Schweiz
Gesellschaft & Politik

Fall Valérie Dittli: So kam es zur Regierungskrise im Kanton Waadt

Situation um entmachtete Valérie Dittli eskaliert weiter: So kam es zur Regierungskrise

Eine so zerstrittene Kantonsratsregierung hat die Schweiz kaum je gesehen. Die erste Sitzung nach der Entmachtung Dittlis endete im Fiasko. Warum die Mitte-Politikerin reiche Steuerzahlende begeistert und die FDP entzweit: die Hintergründe der Affäre.
28.03.2025, 06:4028.03.2025, 06:40
Julian Spörri, Lausanne / ch media
Mehr «Schweiz»

Es ist die nächste Eskalation in einem Politdrama: Am Mittwoch brach Valérie Dittli die Sitzung des Waadtländer Regierungsrates vorzeitig ab, weil sich die sieben Staatsräte nicht einig wurden.

KEYPIX - Valerie Dittli, conseillere d'Etat vaudoise, arrive lors d'une conference de presse au sujet des mesures prises suite a l'analyse au sein du DFA ce vendredi, 21 mars 2025 a Lau ...
Bild mit Symbolcharakter: Dittlis Auftritt an der Medienkonferenz in Lausanne, an der sie das Finanzdepartement abgeben musste.Bild: keystone

Konkret ging es um die Frage, welche Dossiers die gebürtige Zugerin künftig nebst der Landwirtschaft verantworten soll. Der Staatsrat hatte Dittli letzten Freitag gegen ihren Willen das Finanzdepartement entzogen. Dies an einer denkwürdigen Medienkonferenz, die in einem Schlagabtausch zwischen Dittli und dem Rest des Gremiums endete.

Basis für den Entscheid bildete ein Bericht von Jean Studer. Der frühere Neuenburger SP-Ständerat hatte die Zustände in Dittlis Finanzdepartement und deren Konflikt mit der Chefin der Steuerabteilung analysiert. Er lastete der Regierungsrätin zwei potenziell illegale Vergehen an.

Um die Vorwürfe und den brisanten politischen Kontext der Affäre zu verstehen, ist es nötig, den Fall von vorne aufzurollen. Zumal sich aus parteipolitischer Sicht die Frage stellt, wie es zum Bruch zwischen Dittli und den drei FDP-Vertretern kommen konnte. Sie bilden die bürgerliche Regierungsmehrheit – seit 2022.

Wege von Dittli und FDP trennen sich

Damals wurde die erst 29-jährige Dittli als Staatsrätin gewählt. Der Erfolg gelang dank der Allianz mit FDP und SVP. Und die beiden Parteien halfen der Polit-Novizin auch danach: Dittli durfte an ihren Fraktionssitzungen teilnehmen, da die Mitte selbst keine Abgeordneten hatte.

Valerie Dittli, conseillere d'Etat vaudoise, lors d'une conference de presse au sujet des mesures prises suite a l'analyse au sein du DFA ce vendredi, 21 mars 2025 a Lausanne. le Consei ...
Dittli wurde 2022 in den Waadtländer Staatsrat gewählt.Bild: keystone

«Für uns war es normal, mit ihr Informationen zu teilen und sie auf ihren ersten Schritten zu unterstützen», sagt FDP-Präsidentin Florence Bettschart-Narbel. Nachdem Dittli anfänglich «systematisch» an den FDP-Sitzungen teilnahm – bei der SVP etwas weniger regelmässig -, wurden ihre Besuche mehr und mehr seltener.

Das habe nichts mit den nun bekannt gewordenen Vorfällen zu tun, betont Bettschart-Narbel. Vielmehr sei sich die FDP bewusst geworden, dass sie «Raum für parteiinterne Diskussionen» brauche.

Spannungen zwischen FDP und Dittli

Nach den «Flitterwochen» lebten sich die FDP und Dittli also zusehends auseinander. Was dann zur Eskalation führte, dazu gibt es zwei Narrative: Die Dittli-Befürworter sagen, die Mitte-Politikerin wollte die Steuerprobleme der Waadt schneller anpacken als der Rest der Regierung. Im Finanzdepartement, das zuvor zwanzig Jahre lang unter der Leitung des heutigen FDP-Ständerats Pascal Broulis gestanden hatte, sei ihr das Leben schwer gemacht worden.

Die Dittli-Kritiker sehen im Wirken der jungen Politikerin dagegen «Alleingänge» einer Einzelkämpferin, die sich nicht kollegial verhalten und so das Vertrauen in der Regierung verspielt habe.

Der Fall der verärgerten Top-Steuerzahler

Eines der beiden heissen Eisen ist die Vermögenssteuerbremse. Sie deckelt in der Waadt die Steuern der 3500 reichsten Einwohnenden. Eine von Pascal Broulis initiierte Änderung der Berechnungsgrundlagen sorgte jedoch dafür, dass manche Betroffene seit 2022 mehr Steuern bezahlen, als sie Einkommen haben – und dagegen Sturm laufen. Die Kantonsregierung befasste sich zwischen März und Juni 2024 mehrmals mit der Situation.

In diesem Kontext preschte Dittli intern vor: Laut einem Mail vom 19. Juni 2024 forderte sie von der Chefin der Steuerbehörde die Annullierung ausgestellter Steuerveranlagungen, um eine Übergangslösung zu finden. Nach Ansicht von Studer handelt es sich dabei um eine «inakzeptable Einmischung» in die Arbeit der Steuerbehörden. Die Mitte-Politikerin argumentiert, ihr seien Informationen vorenthalten worden. Sie fühlt sich missverstanden.

Jean Studer, expert externe independant, lors d'une conference de presse au sujet des mesures prises suite a l'analyse au sein du DFA ce vendredi, 21 mars 2025 a Lausanne. le Conseil d' ...
Jean Studer wurde mit der Untersuchung im Fall Dittli beauftragt.Bild: keystone

Die Initiative, die die Waadt entzweit

Das zweite heisse Eisen ist eine Initiative aus Unternehmerkreisen, die 12 Prozent tiefere Einkommens- und Vermögenssteuern fordert. In der Waadt ist die Steuerbelastung im nationalen Vergleich sehr hoch.

Der Regierungsrat tat sich laut Insidern schwer mit der Frage, wie die Initiative am besten zu bekämpfen sei. Dittli sah eine grundlegende Reform der Einkommens- und Vermögenssteuersätze als Lösung – und wollte offenbar vorwärtsmachen.

Gemäss Studer wies die Finanzdirektorin im August 2024 einen hohen Steuerbeamten an, mit Personen im Umfeld der Initiative über die Reform zu sprechen. RTS-Recherchen zufolge handelte es sich um Patrick de Preux. Er war früher FDP-Abgeordneter und Präsident des Lausanner Eishockeyclubs gewesen.

Patrick de Preux, l'ancien president du Lausanne Hockey Club, parle avant le match du championnat suisse de hockey sur glace de National League entre Lausanne HC, LHC, et HC Lugano, HCL, ce samed ...
Patrick de Preux während seiner Zeit als Präsident beim Lausanne HC.Bild: keystone

Die Krux: Die Diskussionen im Regierungsrat waren vertraulich. Studer vermutet eine Verletzung des Amtsgeheimnisses, was Dittli bestreitet. Nun untersucht die Staatsanwaltschaft.

Dittli überrascht während Budgetdebatte

Die Regierung stellte der Initiative letztlich keinen direkten, sondern einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber. Dieser sah Steuersenkungen um 5 Prozent vor. Das Parlament sprach sich im Dezember für 7 Prozent aus. Inmitten der Debatte gab Finanzdirektorin Dittli der Zeitung «Le Temps» ein Interview. Darin kündigte sie eine grundsätzliche Reform der Steuersätze an, um die Waadt attraktiver zu machen.

Das überrumpelte viele. SP-Präsident Romain Pilloud wandte sich mit der Frage an die Regierung, ob die Position von Dittli jene des Gesamtgremiums sei. «Damals wusste ich noch nichts von den Spannungen im Staatsrat, doch heute wirft Dittlis Vorpreschen natürlich neue Fragen auf», sagt Pilloud, der bis dato keine Antwort erhalten hat.

Interessant ist, dass Dittli mit ihrem (über)aktiven Vorgehen zwar das Vertrauen der Regierungskollegen verlor, sich aber gleichzeitig neue Unterstützer schaffte – unter Top-Steuerzahlenden. So kritisierte Immobilienmagnat Bernard Nicod im Februar öffentlich den Regierungsrat. Der reiche Immobilienmagnat ist von den unerwarteten Effekten der Vermögenssteuerbremse direkt betroffen. «Die einzige, die gut ist, ist Valérie Dittli», sagte Nicod. Die anderen Staatsräte seien alle sauer auf sie.

Die SVP als lachende Dritte

Auch in Teilen der FDP brodelt es. Die Parteileitung bezichtigte Dittli aufgrund des Studer-Berichts öffentlich des «Vertrauensbruchs». Patrick de Preux gab deswegen seinen Parteiaustritt bekannt, wie «Le Temps» am Donnerstag berichtete. Der Ex-Präsident des Lausanner Eishockeyclubs ist aus Steuergründen inzwischen ins Wallis gezogen. Er kann nicht verstehen, wieso die FDP Dittli derart hart angreift, obwohl sich die Mitte-Politikerin für wichtige Steuerzahlende engagiere.

Während die Zerreissprobe in der FDP in vollem Gang ist, beobachtet die SVP das Geschehen als Dritte im bürgerlichen Bündnis – ohne Regierungsvertreter – aus einer komfortablen Position. «Dass Valérie Dittli Lösungen suchte, um die Steuerbelastung in der Waadt zu senken, sehen wir positiv, doch ob auch die eingesetzten Mittel legal waren, wissen wir nicht», sagt SVP-Fraktionschef Cédric Weissert.

Er will die weiteren Untersuchungen abwarten, welche eine parlamentarische Aufsichtskommission bis Ende Jahr abschliessen soll. Bis dahin ist vieles möglich. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
86 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Balabar
28.03.2025 07:07registriert September 2017
« Eine so zerstrittene Kantonsratsregierung hat die Schweiz kaum je gesehen. »
Genf: Hold my bière!
2251
Melden
Zum Kommentar
avatar
FACTS
28.03.2025 06:50registriert April 2020
"sorgte jedoch dafür, dass manche Betroffene seit 2022 mehr Steuern bezahlen, als sie Einkommen haben"

Na und? Die Vermögenssteuer besteuert ja auch nicht Einkommen, sondern (grosse) Vermögen!
19148
Melden
Zum Kommentar
avatar
Raketenwissenschaftler
28.03.2025 07:06registriert Januar 2023
Es gab in der Vaud eine Übereinkunft, dass niemand mehr wie 60% Steuern zahlen muss. Ex Regierungsrat Broulis hat die Regeln angepasst. Die Steuern können nun 100% und mehr betragen. Nicht dass Broulis das so wollte,.sondern es war ein Fehler aus Inkompetenz. Das Parlament der Vaud hat das in der Zwischenzeit rückgängig gemacht. Dittli hat nur versucht, hier eine Lösung zu finden. Ob sie dabei inkorrekt vorging, oder von Broulis Loyalisten abgesägt wird, werden wir sehen. Ich vermute das Zweite.
11827
Melden
Zum Kommentar
86
Die Antikom­mu­nis­ten von Genf
Der Genfer Anwalt Théodore Aubert war treibende Kraft hinter der Entente internationale anticommuniste. Die Organisation agierte aus der Calvinstadt heraus und hatte Kontakte in die höchsten politischen Kreise.

Am 23. Juni 1924 versammelten sich in Paris konservative Aktivisten, Politiker und Militärs aus ganz Europa mit einem gemeinsamen Ziel: dem Kampf gegen den Kommunismus. Was zunächst ein Treffen unter Gleichgesinnten war, wurde bald zur Geburtsstunde einer internationalen Organisation, die Jahrzehnte lang aus dem Verborgenen heraus Einfluss auf Politik, Medien und sogar Geheimdienste nahm – die Entente internationale anticommuniste (EIA).

Zur Story