Die Sommerwelle hat die Schweiz erfasst. Die Fallzahlen nahmen zuletzt rapide zu. Am 7. Juni wurden 53 Prozent mehr Fälle als in der Vorwoche gemeldet (Hospitalisationen −27 Prozent), am 14. Juni gab es nochmals 45 Prozent mehr als in der Vorwoche (Hospitalisationen +33 Prozent) und heute meldete das Bundesamt für Gesundheit BAG 24'704 neue Ansteckungen in der letzten Woche, was einer Zunahme von 56 Prozent zur Vorwoche entspricht. Die Hospitalisationen nahmen dagegen «nur» um 11 Prozent zu.
Fraglos: Die sechste Corona-Welle hat die Schweiz erfasst. Doch wie ist diese aktuelle Lage einzuschätzen?
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Die Fallzahlen waren nur zweimal höher als momentan: in der 2. Welle im Herbst 2020 und in der 5. Welle im Januar 2022. Der Grund dafür heisst insbesondere BA.5. Zusammen mit der Untervariante BA.4 breitet sich das Virus derzeit rapide aus. Epidemiologe Christian Althaus sagte vor einer Woche, dass er davon ausgeht, dass sich «rund 15 Prozent der Bevölkerung mit BA.5 infizieren» werden.
Die Fallzahlen alleine sind jedoch wenig aussagekräftig. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, da sich längst nicht mehr alle testen lassen (siehe Punkt 3).
Entscheidender für die Situation sind die Hospitalisationen. Diese nahmen in der Vorwoche zu und stiegen jetzt erneut (+11 Prozent), sie sind aber auf vergleichsweise tiefem Niveau.
Dass viele Fälle nicht unbedingt viele Hospitalisationen bedeuten, zeigt auch das Verhältnis zwischen Fallzahlen und Spitaleintritten. Dieses hat sich im Verlauf der Monate voneinander entkoppelt. Mussten in der zweiten Welle im Oktober 2020 pro 100 positiv Getesteten noch rund 5 Personen ins Spital, war es im Januar 2022 weniger als eine Person. Nach einem kleinen Anstieg liegen wir seit Ende Mai 2022 hier wieder deutlich unter 1.
Wie bereits erwähnt, wird kaum noch getestet. Aktuell sind es in der Schweiz so wenig Tests wie vor der zweiten Welle im Oktober 2020 letztmals.
Das dürfte sich in den nächsten Tagen etwas ändern, aber wie die extrem hohe Positivitätsrate zeigt, ist die Dunkelziffer der Fälle derzeit hoch. Die WHO nannte einst einen Wert ab 5 Prozent als problematisch, aktuell stehen wir wieder bei über 40 Prozent – und die Kurve geht steil nach oben.
Zu beachten gilt: Die Hospitalisationen steigen normalerweise leicht verzögert gegenüber den Fallzahlen. Wie sich dies in der BA.5-Welle entwickeln wird, bleibt noch abzuwarten. In Südafrika gab es kaum Spitaleinweisungen, in Portugal stiegen sie zuletzt deutlich an.
In der Schweiz zeigt sich derzeit: Es werden pro Fall tendenziell weniger Hospitalisationen nötig. Die erste Welle im März 2020 lassen wir hier ausser Acht. Damals wurde zu wenig getestet.
Indexiert man die positiven Tests und die Hospitalisationen an ihren Höchstwerten (Hospitalisationen 30. Oktober 2020, Fälle 24. Januar 2022) sieht man, dass in der zweiten, dritten und vierten Welle die Kurven praktisch parallel anstiegen und die Hospitalisationen die Fälle teilweise deutlich übertrafen.
In der 5. Welle war dies anders. Erst stiegen die Hospitalisationen an, doch dann «überholten» die Infektionsmeldungen die Hospitalisationen deutlich. Omikron brachte also weniger Menschen ins Spital.
Gründe für diese Entwicklung gibt es verschiedene. Die Impfkampagne wirkte, die Grundimmunisierung war auch bei Ungeimpften durch erlittene Corona-Erkrankungen vorhanden und das Virus fand dadurch kaum mehr Menschen, die nicht zumindest teilimmun waren. Zudem infizierten sich in der fünften Welle auch vermehrt Junge, welche grundsätzlich weniger häufig im Spital landeten.
Bleiben die Spitalzahlen tief oder hat jetzt die Trendwende angefangen? Epidemiologe Jan Fehr sagte im Interview mit watson, dass in der Tendenz eher Ungeimpfte (rund 30 Prozent der Bevölkerung) im Spital landen. Die Impfung schützt zwar aktuell nur sehr begrenzt vor einer Ansteckung, aber in den allermeisten Fällen vor einem schweren Krankheitsverlauf.
Fehr geht darum nicht davon aus, dass die Fallzahlen aktuell ähnlich steigen werden wie im letzten Herbst: «Die Ausgangslage ist ganz anders als damals. Praktisch die gesamte Schweizer Bevölkerung hatte schon auf irgendeine Weise Kontakt mit dem Coronavirus und Antikörper im Blut – sei es durch natürliche Infektion oder durch Impfung.»
Auch Virologin Isabella Eckerle hofft, dass die aktuelle Welle nicht sehr gross wird und sich nicht in den Spitälern niederschlägt, wie sie dem «Migros Magazin» erzählte. Risiken bleiben aber weiterhin bestehen, etwa für Long Covid, das noch immer einige Fragezeichen aufwirft.
Sie erklärte heute auch in einem langen Twitter-Thread, wie anhaltend die Immunität gegen Covid-19 sein dürfte und warum es nicht keinen Sinn macht, wenn man jetzt sagt: Ich stecke mich eh wieder an, dann lieber früher als später, damit ich eine langanhaltende Immunität aufbauen kann. Denn: «Jede Infektion bietet dem Virus Gelegenheit, neue Varianten auszubilden. Leider ist es nicht #COVID19 jetzt oder später, sondern jetzt UND später.»
Wie anhaltend ist die Immunität gegen saisonale Coronaviren & wie lange ist man nach einer Infektion geschützt? Was kann man daraus für #SARSCoV2 #COVID19 ableiten? Aus aktuellem Anlass hier ein interessantes Paper, was schon Ende 2020 publiziert wurde https://t.co/vioeHYq3S0 1/
— Isabella Eckerle (@EckerleIsabella) June 21, 2022
Auch für die ehemalige Präsidentin der Task-Force des Bundes, Tanja Stadler, ist im Interview mit dem «Blick» klar, dass eine Infektion jetzt nicht die Herbstwelle verhindert. «Es kann sein, dass die Welle etwas schwächer ausfällt. Möglich ist aber auch, dass wir bis dahin eine neue Variante haben, gegen die eine vorherige Infektion nicht viel nützt.» Immerhin sagt Stadler, dass sie mit der aktuellen Virusvarianten keine Überlastung der Intensivstationen befürchtet.
Aber seither hat es mich nie mehr erwischt. Und ich hoffe so sehr, dass es dabei bleibt.