«Das Covid-Zertifikat ist ein Segen». Das sagt der Zürcher Gastronom Michel Péclard, der 15 Bars und Restaurants betreibt. «Tonnenweise Anfragen für Weihnachtsessen» würden bei seinen Betrieben derzeit eingehen, weil sich die Leute abgesichert fühlten mit dem Zertifikat. «Wir mussten sogar zusätzliches Personal einstellen für die kommende Weihnachtszeit», sagt er auf Anfrage. Und kürzlich hätten sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Bonus ausgezahlt.
Dies, obwohl sie in diesem Jahr keine Staatshilfen erhalten hätten. Die Betriebe seien allesamt gewinnbringend gewesen: «Nach dem Shutdown sind die Leute in die Restaurants geströmt, sie hatten es satt, so oft zu Hause zu essen. Wir waren ständig ausgebucht und sind es weiterhin.» Hinzu komme, dass wegen der Abstandsregeln die Terrassen und Aussenflächen um 30 Prozent vergrössert werden durften.
Auch der Gastronom Stefan Ruprecht von der Berner Dampfzentrale hat bei drei von vier Betrieben mehr Umsatz erzielt. «Über die ganze Gruppe hat sich der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 12 Prozent gesteigert; gegenüber 2019 sind wir in etwa gleichauf», sagt er auf Anfrage.
Haben sich die Wirtinnen und Wirte also an die Zertifikatspflicht gewöhnt und machen damit sogar Umsatz? Wenn das so ist, wieso engagieren sich die Gastronomen nicht im Abstimmungskampf zum Covid-Gesetz, das am 28. November an die Urne kommt?
Bruno Lustenberger, Präsident des Aargauer Gastroverbandes, sagt: «Nicht alle Wirtinnen und Wirte sind gleich zufrieden mit dem Zertifikat; einige haben Umsatz gemacht, einige müssen grosse Verluste hinnehmen.»
Die Gastrobranche sei sehr divers und vielfältig, die Lebensrealitäten von Hoteliers, Wirtinnen und Barbetreibern sei nicht einfach zu erfassen. «Das Zertifikat hat für jeden Wirt andere Folgen», sagt er. Gasthöfe und Hotels in den Städten, wo die Impfquote hoch sei, oder an Orten, wo der Tourismus wieder spiele, seien der Zertifikatspflicht natürlich wohlgesonnen. «Aber die Betriebe, denen die Kundschaft jetzt fernbleibt, haben zu kämpfen; teilweise bricht ihnen die ganze Lebensgrundlage weg», so Lustenberger.
Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage des Verbands Gastrosuisse bei 2337 Mitgliedern. Demnach seien Betriebe in ländlichen Regionen am stärksten betroffen, mit durchschnittlichen Umsatzeinbussen von 31.5 Prozent. Besser ergehe es den Betrieben in den Seeregionen und den Städten. Allgemein haben seit Mitte September die Schweizer Gastrobetriebe im Durchschnitt 27.6 Prozent weniger Umsatz erzielt.
Viele Wirte zeigen sich besorgt wegen der sinkenden Temperaturen, der vielen Stornierungen und der aufgebrauchten Reserven. «Die Auswirkungen der Zertifikatspflicht sind einschneidend», sagt Casimir Platzer, Präsident von Gastrosuisse. Wieso hat der Verband trotzdem Stimmfreigabe für die kommende Abstimmung zum Covid-Gesetz beschlossen? «Gastrosuisse stellt sich nicht gegen das Covid-Zertifikat per se, sondern gegen dessen Ausweitung auf Restaurants und Kaffeehäuser, die für viele Menschen ein Ort des alltäglichen Lebens sind.»
Angesprochen darauf, dass viele Wirtinnen und Wirte gut mit dem Zertifikat auskommen, sogar viel Umsatz machen, sagt Platzer: «In der Umfrage sind es 3.4 Prozent, die im Vergleich zur Vorperiode einen Mehrumsatz gemacht haben, 15 Prozent verzeichnen keinen Rückgang, der Rest hat Umsatzeinbussen gemeldet. Die Umfrage bestätigt zudem, dass die Zertifikatspflicht Mehrkosten verursachte und eine Stornierungswelle auslöste.»
Er fordert vom Bundesrat eine Antwort auf die Frage: «Was braucht es für einen Ausstieg?» Man erhoffe sich Lockerungen so bald wie möglich und sei zuversichtlich, dass die epidemiologische Lage dies auch bald erlaube, so Platzer. «Wir hören unseren Mitgliedern zu und in meiner Funktion als Präsident habe ich alle Mitglieder zu vertreten.» (aargauerzeitung.ch)
Woran das wohl liegen könnte? 🤔