Es bedarf einiger Kreativität, um einen gemeinsamen Nenner zu finden. Schliesslich haben die Wahlfeier eines Nationalratspräsidenten, die Sanierung des Strandbads Thun und der Auftritt des Jodlerklubs Heimelig kaum etwas miteinander zu tun. Noch weniger Gemeinsamkeiten bestehen zwischen der Produktion englischer Untertitel für ein Filmfestival in Bulgarien, dem Bau eines Weihers in Eschenbach und einer Selbsthilfe-Aktion zur Förderung der Sonnenenergie in Eritrea.
Doch die Verbundenheit der Projekte ist grösser, als es scheint: Sie alle kamen in den Genuss von Geld aus einem kantonalen Lotteriefonds, weil sie als gemeinnützig oder wohltätig eingestuft worden sind. Die Fonds werden mit dem Reingewinn der Monopolisten Swisslos und Loterie Romande bestückt. Allein im Jahr 2016 flossen so über 630 Millionen Franken. Ein Teil davon landete in den Sport-Toto-Fonds und direkt bei Sportverbänden.
Im Abstimmungskampf um das Geldspielgesetz, das am 10. Juni an die Urne kommt, spielen die Fonds eine wichtige Rolle. Zu Recht? Tatsächlich wird mit der Vorlage erstmals der Verwendungszweck der Lotteriegewinne verbindlich festgeschrieben. Ebenso sollen die Kantone zu etwas mehr Transparenz verpflichtet werden, indem sie den Einsatz der Lotteriegelder zwingend über einen eigenen Fonds ausweisen müssen. Zudem ist ein nationaler Bericht über die Mittelverwendung vorgesehen. Ansonsten ändert sich jedoch wenig.
Ungeachtet dessen warnen die Befürworter des Geldspielgesetzes vor markanten Einschnitten. Obwohl bei einem Nein zum Gesetz fast alles beim Alten bliebe, befürchten sie, dass die Lotterien weniger Reingewinn erzielen. «Einzig mit einer Annahme des Gesetzes sind die Gelder für gemeinnützige Zwecke gesichert», gibt der Präsident der Lotterie-Fachdirektorenkonferenz, der Berner Regierungsrat Hans-Jürg Käser, zu bedenken.
Wie viel ein Kanton erhält, ist von der Grösse der Bevölkerung und deren Spielfreudigkeit abhängig – also wie viele Lottoscheine verkauft werden. Die Fonds sind üppig gefüllt. Mancherorts wird das Geld regelrecht gehortet, anstatt dass es ausgegeben wird. Allein im Kanton Zürich schlummerte Ende 2017 ein frei verfügbares Vermögen von 186 Millionen Franken. Die Reserven des grössten Lotteriefonds des Landes betrugen somit fast das 1.7-fache der Einnahmen der Jahre 2016 und 2017. Ein zu dickes Polster: Die Lotterie-Fachdirektorenkonferenz empfiehlt als Leitlinie nämlich, dass das frei verfüg- bare Fondsvermögen jeweils nicht höher sein soll als die Einnahmen der vergangenen beiden Jahre.
Und was tun die Kantone, wenn sie die Lotteriegelder dann doch ausgeben? Sie unterstützen jährlich rund 16'000 Projekte. Zur Förderung von Kultur und Sport sind die Fonds hierzulande unverzichtbar, das würde niemand bestreiten. Ohne die Förderung hätten gerade Einzelkünstler und Nischensportler kaum mehr eine ökonomische Existenzgrundlage. Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, legen sich Kulturschaffende und Sportler im Abstimmungskampf besonders ins Zeug. In Bern trat gestern ein prominent besetztes Komitee vor die Medien und warb für ein Ja zum Geldspielgesetz. «Die Schweizer Lotterien sichern enorme Mittel für den Sport und die Kultur», sagte etwa Ski- Olympiasieger Ramon Zenhäusern.
Der Griff in die Lotteriefonds ist verlockend. Welche Projekte unterstützungswürdig sind und welche nicht, entscheidet meist der Regierungsrat. Die Kantone gehen mit den Mitteln bisweilen sehr freimütig um. Die Kriterien für Projekte mit wohltätigen, sportlichen und kulturellen Zwecken sind jeweils weit gefasst. Die Bundesverfassung verlangt bloss Gemeinnützigkeit von den Kantonen. Zudem verbietet sie es, Aufgaben zu finanzieren, die als gesetzliche Verpflichtung definiert sind.
Wer aber wacht über die Einhaltung dieser Grundsätze? Eine nationale Aufsichtsbehörde gibt es nicht. Der interkantonalen Lotteriekommission Comlot fehlen sowohl die rechtlichen Kompetenzen als auch die personellen Ressourcen, um die einzelnen Vergaben der Kantone zu überprüfen. «Die Details der Mittelvergabe unterstehen dem Recht der einzelnen Kantone», sagt Comlot-Direktor Manuel Richard.
Diese Ausgangslage führt dazu, dass die Fondsvergaben immer wieder Kritik auslösen. Schon 2010 zeigte eine vom Bund in Auftrag gegebene Untersuchung, wie undurchsich- tig die Lotteriegewinn-Verteilung ist. Oft könne man «nicht nachvollziehen, wieso eine Institution etwas bekommt und eine andere nicht». Der Lausanner Staatsrechtler Etienne Grisel bezeichnet die Lotteriefonds gar als «eine Art legale schwarze Kassen». In einer juristischen Analyse warnte er vor Interessenkonflikten, weil die Kantonsregierungen nicht selten in eigener Sache über die Verteilung der Gelder entscheiden.
Rasch kommt deshalb der Vorwurf des «Selbstbedienungsladens» auf. Heikel wird es vor allem dann, wenn ein Kanton jene Projekte unterstützt, an denen er selbst beteiligt ist. Oder wenn er Lücken in der Staatskasse mit Geld aus dem Lotteriefonds stopft. Was zuvor ein ordentlicher Budgetposten war, wird plötzlich über den Fonds finanziert. Solange die Kantone allerdings nur sich selber Rechenschaft ablegen müssen, dürfte sich an solchen Praktiken kaum etwas ändern.
Immerhin betont Comlot-Direktor Manuel Richard: Würden Lotteriegelder systematisch zweckentfremdet, könnte das letztlich dazu führen, dass Bewilligungen entzogen werden. «Ein derartiger Schritt stand aber bis heute nie zur Diskussion», sagt er. Dass einzelne Entscheide zu Kontroversen führen, überrascht Richard angesichts der grossen Anzahl an Vergaben nicht. Öffentliche Debatten seien im Sinne der Transparenz nur wünschenswert.
Solche gab es zu Beginn des Jahrtausends auch im Kanton Waadt. Die Empörung war gross, als bekannt wurde, dass Lotteriegelder in der Höhe von 16 Millionen Franken direkt in die Staatskasse flossen. Der Schaden war wenigstens nachhaltig: Über die Vergabe der Gelder entscheiden seit 2010 zwei unabhängige Stiftungen, die schweizweit striktesten Richtlinien sollen Missbräuche verhindern. Die Regierung hat nichts mehr zu sagen.