Die Infektionszahlen steigen wieder – und bringen manch eine Regierung zum Verzweifeln. Österreich greift zu radikalen Massnahmen und führt im Februar eine allgemeine Impfpflicht ein. In Deutschland muss sich wohl das Pflegepersonal bald impfen lassen (wie schon in Frankreich oder Italien) und selbst eine generelle Impfpflicht ist kein Tabu mehr.
Und in der Schweiz? Auch hierzulande kommt die Impfpflicht für bestimmte Gruppen wie Lehrpersonen oder Pflegende aufs Tapet. Einige befürworten ein Obligatorium nur hinter vorgehaltener Hand. Andere sprechen sich deutlich dafür aus. Zum Beispiel Mitte-Nationalrat Lorenz Hess. Er sagt:
Hess findet aber auch, dass die Ausweitung der Zertifikatspflicht sowie die Booster-Impfung Priorität haben müssten.
Auch FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann sagt:
Gleichzeitig schränkt er ein:
Auch ein Teil-Lockdown, wie zum Beispiel eine Ausgangssperre für Ungeimpfte, zieht er in Betracht. Portmann ist irgendwie also für die Teil-Impfpflicht, aber irgendwie auch (noch) nicht.
Das Schwadronieren kommt nicht von ungefähr: Die eingeschränkte Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen ist in der Schweiz ein Tabu. Wie man sich damit in die Nesseln setzen kann, zeigt auch das Beispiel von SVP-Präsident Marco Chiesa.
Dabei ist die Corona-Impfpflicht an bestimmten Orten oder für gewisse Berufsgruppen längst kein Tabu mehr. Bereits seit Monaten stellen die Genfer Spitex und das Genfer Universitätsspital (HUG) nur noch Personen ein, die gegen das Coronavirus geimpft sind.
Auch FDP-Nationalrat Philippe Nantermod weist darauf hin und sagt:
Beim Berufsverband für Pflegepersonal (SBK) weicht man der Frage nach einer Impfpflicht aus. «Aus fachlicher Sicht macht der schnelle Zugang zu einer dritten Impfung viel mehr Sinn», sagt Roswitha Koch und weist darauf hin: «Die Pflegenden sind müde, erschöpft und ausgelaugt.»
Auch Ruth Humbel, Präsidentin der Gesundheitskommission des Nationalrates findet, dass man die Pflegenden nicht vergraulen dürfe. Sie sagt aber auch:
Doch liesse sich eine Impfpflicht in der Schweiz überhaupt umsetzen? Zunächst einmal: Während umgangssprachlich oft die Rede von einer Impfpflicht ist, sprechen Juristen von einem Impfobligatorium. Diese Bezeichnung wird auch im Epidemiengesetz verwendet. Das Gesetz bildet die rechtliche Grundlage für ein Impfobligatorium. Kerstin Noëlle Vokinger ist Professorin für Gesundheitsrecht an der Universität Zürich. Sie hat sich ausführlich mit dem Epidemiengesetz befasst und sagt:
Für diesen Impfzwang fehle es in der Schweiz an einer gesetzlichen Grundlage.
Wie Vokinger sagt, hält das Gesetz fest, dass der Bundesrat in Absprache mit den Kantonen Impfungen für bestimmte Personengruppen für obligatorisch erklären darf, sofern sich die Schweiz – wie aktuell – in einer besonderen Lage befindet. Bei den Personengruppen kann es sich um «besonders exponierte Personen» handeln oder um solche, «die eine bestimmte Tätigkeit ausüben».
Auch die Kantone selbst haben die Möglichkeit, Impfobligatorien für bestimmte Personengruppen auszusprechen, sofern eine «erhebliche Gefahr» für die öffentliche Gesundheit besteht.
Doch auch wenn beispielsweise für alle Personen im Gesundheitswesen ein Impfobligatorium gelten würde, darf niemand gegen seinen Willen geimpft werden. Es gibt in der Schweiz keinen Impfzwang.
Das Nichtbefolgen des Impfobligatoriums könnte aber zu anderen Konsequenzen führen, wie den Erläuterungen zum Epidemiengesetz zu entnehmen ist. Dort heisst es beispielhaft:
Heisst: Wer als Pflegefachfrau auf einer Intensivpflegestation arbeitet und sich bei einem Obligatorium nicht impfen lassen will, muss damit rechnen, befristet im Büro zu arbeiten, anstatt Patienten auf der Station zu pflegen.
Eine weitere Möglichkeit wäre, im Falle eines Obligatoriums nicht geimpfte Personen zum Testen zu verpflichten. Ob auch Bussen oder Entlassungen in Frage kämen, ist sowohl im Gesetz als auch in den Erläuterungen nicht geregelt.