Covid-19 wird zur Normalität. Die Bevölkerung verhalte sich Sars-CoV-2 gegenüber inzwischen wie gegenüber anderen Viren auch, schreibt das Wissenschaftliche Beratungsgremium Covid-19 (WiBeG) des ETH-Rats. Epidemiologisch nimmt die Intensität der Omikron-Wellen ab. Währenddem infizieren aber andere respiratorische Krankheitserreger, insbesondere RSV, Influenza, Pneumokokken und Streptokokken der Gruppe A wieder vermehrt Menschen. Die Engpässe treten nicht mehr in den Intensivstationen, sondern eher auf Notfall- und Normalstationen sowie in Kinderkliniken auf.
Die Infektionskrankheiten müssen somit weiterhin überwacht werden. Doch seit der Bund die Covid-Testkosten nicht mehr übernimmt, fällt das Testen als Überwachungsinstrument weg. Die Nachfolgeorganisation der Covid-19-Taskforce macht deshalb Empfehlungen, oder «Handlungsoptionen mit Pro und Contra», wie Gian-Andri Casutt vom ETH-Rat sagt. Das sind Methoden und Instrumente, die dazu benutzt werden können, um die Zirkulation von Infektionskrankheiten zu überwachen.
Das aus 14 Mitgliedern bestehende Gremium unter Leitung von ETH-Professorin Tanja Stadler schlägt dafür sechs miteinander kombinierbare Handlungsoptionen vor.
Als eine Handlungsoption schlägt das Wissenschaftgremium vor, das Abwassermonitoring auszuweiten. Sodass in allen entnommen Proben die Virusmengen der wichtigsten Erreger bestimmt werden können. Das kostet allerdings mehr als die alleinige Untersuchung von Sars-CoV-2 an den meisten Standorten.
Zurzeit überwacht der Bund respiratorische Viren mit dem Sentinella-System, das auf den Daten der Hausarztpraxen basiert. Zudem werden an rund 50 Standorten Sars-CoV-2-Virenmengen im Abwasser gemessen. An sechs Standorten seit neuerem auch RSV und Influenza. Mit dem Abwassermonitoring können auch neu auftretende Mutationen und Varianten des Infektionsgeschehens sowie die Krankheitslast abgeschätzt werden. Insbesondere werden an sieben Standorten sowie in Proben aus Spitälern laufend Viren genomisch sequenziert.
Zusätzlich schlägt das Gremium vor, auch die Sequenzierung der wichtigsten viralen Erreger auszuweiten, nicht nur Sars-CoV-2 zu analysieren. Das bedeutet alle Proben aus den Abwasserproben anstelle eines Anteils davon. Auffällige Mutationen würden so schneller bemerkt. Aber auch hier steigen die Kosten durch diese Empfehlung.
Taucht eine neue besorgniserregende Variante auf, sollten Varianten-spezifische PCR-Tests zum Einsatz kommen und einzelne, spezifische Gene der Variante sequenziert werden. Zum Beispiel ein Spike-Gen von Sars-CoV-2. Dies ermögliche eine zeitnahe Verfolgung – mit der aktuellen Logistik vergehen rund zwei Wochen bis zu einem Resultat.
In London werden jede Woche 8000 bis 10'000 Tests einer Kohorte durchgeführt, also eine grössere Gruppe getestet. London habe etwa gleich viele Einwohner wie die ganze Schweiz, somit würde mit solchen Kohortentests die Situation und die Inzidenz auch in der Schweiz gut abschätzbar, schreiben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter des WiBeG. Sie fügen allerdings auch gleich zwei Minuspunkte an: Diese Option sei sehr aufwendig und teuer und zudem sei die Inzidenz unter Umständen für die Beurteilung der Virenzirkulation für einen einzelnen Tag nicht mehr so wichtig. Es reiche oft, wenn man wisse, ob der Trend nach unten oder oben gehe.
Auch für den Reiseverkehr macht das Gremium Empfehlungen und beruft sich auf das Vorbild der USA. Dort wird ein Teil der Einreisenden getestet und sequenziert, allerdings auf freiwilliger Basis. So kann die globale Zirkulation verschiedener Viren beobachtet werden.
Als weitere Option zur Überwachung der weltweiten Virenzirkulation wird schliesslich die Ausweitung des Abwassermonitorings auf Flughäfen und Flugzeuge empfohlen. Abwässer des Flughafens werden zu einer Kläranlage geleitet und können somit wie andere Abwässer untersucht werden. Allerdings weiss man aufgrund dieser Analyse nicht, mit welchem Flugzeug die Viren in die Schweiz gekommen sind. Aber durch solche Daten von Passagieren, die etwa von China nach Singapur, Japan oder Südkorea gereist sind, wisse man, dass in China momentan ähnliche Varianten wie im Rest der Welt zirkulierten. «Diese Optionen erlauben es also, Varianten aus Ländern zu überwachen, die selbst nur wenige Daten erheben oder zur Verfügung stellen», schreiben die Wissenschafter.
Die Entscheidung, welche Optionen umgesetzt würden, liege bei den Entscheidungsträgern. «Das sind je nachdem die Kantone oder das BAG, der Bund und andere», sagt Casutt vom Beratungsgremium. «Es ist uns aber wichtig, die Erkenntnisse transparent darzulegen, daher werden Berichte auch immer veröffentlicht und nicht nur der Politik und den Behörden präsentiert.» Was und wie die Empfehlungen umgesetzt werden sollen, liege dann im Ermessen der Politik, das sei nicht mehr Sache der Wissenschaft, sagt der Vertreter des ETH-Rats.