«Liebe Mitbürgerin, lieber Mitbürger.» So beginnt ein Brief, der vor kurzem in jeden Haushalt der Schweiz flatterte. Darin forderten der «besorgte Bürger» Kurt Zollinger und der «Vogelliebhaber» Franz Helfenstein die Stimmberechtigten auf, am 21. Mai das Energiegesetz an der Urne zu verwerfen. Sie warnen vor Verteuerungen für jeden Haushalt von 3200 Franken im Jahr. Mit dem neuen Gesetz müssten zudem 1000 neue Windkraftanlagen gebaut werden. Dies sei eine Verschandelung der Landschaft.
Peinliches Malheur: Fragwürdiges Gegnerkomitee wirbt mit amerikanischem Vogel und verbreitet weitere #Fakenews! pic.twitter.com/ARrnH1J6fQ
— Junge Grünliberale (@jglpCH) 4. Mai 2017
Um ihre Argumente bildhaft zu untermalen, greifen die Herren Zollinger und Helfenstein tief in die Trickkiste. Auf dem Briefkopf prangt ein Bild des Vierwaldstättersees. Riesige Windräder schiessen wie Pilze aus der idyllischen Landschaft. Ein Vogelschwarm fliegt zwischen den rotierenden Turbinen durch. Das Bild eines toten Vogels soll die gravierenden Folgen der Windanlagen illustrieren.
Schnell ist zu erkennen, dass das Bild eine Fotomontage ist. «Hier wurde alles wild durcheinander gemischt», sagt Stefan Bachmann, Sprecher und Ornithologe von «BirdLife». Bachmann sagt, dass es sich bei den abgebildeten Vögeln um Kraniche handelt, die in der Schweiz nicht brüten, jedoch selten hindurchziehen. Bei dem kleineren Vogel rechts, der ein vermeintliches Opfer von einer Windkraftanlage darstellen soll, handelt es sich laut Bachmann um eine Dachsammer. Auch diese Vogelart gibt es in der Schweiz nicht.
Die Verfasser des Briefes schreiben weiter, sogar die Schweizerische Vogelwarte Sempach warne eindringlich davor, dass Vögel mit Windkraftanlagen kollidieren. Es sei ein grausames Vogelmordgesetz, über das abgestimmt würde. Bei der Vogelwarte auf den Brief angesprochen ärgert sich deren Sprecher Matthias Kestenholz: «Im Brief wird suggeriert, dass wir gegen das Energiegesetz sind. Das ist stossend und falsch.» Denn die Vogelwarte gebe keine Stimmempfehlung ab. Man sehe es nicht gerne, wenn der Name der Stiftung zugunsten von politischer Propaganda verwendet werde.
Zwar ist auch Kestenholz der Meinung, dass Windkraftanlagen für Vögel gefährlich werden können. In einer Ende 2016 publizierten Studie kommt die Vogelwarte zum Schluss, dass an einer Windanlage im Jura jährlich 20,7 Vögel erschlagen werden. Doch trotz dieser Todeszahlen ist die Vogelwarte nicht grundsätzlich gegen Windkraft. «Wie bei allen erneuerbaren Energien kommt es einfach sehr darauf an, wo die Anlage steht. So muss auch bei den Windrädern geschaut werden, dass sie nicht in Vogeldurchzugsgebiete gestellt werden», sagt Kestenholz.
Gegen das Komitee, das den Namen der Vogelwarte beschmutzt, will Kestenholz nicht vorgehen. Die Angelegenheit sei rechtlich kaum einklagbar, aber ärgerlich, weil der Text in einen missverständlichen Kontext gesetzt wurde. Widersprüchlich ist, dass die offiziellen Vogelschutz-Institutionen geschlossen hinter der Energiestrategie stehen. Auch «Birdlife» mit seinen 63'000 Natur- und Vogelschützern in 450 lokalen Sektionen hat einstimmig die Ja-Parole ergriffen.
Die zwei Herren, die den Brief zeichnen, gehören dem «Komitee zur Rettung des Werkplatzes Schweiz» an. Kurt Zollinger war bis vor einem Jahr der Präsident der SVP-Ortspartei in Stäfa. Auf Anfrage sagt er, das Komitee gäbe es schon lange und sei ein loser Zusammenschluss von Leuten, die immer wieder einmal aktiv würden. Schon bei der Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative im Februar 2016 und bei der Kampagne gegen die Erbschaftssteuer ging das Komitee mit Briefen auf Stimmenfang. Damals jedoch noch anonym.
Dass der Brief mit der Fotomontage und den benutzten Zitaten der Vogelwarte Sempach irreführend ist, findet Zollinger nicht. «Ist es so wichtig, welche Vögel abgebildet werden? Es ist Tatsache, dass Vögel in den Windrädern sterben.» Auch dass die offiziellen Vogelschutz-Verbände für das Energiegesetz sind, will Zollinger nicht gelten lassen. Er sagt: «Es gibt auch viele andere Vogelschützer, die das Gesetz bekämpfen.» Wen er damit meint, spezifiziert er aber nicht.
Auf seinen Brief habe er viele Reaktionen erhalten. Positive wie auch negative. So sei das halt, wenn man engagiert Politik mache, sagt Zollinger. «Man schafft sich immer Gegner.»