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Gesellschaft & Politik

Schweiz: Ständerat lehnt 15-Milliarden-Deal für Armee und Ukraine ab

Ständerat sagt Nein zum Ukraine-Deal – und fordert massive Erhöhung des Armeebudgets

03.06.2024, 18:1904.06.2024, 11:10
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Einen 15 Milliarden Franken schweren Spezialfonds für die Armee und den Wiederaufbau in der Ukraine wird es nicht geben. Das Nein des Ständerates zum Vorschlag seiner Sicherheitspolitischen Kommission überrascht angesichts der Kritik am Vorhaben nicht.

Der Fonds sollte – unter Aushebelung der Schuldenbremse – 10,1 Milliarden Franken für den zusätzlichen Finanzbedarf der Armee in den Jahren 2025 bis 2030 decken. Weitere 5 Milliarden Franken hätten für die Ukraine eingesetzt werden sollen.

Die Mitglieder der Kleinen Kammer diskutieren ueber die Finanzierung der Armee, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 3. Juni 2024 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro del ...
Die Ständerat-Debatte am Montag.Bild: keystone

Vorgeschlagen hatte den spezialgesetzlichen Fonds die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates mit einer Motion; eine Mitte-Links-Allianz hatte das Vorhaben zunächst unterstützt. Mit 28 zu 15 Stimmen und mit zwei Enthaltungen sagte der Ständerat am Montag Nein dazu. Damit ist die Motion vom Tisch.

«Gegen Verfassung und Gesetz»

Widerstand kam von SVP, FDP, aber auch aus der Mitte-Fraktion und selbst von Links. Josef Dittli (FDP/UR) kritisierte die Umgehung der Schuldenbremse. «Das verstösst gegen Verfassung und Gesetz.» Der Bund könne auch mit Schuldenbremse frei entscheiden, was er in Verteidigungsfähigkeit und Hilfe stecken wolle.

Josef Dittli, FDP-UR, spricht zur Finanzierung der Armee, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 3. Juni 2024 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Für FDP-Ständerat Josef Dittli ist der Deal nicht mit der Verfassung vereinbar.Bild: keystone

«Und bis der geforderte Gesetzesentwurf umgesetzt werden kann, dauert es ewig», gab Dittli ausserdem zu bedenken. Ein Ja zur Motion wäre gleichermassen ein Dammbruch für weitere Begehren. Auch die Finanzkommission des Ständerats war gegen den Fonds.

Gründe man den Fonds und statte man ihn mit 15 Milliarden Franken aus, müsste der Betrag gemäss Verfassung und Gesetz in sechs Rechnungsjahren abgeschrieben werden, also mit 2,5 Milliarden Franken im Jahr, rechnete Peter Hegglin (Mitte/ZG) vor. Budget-Restriktionen wären die Folge davon.

In Krise Prioritäten setzen

Die Motion sage nichts darüber, wie der Fonds amortisiert werden müsse, gab auch Baptiste Hurni (SP/NE) zu bedenken. Es sei also offen, ob dies über das Armeebudget und auf Kosten der übrigen Hilfe im Ausland geschehen werde oder nicht.

Baptiste Hurni, SP-NE, spricht waehrend der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 30. Mai 2024 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Baptiste Hurni: Auch im linken Lager herrschte teils Skepsis.Bild: keystone

Werde das Geld in einer Krise knapp, müssten Prioritäten gesetzt werden, stellte Benjamin Mühlemann (FDP/GL) fest. Und Benedikt Würth (Mitte/SG) warnte vor einem Rückfall in die Schuldenwirtschaft der achtziger Jahre.

Auch der Bundesrat stellte sich gegen den Spezialfonds. Verteidigungsministerin Viola Amherd plädierte zwar für die rasche Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit der Armee. Aber wegen der düsteren Haushaltslage hätten Bundesrat und Parlament das Ziel bereits von 2030 auf 2035 verschoben.

Weder das vorgeschlagene Wachstum der Armeeausgaben noch der Bundesbeitrag an den Wiederaufbau der Ukraine erfüllen laut Bundesrat die gesetzlich verankerten Anforderungen an ausserordentliche Ausgaben.

«Krieg betrifft auch uns»

Die unterlegene Mehrheit der SIK-S fand, dass es ausserordentliche Ausgaben brauche, um die Armee verteidigungsfähig zu machen und die kriegsgeplagten Menschen in der Ukraine zu unterstützen.

Der Handlungsbedarf sei dringlich, sagte Marianne Binder-Keller (Mitte/AG). «Die Armee ist auf verschiedenste Aufgaben ausgerichtet, aber nicht mehr auf die Verteidigung.» Die Ukraine brauche Hilfe bei Reparaturen und Instandstellungen von zerstörter Infrastruktur. Solidarität liege im Sicherheitsinteresse der Schweiz.

Marianne Binder-Keller, Mitte-AG, verfolgt die Debatte, an der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 12. Dezember 2023 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Marianne Binder-Keller.Bild: keystone

Persönliche Kritik in den Medien an ihre Adresse zeige, wie wenige Argumente die Gegner gegen die Motion hätten, fügte Franziska Roth (SP/SO) an. Die neutrale Schweiz habe der Ukraine bisher ungenügende Unterstützung geleistet, kritisierte sie.

«Der Krieg betrifft auch uns. Sollte die Ukraine verlieren, sind auch wir betroffen», doppelte Brigitte Häberli-Koller (Mitte/TG) nach. Die Armee sei in den vergangenen Jahren kaputtgespart worden, sagte Andrea Gmür-Schönenberger (Mitte/LU). Und: «Wann wird Erbsenzählen weniger wichtig sein als die Sicherheit?»

Mit dem Nein des Ständerates ist die Motion vom Tisch. Bei der Finanzierung der Armee will der Ständerat aber dennoch etwas tun: So will er den Zahlungsrahmen für die Armee in den Jahren 2025 bis 2028 um vier Milliarden Franken auf 29,8 Milliarden Franken anheben. Beim Rüstungsprogramm möchte er 660 Millionen Franken mehr ausgeben als der Bundesrat, wie er am Dienstag beschloss.

Mit der Anhebung des Zahlungsrahmens will der Ständerat sicherstellen, dass das Armeebudget bis 2030 den Zielwert von 1 Prozent des Bruttoinlandproduktes erreicht. Er folgte in diesem Punkt mit 27 zu 17 Stimmen bei einer Enthaltung seiner Sicherheitspolitischen Kommission (SIK-S).

Auch die Aufstockung beim Rüstungsprogramm geht auf einen Antrag der vorberatenden Kommission zurück. Der Ständerat hiess sie mit 31 zu 14 Stimmen ohne Enthaltungen gut. Mit dem Geld möchte er den Kauf von Systemen mittlerer Reichweite für die bodengestützte Luftabwehr ein Jahr früher als geplant ermöglichen.

In beiden Punkten setzten sich die Bürgerlichen gegen die Ratslinke durch. Sie vertraten die Ansicht, angesichts der Sicherheitslage in Europa müsse die Schweiz ihre Verteidigungsfähigkeit schnell verbessern. Nur einige Mitte-Vertreter sowie GLP-Ständerätin Tiana Angelina Moser (ZH) stimmten bei den beiden Entscheiden mit SP und Grünen.

Sparen bei Hilfe im Ausland

Eine längere Diskussion löste die Frage aus, wie die Erhöhung des Zahlungsrahmens kompensiert werden sollte. Benjamin Mühlemann (FDP/GL) verlangte, die Hälfte der vier Milliarden solle bei der internationalen Zusammenarbeit eingespart werden, der Rest der Einsparungen auf das Verteidigungsdepartement und andere Teile der Bundesverwaltung verteilt werden. Der Rat stimmte dem Einzelantrag mit 24 zu 18 Stimmen bei drei Enthaltungen zu.

Der neu gewaehlte Staenderat Benjamin Muehlemann (FDP) posiert fuer ein Portrait bei den Eidgenoessischen Wahlen, am Sonntag, 22. Oktober 2023 in Glarus. Die Schweizer Buergerinnen und Buerger waehlen ...
FDP-Ständerat Benjamin Mühlemann.Bild: keystone

Das Geschäft geht an den Nationalrat. Ob die Erhöhung des Zahlungsrahmens auch dort eine Mehrheit findet, ist unklar. In der Budgetdebatte im Dezember hatte sich die grosse Kammer noch knapp für eine langsamere Erhöhung der Armeeausgaben ausgesprochen. Sie votierte damals dafür, die Frist für die Erreichung des Zielwerts von 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts bis 2035 zu erstrecken.

(dab/sda)

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237 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sisyphus
03.06.2024 18:46registriert Dezember 2021
Glücklicherweise wurde dieser Kuhhandel abgelehnt.
Hier wurden zwei Dinge miteinander verknüpft, die nicht zusammengehören.
Und auch der Weg, das Ganze am ordentlichen Haushalt vorbei zu finanzieren, ist abzulehnen.
Wenn man mehr für die Armee ausgeben will oder muss, dann muss es auf dem ordentlichen Weg geschehen.
Mit dem Geld für den Wiederaufbau braucht es zuerst Frieden. Danach kann über die notwendige Hilfe diskutiert werden. Natürlich werden wir den Wiederaufbau mitfinanzieren müssen, aber solange weiter zerstört wird, macht es keinen Sinn.
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Senior58
03.06.2024 19:13registriert März 2020
Dank an den Ständerat. Gut gemacht!!!
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Marius98
03.06.2024 19:17registriert April 2023
Gute Entscheidung! Es ist einfach nicht redlich, die Schulden auf nachfolgende Generationen abzuschieben.
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