Wie viele andere im Feld der Landesverteidigung operiert die Rüstungskommission: sehr diskret. So diskret, dass sich schon mehrmals in den vergangenen Jahren Nationalräte an den Bundesrat mit der Frage wandten: Was macht diese Kommission eigentlich?
Tätigkeitsberichte oder Vernehmlassungen, wie sie für andere ausserparlamentarische Kommissionen existieren, sucht man von der Rüstungskommission vergeblich. Dabei wäre es durchaus spannend, die Sicht dieses Expertengremiums auf Kampfjet-Deals, Kriegsmaterialexporte oder den Rüstungsbetrieb Ruag zu erfahren, der dieser Tage mit grosser Zuverlässigkeit für Negativschlagzeilen sorgt.
Denn immerhin hielt ja auch der Bundesrat in einer Vorstoss-Antwort fest: Im Auftrag des Rüstungschefs nimmt die Rüstungskommission insbesondere Stellung zur Rüstungspolitik des Eidgenössischen Departementes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS).» Dazu kümmert sich die Kommission um das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft, Verwaltung und Armee, und begleitet den Lebensweg von Rüstungsgütern. Schliesslich fallen Stellungnahmen «zur Organisationsentwicklung von Armasuisse sowie allgemein zu strategisch und politisch bedeutsamen Projekten von Armasuisse» in ihr Aufgabenportfolio. Neun Personen treffen sich vier Mal jährlich, was das VBS zusammengenommen rund 15'000 Franken Sitzungsgeld kostet.
Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz hat diese Redaktion Einsicht in sämtliche Sitzungsprotokolle seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine verlangt. Sie zeichnen das Bild einer Kommission, die sich kaum je zu brisanten Themen äussert und deren Mitglieder wohl eher ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen im Fokus haben - wenn sie überhaupt zu den Sitzungen erscheinen. Gerade stellt sich die Kommission neu auf und rapportiert künftig direkt an Bundesrätin Viola Amherd. Nach der Lektüre der Protokolle stellt sich die bange Frage: Kommt das gut?
Am Donnerstag, 3. März 2022 um 9.30 Uhr, begrüsst Hans-Jörg Bärtschi die Mitglieder seiner Kommission im Sitzungszimmer B 04'099 am Guisanplatz 1 in Bern, dem Sitz des Bundesamts für Rüstung Armasuisse. An jenem Tag verkündet der französische Präsident Emmanuel Macron, er habe eben mit Wladimir Putin über dessen Kriegsziele telefoniert: Es bestünde kein Zweifel daran, dass er die «totale Unterwerfung der Ukraine» verfolge. Das ist eine Woche nach Kriegsausbruch.
Europa steht unter Schock, bereits werden erste Forderungen nach Erhöhungen der Verteidigungsetats laut. Die anwesenden Mitglieder der Rüstungskommission nehmen zur Kenntnis, dass es auch in der Schweiz Bestrebungen für eine Erhöhung des Armeebudgets um zwei Milliarden Franken gibt. Was man damit kaufen soll, ist gemäss Protokoll nicht Gegenstand der Diskussion. Überhaupt: der Krieg in Europa - höchstens eine Randnotiz.
Mehr Raum nimmt ein, wie sich die Aufgabe der Rüstungskommission verändern könnte. Rüstungschef Martin Sonderegger habe Viola Amherd vorgeschlagen, die Rüstungskommission solle sich künftig um eine «unabhängige strategische Aufsicht (...) generell um die Thematik Rüstungspolitik» kümmern, «wobei die Positionierung und die konkreten Aufgaben noch besprochen werden müssen». Die Kommissionsmitglieder mögen sich doch Gedanken machen «wer in der kommenden Legislatur weiter mitarbeiten will».
Am 22. Juni 2022 kommt die Kommission für die nächste Sitzung zusammen. Präsident Bärtschi übergibt sogleich das Wort an Rüstungschef Sonderegger, der die Kommission über die neuesten Entwicklungen im Bereich Rüstung informiert. Die meisten Treffen laufen so, berichten Kommissionsmitglieder: Der Rüstungschef erzählt, die Kommission darf Fragen stellen. Einwände gehen aus den Protokollen nicht hervor. Auch nicht zu politisch brisantem, etwa dem möglichen Verkauf von Leopard-2-Panzern an Polen oder Panzerfäusten an Grossbritannien.
Längst ist zu diesem Zeitpunkt eine öffentliche Debatte um die Neutralität der Schweiz entbrannt, die sich jedoch kaum in den verschriftlichten Diskussionen der Rüstungskommission niederschlägt. Neben dem Rüstungschef sind zwei Wortmeldungen aus der Kommission verbrieft. Stefanie Frey, Geschäftsführerin von Deutor Cyber Security Solutions, unterstreicht die Bedeutung von Cybersicherheit. «Aktuelle Bedrohungsarten und aktuelle Beispiele sind natürlich der Ukraine-Krieg und die generelle globale Lage.» Frey, zu deren Kunden insbesondere Staaten und Behörden zählen, sei gerne bereit, «einmal an einem Dialog teilzunehmen».
Die zweite Meldung stammt von Sonja Amport, Vertreterin der Schweizer Textilbranche. Sie berichtet von Erkenntnissen des Textilsymposiums, einem Netzwerk-Anlass von Armasuisse. Künftig werde Nachhaltigkeit immer wichtiger sein, sagt sie. «Als Beispiel sei die Entsorgung alter Uniformen der Schweizer Armee genannt.»
Das wohl prominenteste Mitglied der Rüstungskommission ist zugleich das umstrittenste: Enrique Schneider, Vizedirektor des Gewerbeverbands. Nach Plagiatsvorwürfen wurde diesen Sommer seine bereits erfolgte Wahl zum neuen Direktor widerrufen. In der Rüstungskommission hat der umtriebige Schneider freilich wenig Spuren hinterlassen: Er fehlte an sämtlichen Sitzungen des Gremiums.
Auch in den nachfolgenden Sitzungen lässt kein Protokoll den Schluss zu, dass sich die Kommission je kritisch in einer Diskussion zur Schweizer Rüstungspolitik einbrachte. Dass die internationale Staatengemeinschaft die Haltung der Schweiz zu Weitergabe von Kriegsmaterial harsch kritisiert und die Rüstungsindustrie beklagt, überall abgehängt zu werden? Dass sämtliche Parteien um eine Lösung im Spannungsfeld von Neutralität und Solidarität ringen? Findet sich nicht ansatzweise in den Notizen der Kommissionssitzungen.
Fast komisch mutet das Protokoll an, wenn es erkenntnisfrei feststellt: Offset-Geschäfte rund um die Beschaffung neuer Kampfjets seien nun «ein Dauerthema», weil es halt «doch um relativ viel Geld» gehe. Dass die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) die Armasuisse für die Beschaffung der Flieger kritisierte, wird hingegen von Rüstungschef Sonderegger ungestraft ins Gegenteil verdreht: «Die EFK kam zum Schluss, dass das Risikomanagement klar definiert ist und angemessen umgesetzt wird.»
Bände spricht auch der Beitrag der Rüstungskommission zur Diskussion um 96 Panzer vom Typ Leo 2 der Schweizer Armee, nicht zu verwechseln mit der gleichen Stückzahl Leo-1, welche für die Ruag in Italien herumstehen. Die Leo-2 befänden sich in Langzeitlagerung, informiert Sonderegger, und «werden jedes Jahr etwas bewegt». Das internationale Interesse an den Panzern fasst die Kommission mit einem Satz zusammen: «Es werden sicherlich noch Diskussionen um diese 96 Panzer folgen. » So steht es im Protokoll von vergangenem Februar.
Am 13. Juni findet die vorerst letzte Sitzung der Rüstungskommission statt. Inzwischen steht fest, wer wohl auch künftig Mitglied sein darf. Präsident Bärtschi tritt ab, es übernimmt alt FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger. Neu Einsitz nehmen unter anderem Ida Glanzmann, Mitte-Nationalrätin, und Dieter Kläy, Zürcher Kantonsrat und bis vor kurzem wichtige Figur des Swiss Russian Forums. Henrique Schneider tritt ab.
Auch der Rüstungschef wechselt: In der September-Sitzung wird erstmals Urs Loher das Bundesamt für Rüstung vertreten und damit die Neuausrichtung der Kommission eng begleiten - Fragen zu Sinn und Zweck dieses Gremiums sind nicht ausgeschlossen. (aargauerzeitung.ch)
Wie viele solcher "Kafichränzliclubs" gibt es eigentlich noch in Bern?