Strom ist das Lebenselixier der modernen Gesellschaft. Wenn keine Elektrizität mehr durch die Leitungen fliesst, steht alles still. Für die Wirtschaft gilt dieser Befund erst recht, sie ist in hohem Masse von einer funktionierenden Stromversorgung abhängig. Die Energiestrategie 2050, über die am 21. Mai abgestimmt wird, ist für sie eine Vorlage von strategischer Bedeutung.
Es gibt jedoch ein Problem: Die «Wirtschaft» ist bei diesem Thema alles andere als geeint. Es gibt gewichtige Player auf Seiten der Befürworter wie der Gegner des neuen Energiegesetzes. Der Dachverband Economiesuisse hat aus diesem Grund die Notbremse gezogen und letzte Woche beschlossen, auf eine Parole zu verzichten. Zu tief sind die Gräben zwischen den Branchen.
Für die Gegner der Energiestrategie sind dies keine guten Voraussetzungen. Deshalb ergriffen sie die Flucht nach vorne und traten am Montag in Bern vor die Medien, einen Tag bevor Energieministerin Doris Leuthard ihren – befürwortenden – Standpunkt vertreten wird. Das Energiegesetz bringe zu viele Nachteile für die Schweiz bei zu hohen Kosten, lautet ihre Botschaft.
Zur Schlüsselfrage erklären sie die Versorgungssicherheit nach dem schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie. «Wie kann sich die Schweiz in den Wintermonaten mit genügend Strom versorgen?» fragte Swissmem-Präsident Hans Hess als Vertreter der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Er verwies auf Berechnungen des Bundesamtes für Energie (BFE) für 2035. Dannzumal sei nur von Mai bis August knapp genügend Strom aus eigener Produktion vorhanden.
Schon heute müsse die Schweiz im Winter Strom importieren, mahnte Hess. Die Versorgung aus den Nachbarländern sei aber wegen eigenen Engpässen schon bald nicht mehr gewährleistet. Roland Goethe, Präsident des KMU-Verbands Swissmechanic, verwies auf Deutschland im letzten Januar. Während einer längeren Hochdruckphase habe kaum Windenergie produziert werden können, die Stromversorgung sei von Atom-, Kohle- und Wasserkraftwerken abhängig gewesen.
Ein Dorn im Auge sind dem Nein-Komitee auch die Förderbeiträge für erneuerbare Energien. Von einem «planwirtschaftlichen Ansatz» sprach Beat Moser, Direktor von Scienceindustries, dem Verband der Chemie-, Pharma und Biotechindustrie. Am Ende müssten «die typischen schweizerischen KMU diese unsinnigen Subventionen bezahlen», meinte Roland Goethe. Denn grosse Stromverbraucher sind von der Finanzierung ausgenommen.
Allerdings gibt es Wirtschaftszweige, die von den Subventionen profitieren. Während sich der Baumeisterverband den Gegnern angeschlossen hat, unterstützt das Baunebengewerbe das neue Gesetz. Dachdecker, Schreiner oder Spengler freuen sich auf Aufträge für Gebäudesanierungen oder die Montage von Solaranlagen. Symptomatisch dafür ist die Haltung des Gewerbeverbands. Sein Parlament, die Gewerbekammer, unterstützt die Energiestrategie im Verhältnis 2:1.
Noch heikler für die Gegner ist die Haltung der Energiebranche, die in den letzten Jahren unter dem Kollaps der Strompreise gelitten hat. Nun winken Subventionen für Wasserkraftwerke, weshalb der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) Ende Januar seine Unterstützung für das erste Massnahmenpaket der Energiestrategie bekräftigte. Explizit erwähnte er die Unterstützung «zugunsten der notleidenden Wasserkraft».
Die Argumente der Gegner haben es da nicht leicht. Erschwerend kommt hinzu, dass sie selber nicht klar definieren können oder wollen, wie die «Winterlücke» beim Strom gefüllt werden soll. Neue Atomkraftwerke haben die Stromkonzerne selber ausgeschlossen. Speichermöglichkeiten für Solarstrom gibt es bislang erst in Ansätzen. Neue Wasserkraftwerke sind kaum realisierbar, und Windkraftwerke «verschandeln» die Landschaft, warnte Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer.
Bleiben wohl nur Gaskombikraftwerke, wie die Wirtschaftsvertreter auf mehrfache Nachfragen der Medienleute einräumten. Ihr Bau wäre mit Leuthards Energiegesetz möglich, bestätigte Hans Hess. Doch es gibt drei gewichtige Einwände: Bei der Standortwahl ist der Widerstand der betroffenen Bevölkerung programmiert, der klimaschädliche CO2-Ausstoss nimmt zu, und die Auslandsabhängigkeit verlagert sich von Strom- auf Erdgasimporte.
Ein Patentrezept für die künftige Stromversorgung haben auch die Vertreter des Nein-Lagers nicht. Ein Stromabkommen mit der EU, das die Integration in den europäischen Elektrizitätsmarkt erleichtern würde, ist wegen des Streits um das institutionelle Rahmenabkommen blockiert. Und politisch fehlt ihnen die Unterstützung, nachdem die FDP sehr knapp die Ja-Parole beschlossen hat. Nein sagt von den grossen Parteien nur die SVP, die bereits das Referendum ergriffen hat.
Letztlich hoffen die Gegner aus der Wirtschaft, dass das Stimmvolk nicht die «Katze im Sack» kaufen will, erklärte Hess. Denn in Zukunft werde nicht weniger, sondern mehr Strom benötigt, wegen der Digitalisierung oder der Elektrifizierung der Mobilität. Die Energiestrategie sei eine «Blackbox», meinte Casimir Platzer. «Das Stimmvolk hat die Unternehmenssteuerreform III aus diesem Grund abgelehnt und wird beim Energiegesetz hoffentlich gleich entscheiden.»