Der Tag der
Entscheidung steht bevor und die Hektik nimmt zu. In den
Sonntagsblättern wurden Szenarien für mögliche
SVP-Sprengkandidaten erörtert. Dahinter steckt nicht nur ein Missbehagen über die Blocher-Partei und die
quasi-diktatorische Art, mit der sie via Ausschlussklausel die Wahl
eines nicht genehmen Bewerbers in den Bundesrat verhindern will.
Auch die von ihr
präsentierte Auswahl erzeugt bei den anderen Parteien wenig
Begeisterung. Zwar hat die SVP drei Kandidaten nominiert, doch gegen
alle gibt es Vorbehalte. Der Zuger Thomas Aeschi gilt als
streberhafter Blocher-Zögling, Norman Gobbi werden seine
Zugehörigkeit zur Regionalpartei Lega dei Ticinesi und rassistische «Jugendsünden» vorgeworfen, der Waadtländer Guy Parmelin steht
mit Fremdsprachen auf Kriegsfuss und wird generell als farblos
empfunden.
«Peinlich genug,
dass es der SVP in acht Jahren nicht gelungen ist, einen
überzeugenden Kandidaten aufzubauen», kommentierte das «Bündner
Tagblatt». Trotzdem ist es wenig wahrscheinlich, dass sich am
Mittwoch ein «Aussenseiter» durchsetzen wird. Die Gründe:
Die Medien brachten mehrere Sprengkandidaten ins Spiel. Die meisten winkten
jedoch ab, etwa der Bündner Nationalrat Heinz Brand oder der Zuger
Regierungsrat Heinz Tännler. Der Fokus richtet sich deshalb auf den Kanton Schaffhausen, der noch nie im Bundesrat vertreten war. In
der «NZZ am Sonntag» tauchte mit Regierungsrätin Rosmarie Widmer
Gysel ein neuer Name auf, doch sie stellte klar, dass sie eine Wahl
ablehnen würde. Ständerat Hannes Germann äusserte seinen Unmut
über das Prozedere seiner Partei, will sich aber nicht verheizen
lassen.
Nationalrat Thomas
Hurter scheint dagegen die Türe einen Spalt offen zu lassen. Im
links-grünen Lager traut man ihm offenbar am ehesten zu, dem Druck
seiner Partei widerstehen zu können. Wird sein Ausschluss jedoch
nicht rückgängig gemacht, hat die Schweizer Politik das gleiche
Problem wie in den letzten acht Jahren: Die SVP ist im Bundesrat
untervertreten und wird dies als Vorwand für ihre Oppositionspolitik
verwenden. Und der Neue bleibt ein Einzelkämpfer.
Zweimal in den
letzten 15 Jahren wurde ein SVP-Mitglied in den Bundesrat
gewählt, das nicht offiziell nominiert worden war: 2000 Samuel
Schmid und 2007 Eveline Widmer-Schlumpf. Mit der Klausel, die den
automatischen Ausschluss vorsieht, will die Partei ein solches
Szenario verhindern. Präsident Toni Brunner bekräftigte diese
Position in der «SonntagsZeitung» und
ermahnte die anderen Parteien: «Im Sinne der Stabilität und den
anstehenden grossen Problemen wäre es jedoch klüger, die SVP an der
Regierungsarbeit zu beteiligen.»
Das schliesst die
Möglichkeit nicht aus, dass die SVP die Wahl eines «wilden» Kandidaten zähneknirschend schlucken könnte. Immerhin
hat sie ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen, den Ausschluss
rückgängig zu machen. Die Wahrscheinlichkeit aber scheint gering,
denn mit der heutigen Konstellation kann sie eigentlich sehr gut
leben. Dies scheint vor allem bei den Mitte-Parteien die Motivation
zur Wahl eines Sprengkandidaten erheblich zu dämpfen.
Die CVP ist das
Zünglein an der Waage bei Bundesratswahlen. Bei der Wahl von Eveline
Widmer-Schlumpf und bei ihrer Wiederwahl vor vier Jahren spielte sie
die Schlüsselrolle. Nun scheint ihr die Lust auf solche Experimente
vergangen zu sein. «Wir halten nichts von der Variante mit
Sprengkandidaten», sagte Noch-Parteipräsident Christophe Darbellay
am Sonntag in der SRF-«Tagesschau». Auf dem SVP-Dreierticket gebe
es valabale Kandidaten, meinte er weiter.
Darbellays Aussage
allein muss nichts heissen. Doch Gespräche mit
CVP-Parlamentarieren bestätigen diesen
Eindruck. Der Wunsch, die SVP möge endlich Ruhe geben, überwiegt
alle anderen Erwägungen. Hinzu kommt, dass die Fraktion seit den
Wahlen kompakter, sprich rechter, geworden ist. Der linke Flügel
spielt im Bundeshaus kaum noch eine Rolle. Auch das spricht gegen die
Wahl eines inoffiziellen SVP-Bewerbers.
Die SP bemüht sich
eifrig um eine Sprengkandidatur. Parteichef Christian
Levrat bezeichnete es am Samstag als «Armutszeugnis», wenn die
wählerstärkste Partei des Landes ein solches Trio ins Rennen
schicke. Letzte Woche behauptete der Freiburger Ständerat, bei ihm
hätten sich zwei SVP-Politiker gemeldet und erklärt, sie würden
eine Wahl auch gegen den Willen ihrer Partei annehmen. Ob dies
zutrifft, bleibt offen. Im Vorfeld von Bundesratswahlen wird ein
kreativer Umgang mit den Fakten betrieben.
Levrats markige
Worte können jedenfalls nicht kaschieren, dass «seine Partei noch
kein Rezept gefunden hat, wie sie dem SVP-Diktat entgehen könne»,
so die «Berner Zeitung». Ohne Kandidaten und Verbündete bleibt
sie machtlos. Unklar ist auch das Verhalten ihres wichtigsten
Partners. Die Grünen haben angekündigt, keinesfalls einen
SVP-Kandidaten wählen zu wollen. Fraktionschef Balthasar Glättli
hat allerdings in dieser Frage eine gewisse Flexibilität angedeutet.
Selbst wenn sich die
Grünen ab dem zweiten Wahlgang ins Geschehen einklinken, bleibt die
Strategie riskant. SP und Grüne kommen auf knapp 70 Stimmen, was
weit entfernt ist vom absoluten Mehr. Sie könnten damit aber die
Wahldynamik in eine unerwünschte Richtung lenken. Ohne linke Stimmen
könnte der «gemässigte» Guy Parmelin als erster über die
Klinge springen.
Falls die Linke zu
lange auf wilde Kandidaten setze, «gewinnt am Ende doch der stramm
rechte Aeschi», warnte der Politgeograf Michael Hermann im «Migros-Magazin». Die SP scheint sich dieser Gefahr bewusst zu
sein. Sie bereitet sich gemäss der «NZZ am Sonntag» auch darauf
vor, im Falle einer ordentlichen Wahl ihre Stimmen im Sinne einer
«Schadensbegrenzung» einzubringen. Davon würde vermutlich Parmelin
profitieren.
Unmöglich ist das
Szenario Sprenkandidat deswegen nicht. Eveline Widmer-Schlumpf befand
sich vor acht Jahren auf dem Radar, wirklich mit ihr gerechnet aber
hatte bis zum Wahltag kaum jemand. Trotzdem bleibt eine Wiederholung
wenig wahrscheinlich, denn eine Person von ähnlichem Kaliber ist
nicht in Sicht. Die «Abweichler» von einst sind heute in der BDP.
Unmut hin oder her: Einer der drei SVP-Kandidaten dürfte am Mittwoch
das Rennen machen.