In den 90er-Jahren galt Snowboarden als die Trendsportart schlechthin. «Zusammen mit dem Inline-Skating [...] gehört Snowboard zu den grössten Gewinnern der 90er-Jahre», steht im grossen Schweizer Sport-Report aus dem Jahre 2000.
Es ist die Zeit, als Freestyle-Skifahren noch so aussah:
Mit dem Snowboard hingegen sah das so aus:
Kein Wunder also, dass die Sportart besonders bei Jungen beliebt war. Das Durchschnittsalter der Snowboarder in der Schweiz betrug damals laut dem Sport-Report 22 Jahre.
«Snowboarden ist kein Trend mehr, sondern Mainstream – mit allen negativen Folgen», schrieb die «SonntagsZeitung» 1999. Man hatte Angst vor zu viel Erfolg! Doch die Befürchtung war unbegründet. Bereits im Jahr darauf gingen die Snowboard-Verkäufe in der Schweiz erstmals zurück.
Es war der Anfang vom Ende und der Beginn meiner Bewältigungsarbeit.
«Täusch ich mich, oder sind dieses Jahr wieder weniger Snowboarder auf der Piste?», so etwa begann jeder Schneetag Anfang der 2000er-Jahre, als ich das Snowboarden lernte. «Nein, die sind halt alle neben der Piste», lautete die Antwort stets.
Der Niedergang wurde geleugnet. Schliesslich war Snowboarden erst gerade bei den olympischen Winterspielen aufgenommen worden. Doch eine Neuerfindung machte den Snowboardern schwer zu schaffen: Der Carving-Ski.
In den folgenden schneearmen Wintern begannen die ersten Snowboard-Pioniere wieder auf Skier umzusteigen. Nicht so ich. Ich hatte gerade meinen ersten Durchbruch und konnte schon die ersten «Bögli» schlagen.
Im Frühling 2004 platzte dann die Bombe, die sich nicht mehr leugnen liess: Der Dachverband Swiss Snowboard meldet Konkurs an. Nun werden Schweizer Snowboarder dem Ski-Dachverband Swiss Ski einverleibt. Eine Demütigung!
«Überall diese verdammten Skifahrer!», schrien wir uns gegenseitig auf dem Sessellift zu. Und es stimmte: Die Skifahrer machten nun den Snowboardern nicht mehr nur den Pulverschnee strittig, sondern auch die Hoheit über «Freestyle».
Freeskis kamen neu auf den Markt. Breite Skier, die sowohl vorne wie auch hinten angehoben waren. Damit konnte man problemlos auch rückwärts fahren. Diese Bretter flogen uns nun in den Fun-Parks, den Plätzen mit Schanzen und Rails, um die Ohren.
2010 wurde Freeski schliesslich auch vom Dachverband Swiss Ski offiziell aufgenommen. Im selben Jahr wurden an den olympischen Winterspielen in Vancouver zum ersten Mal neben Boardercross auch Medaillen im Skicross vergeben.
Mit dem Wandel im Freestyle begannen nun auch immer mehr Jugendliche, Ski und nicht mehr Snowboard zu fahren. Deshalb verschob sich auch das Durchschnittsalter im Snowboard. Von 2000 bis 2008 ist dieses laut dem Sport-Report 2008 von 22 auf 26 Jahre angestiegen.
Während sich das Skifahren immer grösserer Beliebtheit erfreute und um 3,8 Prozentpunkte zulegen konnte, dümpelte Snowboarden auf ungefähr dem selben Niveau wie 2000 herum. «Zu Tausenden wechselten junge Schneesportler in der vergangenen und der aktuellen Saison von einem wieder auf zwei Bretter zurück. Plötzlich will jeder ein ‹Freeskier› sein», schreibt das «St.Galler Tagblatt» 2010. Es war ein Trauerspiel.
«Sieht ja schon nicht schlecht aus», sagte ein Boarder-Kollege zu mir. Wir beobachteten gerade einen dieser «Freeskier». «Jaja», sagte ich aus Rücksicht auf den Freeskier-Kollegen, der mittlerweile oft mit uns mitkam.
Das Skifahren hatte nun endgültig seine «Renaissance». Laut dem Sport-Report 2014 verzeichnete das Skifahren im Vergleich zum Jahr 2008 einen Rekordzuwachs von 8,8 Prozentpunkten. Das Durchschnittsalter sank auf 42 Jahre.
Snowboarden war hingegen leicht rückläufig und auch das Durchschnittsalter stieg erneut um ein Jahr auf 28. Das merkten auch die Wintersporthändler. Immer mehr Grosshändler wie Ochsner Sport zogen sich aus dem Snowboardgeschäft zurück und fokussierten wieder mehr auf Ski.
Auf die Frage, ob der Ansturm auf Skier die Snowboarder in Zukunft von der Piste drängen wird, sagte Iouri Podladtchikov 2010 im «Tages-Anzeiger»: «Dadurch entstehen mehr Parks und Pipes, das bringt auch uns Snowboardern etwas. Boards wird es immer geben.»
Doch: «Mittlerweile ist Snowboard sogar von Langlauf überholt worden», sagte Marketingleiter Adrian Albrecht von Stöckli 2013 in einem Interview mit der «Neuen Luzerner Zeitung». Langlauf!
Auch die neuen Sessellifte richteten sich nach den Skifahrern aus und vergassen dabei die Snowboarder. Als ich in Obersaxen einen Sessellift bestieg, wunderte ich mich, als ich plötzlich eine Stange zwischen den Beinen hatte.
Als ich runterschaute, fand ich auch keine Stange, um mein Board zu deponieren. Nur zwei kleine Noppen waren jeweils links und rechts an der Stange angebracht. Perfekt, um bequem zwei Skier hinzustellen, zu klein aber für mein Brett. Ich fiel kurzzeitig in die zweite Phase zurück: Zorn.
«Du, ich fahr diese Saison glaub auch mal Ski», sagte mir mein treuester Boarder-Kollege zum Auftakt in die Wintersaison 2015/16. Für mich der Auftakt in die Snowboard-Depression. Auf der Suche nach neuem Glück entschloss ich mich, mir ein neues Brett zu kaufen.
Ich wusste natürlich nicht, dass mich diese bevorstehende Odyssee noch weiter in die Depression treiben würde. Ich begab mich also in einen nahegelegenen Ochsner Sport und fragte, was für Snowboards sie im Angebot hätten. Der nette Verkäufer führte mich vorbei an gefühlt tausend Regalen voller Skier zu einem verstaubten Regal ganz hinten im Laden. «Wir führen eigentlich nur noch ein einziges Modell», sagte er. Ich verliess ohne Worte und ohne Brett den Laden.
Das mit dem verstaubten Regal mag etwas übertrieben sein, doch tatsächlich ziehen sich immer mehr Grosssporthändler aus dem Snowboardverkauf und der Vermietung zurück. Stattdessen überlassen sie das Feld Spezialhändlern wie «Blue Tomato», der mittlerweile dem US-Unternehmen Zumiez gehört. Erst kürzlich eröffnete ein solcher Laden auch im Zürcher Niederdorf.
«Verkauf von Snowboards hat sich mehr als halbiert», titelt 20 Minuten, «Niemand will mehr snowboarden», heisst es auf FM1-Today, «Das Snowboard rockt nicht mehr», schreibt die Welt. Aus dem Trendsport wurde eine Randsportart.
Olympische Winterspiele in Pyoengchang 2018: Die Freeskierinnen Sarah Höfflin und Mathilde Gremaud holten im Slopestyle einen Doppelsieg für die Schweiz. Ich freute mich. Ein bisschen. Iouri Podladtchikov konnte wegen einer schweren Verletzung nicht teilnehmen.
Auch sonst machen die Snowboarder nur noch von sich reden, wenn sie wie Ester Ledecká im Super-G gewinnen. Doch man findet sich damit ab. Snowboarden zieht sich in seine Nische zurück, man bleibt unter sich.
Auch auf den Pisten sind die Horden kleiner Snowboarder und Snowboarderinnen längst wieder den Skischulklassen gewichen, die im Stemmbogen die Pisten verunstalten. Die wenigen Snowboarder, die sich noch auf den Pisten tummeln, sind meistens männlich und gegen die 30.
Es sind die letzten Felsen in der Skistock-Brandung, die manchmal verträumt auf die schneebedeckten Flächen blicken und sich zurückerinnern, als sie noch die Platzhirschen waren. Nun sind sie nur noch die Überbleibsel eines 90er-Jahre-Trendsports.
Doch wer weiss, vielleicht kommt mit dem 90er-Jahre-Comeback auch ein Snowboard-Comeback?