Zugegeben: Der Mensch ist ein Herdentier – und neugierig. Wenn das Blaulicht blinkt und sich auf der Strasse ein Drama abspielt, schauen wir natürlich hin. Nur: Wenn unsere Schaulust dazu führt, dass Rettungskräfte behindert werden, hört der Spass auf.
So wie jüngst auf der A1 bei Bern, als die Feuerwehr wegen Gaffern nicht schnell genug zu dem Auto kam, das gelöscht werden musste. Der Lenker konnte sich zwar unverletzt aus seinem Gefährt befreien – aber oft genug bringt die Neugier Menschenleben in Gefahr.
Die Polizei in Deutschland steht vor denselben Problemen – und hat nun gezeigt, wie man diese angehen kann. Der Tatort war in diesem Fall die A60 in Hessen. Ein Lastwagen raste in ein Stauende, prallte auf einen Sattelschlepper und fing Feuer. Der 59 Jahre alte Unfallverursacher bezahlte den Unfall mit seinem Leben.
Die Rettungskräfte hatten Mühe, den Ort des Geschehens zu erreichen – und dort angekommen ihre Arbeit zu verrichten. Aber die Polizei reagierte – und filmte die, die das Drama filmten und durchs Gaffen alles noch schlimmer machten. Als die lokalen Polizeireporter «Wiesbaden 112» darüber berichteten, gab es für die Aktion jede Menge Beifall.
Der Post auf der Facebook-Seite von «Wiesbaden 112» wurde über 65'000 Mal geliket. «Das ist mit Abstand unser erfolgreichster Beitrag», bestätigt Michael Ehresmann, einer der Betreiber der Seite. Seine Polizei-Reporter und er kennen das Problem mit den Schaulustigen aus eigener Erfahrung.
«Wir sind in der freiwilligen Feuerwehr aktiv: Zum einen muss man viel aufmerksamer sein, weil einem einer fast über die Füsse fährt, während er mit dem Handy beschäftigt ist. Zum anderen kommt es auf der Gegenspur oft zu Unfällen. Kollegen, die dringend gebraucht werden, kommen einfach nicht durch, weil sich unnötigerweise ein Stau gebildet hat. Das nervt einfach!»
Ist unterlassene Hilfeleistung ein Problem? Greifen die Leute eher zur Kamera als zu Verbandskasten? «Wir selbst haben so etwas noch nicht erlebt», antwortet Ehresmann. «Wir haben aber gerade von einem Fall in Mainz gehört, bei dem tatsächlich einem angefahrenen Fahrradfahrer nicht geholfen wurde, weil erstmal Bilder gemacht wurden. Die Mentalität hat sich leider dahingehend geändert.»
Vielleicht hilft eine Gegenmassnahme wie die der Polizei – und solche Posts wie von «Wiesbaden 112» – denn auf deren Facebook-Auftritt beantworten die Polizeireporter geduldig Fragen der User.
Einer will etwa wissen, «nach welchen Kriterien der Gesetzgeber zwischen einem Gaffer und einem normalen Bürger unterscheidet». Nüchtern wird erklärt, dass es zwei Tatbestände gibt: «Handy-Nutzung am Steuer und unnötiges Langsamfahren». Nur die, die wirklich stören, geraten ins Visier, beruhigt «Wiesbaden 112».
«Wir haben versucht, Klarheit zu schaffen, weil es immer zu Missverständnissen kommen kann, wenn nur ein Bild und drei, vier Zeilen gepostet werden. Vor allem die, die energisch schreiben, tun das aus einem Halbwissen heraus und da nehmen wir gerne die Energie raus», so Ehresmann, der sich zusammen mit seinen Kollegen viel Zeit für die User-Fragen nehmen musste. «Wir waren selbst überrascht von dem extremen Feedback.»