Es ist die nächste Eskalation in einem Politdrama: Am Mittwoch brach Valérie Dittli die Sitzung des Waadtländer Regierungsrates vorzeitig ab, weil sich die sieben Staatsräte nicht einig wurden.
Konkret ging es um die Frage, welche Dossiers die gebürtige Zugerin künftig nebst der Landwirtschaft verantworten soll. Der Staatsrat hatte Dittli letzten Freitag gegen ihren Willen das Finanzdepartement entzogen. Dies an einer denkwürdigen Medienkonferenz, die in einem Schlagabtausch zwischen Dittli und dem Rest des Gremiums endete.
Basis für den Entscheid bildete ein Bericht von Jean Studer. Der frühere Neuenburger SP-Ständerat hatte die Zustände in Dittlis Finanzdepartement und deren Konflikt mit der Chefin der Steuerabteilung analysiert. Er lastete der Regierungsrätin zwei potenziell illegale Vergehen an.
Um die Vorwürfe und den brisanten politischen Kontext der Affäre zu verstehen, ist es nötig, den Fall von vorne aufzurollen. Zumal sich aus parteipolitischer Sicht die Frage stellt, wie es zum Bruch zwischen Dittli und den drei FDP-Vertretern kommen konnte. Sie bilden die bürgerliche Regierungsmehrheit – seit 2022.
Damals wurde die erst 29-jährige Dittli als Staatsrätin gewählt. Der Erfolg gelang dank der Allianz mit FDP und SVP. Und die beiden Parteien halfen der Polit-Novizin auch danach: Dittli durfte an ihren Fraktionssitzungen teilnehmen, da die Mitte selbst keine Abgeordneten hatte.
«Für uns war es normal, mit ihr Informationen zu teilen und sie auf ihren ersten Schritten zu unterstützen», sagt FDP-Präsidentin Florence Bettschart-Narbel. Nachdem Dittli anfänglich «systematisch» an den FDP-Sitzungen teilnahm – bei der SVP etwas weniger regelmässig -, wurden ihre Besuche mehr und mehr seltener.
Das habe nichts mit den nun bekannt gewordenen Vorfällen zu tun, betont Bettschart-Narbel. Vielmehr sei sich die FDP bewusst geworden, dass sie «Raum für parteiinterne Diskussionen» brauche.
Nach den «Flitterwochen» lebten sich die FDP und Dittli also zusehends auseinander. Was dann zur Eskalation führte, dazu gibt es zwei Narrative: Die Dittli-Befürworter sagen, die Mitte-Politikerin wollte die Steuerprobleme der Waadt schneller anpacken als der Rest der Regierung. Im Finanzdepartement, das zuvor zwanzig Jahre lang unter der Leitung des heutigen FDP-Ständerats Pascal Broulis gestanden hatte, sei ihr das Leben schwer gemacht worden.
Die Dittli-Kritiker sehen im Wirken der jungen Politikerin dagegen «Alleingänge» einer Einzelkämpferin, die sich nicht kollegial verhalten und so das Vertrauen in der Regierung verspielt habe.
Eines der beiden heissen Eisen ist die Vermögenssteuerbremse. Sie deckelt in der Waadt die Steuern der 3500 reichsten Einwohnenden. Eine von Pascal Broulis initiierte Änderung der Berechnungsgrundlagen sorgte jedoch dafür, dass manche Betroffene seit 2022 mehr Steuern bezahlen, als sie Einkommen haben – und dagegen Sturm laufen. Die Kantonsregierung befasste sich zwischen März und Juni 2024 mehrmals mit der Situation.
In diesem Kontext preschte Dittli intern vor: Laut einem Mail vom 19. Juni 2024 forderte sie von der Chefin der Steuerbehörde die Annullierung ausgestellter Steuerveranlagungen, um eine Übergangslösung zu finden. Nach Ansicht von Studer handelt es sich dabei um eine «inakzeptable Einmischung» in die Arbeit der Steuerbehörden. Die Mitte-Politikerin argumentiert, ihr seien Informationen vorenthalten worden. Sie fühlt sich missverstanden.
Das zweite heisse Eisen ist eine Initiative aus Unternehmerkreisen, die 12 Prozent tiefere Einkommens- und Vermögenssteuern fordert. In der Waadt ist die Steuerbelastung im nationalen Vergleich sehr hoch.
Der Regierungsrat tat sich laut Insidern schwer mit der Frage, wie die Initiative am besten zu bekämpfen sei. Dittli sah eine grundlegende Reform der Einkommens- und Vermögenssteuersätze als Lösung – und wollte offenbar vorwärtsmachen.
Gemäss Studer wies die Finanzdirektorin im August 2024 einen hohen Steuerbeamten an, mit Personen im Umfeld der Initiative über die Reform zu sprechen. RTS-Recherchen zufolge handelte es sich um Patrick de Preux. Er war früher FDP-Abgeordneter und Präsident des Lausanner Eishockeyclubs gewesen.
Die Krux: Die Diskussionen im Regierungsrat waren vertraulich. Studer vermutet eine Verletzung des Amtsgeheimnisses, was Dittli bestreitet. Nun untersucht die Staatsanwaltschaft.
Die Regierung stellte der Initiative letztlich keinen direkten, sondern einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber. Dieser sah Steuersenkungen um 5 Prozent vor. Das Parlament sprach sich im Dezember für 7 Prozent aus. Inmitten der Debatte gab Finanzdirektorin Dittli der Zeitung «Le Temps» ein Interview. Darin kündigte sie eine grundsätzliche Reform der Steuersätze an, um die Waadt attraktiver zu machen.
Das überrumpelte viele. SP-Präsident Romain Pilloud wandte sich mit der Frage an die Regierung, ob die Position von Dittli jene des Gesamtgremiums sei. «Damals wusste ich noch nichts von den Spannungen im Staatsrat, doch heute wirft Dittlis Vorpreschen natürlich neue Fragen auf», sagt Pilloud, der bis dato keine Antwort erhalten hat.
Interessant ist, dass Dittli mit ihrem (über)aktiven Vorgehen zwar das Vertrauen der Regierungskollegen verlor, sich aber gleichzeitig neue Unterstützer schaffte – unter Top-Steuerzahlenden. So kritisierte Immobilienmagnat Bernard Nicod im Februar öffentlich den Regierungsrat. Der reiche Immobilienmagnat ist von den unerwarteten Effekten der Vermögenssteuerbremse direkt betroffen. «Die einzige, die gut ist, ist Valérie Dittli», sagte Nicod. Die anderen Staatsräte seien alle sauer auf sie.
Auch in Teilen der FDP brodelt es. Die Parteileitung bezichtigte Dittli aufgrund des Studer-Berichts öffentlich des «Vertrauensbruchs». Patrick de Preux gab deswegen seinen Parteiaustritt bekannt, wie «Le Temps» am Donnerstag berichtete. Der Ex-Präsident des Lausanner Eishockeyclubs ist aus Steuergründen inzwischen ins Wallis gezogen. Er kann nicht verstehen, wieso die FDP Dittli derart hart angreift, obwohl sich die Mitte-Politikerin für wichtige Steuerzahlende engagiere.
Während die Zerreissprobe in der FDP in vollem Gang ist, beobachtet die SVP das Geschehen als Dritte im bürgerlichen Bündnis – ohne Regierungsvertreter – aus einer komfortablen Position. «Dass Valérie Dittli Lösungen suchte, um die Steuerbelastung in der Waadt zu senken, sehen wir positiv, doch ob auch die eingesetzten Mittel legal waren, wissen wir nicht», sagt SVP-Fraktionschef Cédric Weissert.
Er will die weiteren Untersuchungen abwarten, welche eine parlamentarische Aufsichtskommission bis Ende Jahr abschliessen soll. Bis dahin ist vieles möglich. (aargauerzeitung.ch)
Genf: Hold my bière!
Na und? Die Vermögenssteuer besteuert ja auch nicht Einkommen, sondern (grosse) Vermögen!