bereits heute möglich ist ein Tätigkeitsverbot für Personen, die sich an Koranverteilaktionen beteiligen, wenn dadurch eine Bedrohung der Sicherheit entsteht und die Tätigkeit dazu dient, terroristische Umtriebe zu propagieren oder in anderer Weise zu fördern. Der Nachrichtendienst prüft deshalb laut dem Bundesrat, ob Personen diese Voraussetzungen erfüllen und beantragt gegebenenfalls Verbote.
Der Bundesrat hält auch fest, er begrüsse und unterstütze Anstrengungen der zuständigen Behörden der Kantone und Gemeinden, Standaktionen von «Lies!» zu unterbinden, indem sie die polizeilichen Bewilligungen verweigerten.
Gleichzeitig weist er in seiner Antwort darauf hin, dass Koran-Verteilaktionen für sich alleine genommen keine Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz darstellten.
Die Meinungsäusserungs- und Religionsfreiheit sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit seien verfassungsmässig geschützte Rechte. Eine Einschränkung dieser Grundrechte müsse sich auf eine gesetzliche Grundlage stützen, durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt werden und verhältnismässig sein. (whr/sda)