Ihre Nase. Sie hat es in sich. Oder besser: an sich. Denn ihre Nase gehört zu den feinsten Biernasen der Schweiz. Vor fünf Jahren hat Gabriela Gerber, 43, die Diplom-Ausbildung zur Bier-Sommelière in München absolviert – als erste Schweizerin.
Bier und Frau. «Das passt sogar hervorragend zusammen», nimmt Gerber die unweigerliche Bier-Frau-Frage vorweg, lacht. «Wir Frauen holen in Sachen Bier auf.» Gerber, die seit 1997 bei Feldschlösschen arbeitet und hier seit 2012 den Bereich Unternehmenskommunikation leitet, kommt in ihr Element, erzählt, dass Bierbrauen bis weit ins Mittelalter Frauensache war, erzählt, dass man den Frauen als Aussteuer lange ein Braugefäss mitgab.
Erst mit der Industrialisierung sei Bier zur Männerdomäne mutiert, erst im 19. Jahrhundert habe Bier das Image des billigen Arbeitergetränks bekommen. Ein schlechtes Image, ist sich Gerber bewusst, das aber seit einigen Jahren überwunden sei. «Zum Glück», sagt Gerber, denn: «Bier ist Kult. Bier gibt es in Hunderten von Variationen. Bier passt zu jeder Situation.» Zum Feierabend, zum geselligen Beisammensein, zum guten Essen. «Bier schafft Verbundenheit.»
Ihre eigene Verbundenheit zum Bier hat Gerber, deren Eltern eine Schnapsbrennerei betrieben, mit 24 entdeckt. Nach dem Eintritt bei Feldschlösschen. «Vorher war ich keine grosse Biertrinkerin», sagt sie. «Ich wusste auch nicht, wie facettenreich der Biermarkt ist.»
Inzwischen weiss sie es Schaum-genau: Rund 500 verschiedene Biere hat Gerber in den letzten Jahren degustiert; alleine 150 während ihrer Ausbildung zur Diplom-Biersommelière. Dreimal im Tag galt es, fünf Biere zu kosten. 75 Biere pro Woche. Im Schnitt dauert eine Degustation drei bis fünf Minuten pro Bier.
«Das war schon herausfordernd», sagt Gerber. Weniger das Degustieren, das jeweils vor dem Essen stattfand («da sind die Geschmackssensoren besonders vif»), als vielmehr, sich die Eigenheiten der verschiedenen Biere zu merken. Denn: «Jedes hat seine ganz eigene Note.» Lager ist eben nicht Lager. Die meisten Biere blieben Gerber in der Nase hängen – sprich: Sie erkennt sie sofort wieder. An Farbe, Geruch und Geschmack.
Wie beim Wein erfolgt die Degustation nach festen Regeln. Zuerst wird das Aussehen beurteilt. Farbe, Klarheit, Schaum, Kohlensäure. Dann hat die Nase ihren Auftritt. «Bis zu 10 000 Gerüche kann der Mensch unterscheiden», weiss Gerber. Die Geschmackszonen auf der Zunge, der dritten Degustations-Station, geben unter anderem Auskunft über die Bitterkeit. Anders als beim Wein ist hier nicht aller Degustation Abend: «Für die Gesamtbeurteilung ist auch der Abgang relevant», sagt Gerber. Sprich: Der Schluck, der kleine, geht talwärts in Richtung Magen.
Was aber ist nun ein gutes Bier? «Es muss fehlerfrei sein und eine klare Hopfen- und Malznote haben», erklärt Gerber. Zudem müsse es dem Bierstil entsprechen, ein Rauchbier müsse also auch rauchig sein. «In sich harmonisch ist ein Bier, wenn der Gaumen hält, was die Nase verspricht.»
Letztlich ist es aber wie beim Wein: Die Geschmäcker sind verschieden. Bei Gerber entscheidet die Jahreszeit mit über ihre Präferenzen: im Winter ein Dunkles, im Frühling ein Weizen, im Sommer ein India Pale Ale. Nur eines muss es immer sein: kalt. «Nur ein kühles Bier kommt voll zur Geltung.»
Den Anstoss zur Sommelière-Ausbildung gaben 2011 Schlossbesucher. Ihre Fragen rund um das Bier motivierten Gerber, «sich Sauerstoff von aussen zu holen». Dieser Sauerstoff roch in den ersten Tagen indes arg technisch. Gerber lacht. «Am Anfang hatte ich das Gefühl, die falsche Zimmertüre erwischt zu haben und im Bierbrauer-Lehrgang gelandet zu sein.» Das Wissen rund um den Brauvorgang ist ein Teil der 100 Unterrichtseinheiten umfassenden Ausbildung. Die Geschichte des Bieres, die Biervielfalt, die Grundlagen der Sensorik und die Bierberatung sind weitere. «Die Degustation ist nur ein kleiner Bestandteil», sagt Gerber und fügt schmunzelnd hinzu: «Wenn auch ein sehr angenehmer.»
Inzwischen gibt Gerber ihr Bierwissen auch weiter. Seit fünf Jahren bietet Gastro Suisse eine Bier-Sommelierausbildung in der Schweiz an, an der Gerber mitwirkt. Mit 40 Unterrichtseinheiten dauert dieser Lehrgang knapp halb solange wie der «grosse» in München; er lässt sich aber an die Diplom-Ausbildung anrechnen. «Die Kurse sind meist ausgebucht», sagt Gerber. Über 200 Absolventen bekamen seit 2011 ihr Schweizer Bier-Sommelier-Zertifikat ausgehändigt. «Darunter auch immer mehr Frauen», freut sich Gerber.
Die Degustation von neuen Biersorten ist für Gerber auch heute noch «ein prickelndes Erlebnis». Zu Degustieren gibt es noch eine ganze Menge: Allein in der Schweiz sind in den letzten Jahren viele neue Brauereien entstanden. «Die Bierkultur lebt», bilanziert Gerber. In diesem Sinne: Proscht! (aargauerzeitung.ch)