Ratspräsident Remo Gallacchi musste sich einiges anhören: «Schämen Sie sich!» «Unerhört! Das ist Diskriminierung!» Wütende Zwischenrufe ertönten am Mittwochnachmittag im Basler Grossen Rat. Der Grund: Gallacchi hatte zuvor die grüne Grossrätin Lea Steinle aus dem Saal verwiesen, weil sie ihr zweieinhalb Monate altes Kind bei sich hatte.
«Wir Parlamentarier sind hier im Saal grundsätzlich unter uns», argumentierte Gallacchi, nachdem die aufgebrachte SP-Parlamentarierin Danielle Kaufmann einen Ordnungsantrag gestellt hatte. «Es kann nicht sein, dass ein gewähltes Mitglied aus dem Saal verwiesen wird, weil sie ein Kind dabei hat, das noch gestillt werden muss.» «Wo ziehen wir die Grenze? Dafür gibt es keine Regelung», erklärte Gallacchi, notabene Vertreter der selbsternannten Familienpartei CVP.
CVP-Grossratspräsident @RemoGallacchi weist ein schlafendes Baby aus dem Saal, was der Mutter verunmöglicht an der Abstimmung teilzunehmen.#fail der sogenannte Familienpartei @CVP_PDC.
— Kaspar Sutter (@kasparsutter) 21. November 2018
Nach grossem Protest nimmt er seinen Entscheid zurück.#vereinbarkeit
Im Grossen Rat sorgte das für tumultartige Szenen. Während rund fünf Minuten wurde die Sitzung unterbrochen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Letztlich hatte Ratspräsident Gallacchi ein Einsehen: «Ich komme auf meinen Entscheid zurück.» Steinle dürfe mit ihrem Kind wieder in den Saal, und das Ratsbüro werde die rechtliche Grundlage abklären.
Für Grossrätin und Mutter Lea Steinle ist das Thema damit noch nicht erledigt: «Ich bin vom Volk gewählt worden», betont sie gegenüber der bz, «dennoch ist mir das Recht verwehrt worden, im Saal abzustimmen.» Das sei diskriminierend. Alle müssten die Möglichkeit haben, im Parlament Einsitz zu nehmen. «Das gilt auch für junge Mütter.»
Andere Länder gehen weit liberaler mit jungen Müttern im Parlamentssaal um. Im vergangenen Sommer sorgte Larissa Waters für Schlagzeilen, die als erste Frau Australiens ihr Neugeborenes im Parlamentsgebäude stillte.
So proud that my daughter Alia is the first baby to be breastfed in the federal Parliament! We need more #women & parents in Parli #auspol pic.twitter.com/w34nxWxG0y
— Larissa Waters (@larissawaters) 9. Mai 2017
Vor knapp drei Monaten kam es im Thüringer Landtag zu einem ähnlichen Eklat, als Madeleine Henfling von den Grünen wegen ihres Kindes aus dem Plenarsaal verwiesen wurde.
Leila Straumann, Leiterin der Abteilung Gleichstellung von Frauen und Männer, sagt: «Ich kenne den Sachverhalt nicht, werde aber – aufgrund Ihrer Anfrage – mit Grossratspräsident Remo Gallachi und Grossrätin Lea Steinle Kontakt aufnehmen. Interessant ist sicher auch, was die Geschäftsordnung des Grossen Rats dazu regelt.»
Dies hat der Riehener CVP-Einwohnerrat Patrick Huber auf Twitter bereits getan. Er schreibt:
Völlig falsche Anschuldigung. Der Zutritt zum Grossratssaal ist klar geregelt und der Präsident ist für die Einhaltung verantwortlich. Anstatt anstandslos rumzupöbeln, könnte sich die SP ja im Ratsbüro für eine Änderung des Reglements einsetzen. #Doyourjob pic.twitter.com/cSgCqmEU6d
— Patrick Huber (@PatrickS_Huber) 21. November 2018
Auf nationaler Ebene wird weit liberaler mit jungen Müttern im Parlamentssaal umgegangen. Die Aargauer Grünen-Nationalrätin Irène Kälin kann ihren Sohn mit in den Nationalratssaal nehmen.
(bzbasel.ch)