Wahlniederlage, Wahlniederlage, Kommunikationspanne, Wahlniederlage: Etwas boshaft könnte man so beschreiben, was den Grünen seit dem 22. Oktober widerfahren ist.
Zunächst verlieren sie bei den Nationalratswahlen 3.4 Prozentpunkte Wähleranteil und 5 Sitze. Dann verpasst die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone, eine der grossen Hoffnungsträgerinnen der Partei, am 12. November knapp ihre Wiederwahl.
Zwei Tage später dringt aus der Partei die Info an die Medien, dass Parteipräsident Balthasar Glättli zurücktreten wird. Eigentlich hätte dieser Schritt erst nach den Bundesratswahlen publik werden sollen.
Und bei diesen Bundesratswahlen folgt die dritte Niederlage: Der Grünen-Kandidat Gerhard Andrey unterliegt am 13. Dezember deutlich gegen den FDP-Aussenminister Ignazio Cassis.
Nach einem Herbst voller Ungemach erhoffen sich die Grünen fürs neue Jahr mehr Erfolg – mit neuem Spitzenpersonal. Kandidaturen für das Parteipräsidium können bis zum 4. Februar eingereicht werden. Der nationale Parteivorstand hat einen sechsköpfigen Wahlausschuss eingesetzt, bestehend aus Vertretern der Kantonalparteien sowie Generalsekretärin Rahel Estermann. Dieser prüft die Kandidaturen anschliessend auf Herz und Nieren. Gewählt wird das neue Präsidium an der Delegiertenversammlung vom 6. April.
Offiziell wirft zum jetzigen Zeitpunkt noch niemand seinen Hut in den Ring. Mögliche Aspirantinnen und Aspiranten wollen sich über die Festtage in Ruhe Gedanken machen zu einer Kandidatur.
Klar ist: Nach Balthasar Glättli soll bei den Grünen eine Frau die Zügel übernehmen. Männer kommen höchstens als Teil eines gemischten Co-Präsidiums infrage. Die neue Spitze soll nach dem Rücktritt des 50-jährigen Glättli ausserdem für Verjüngung stehen.
Ob es auf ein Co-Präsidium hinausläuft, wie es die SP mit Mattea Meyer und Cédric Wermuth kennt, ist noch unklar. Viele würden eine solche Lösung bevorzugen, einzelne potenzielle Anwärterinnen möchten den Job lieber alleine machen.
Aus Gesprächen am Rande der Wintersession werden verschiedene mögliche Szenarien ersichtlich. Szenario Nummer 1 und die derzeit grösste Unbekannte im Präsidiumspoker heisst Lisa Mazzone. Die 35-Jährige hat nicht verborgen, dass sie ihre Abwahl als Ständerätin und das damit drohende Ende ihrer politischen Laufbahn stark getroffen hat. Es ist durchaus möglich, dass sich Mazzone ganz aus der institutionellen Politik zurückzieht.
Aber gleichzeitig wünschen sich viele in der Partei Mazzone als neue Parteipräsidentin. Für dieses Lager bietet eine Parteichefin Mazzone Chancen: Als junge Frau repräsentiert sie die Wählerbasis idealtypisch. Und die Grünen könnten sich mit ihr – auch in Abgrenzung zur SP – wieder stärker als Bewegung positionieren, die Politik auch ausserhalb des Bundeshauses betreibt.
Doch diese Lösung wäre wohl sowieso nur eine temporäre: Zwei Quellen bestätigen unabhängig voneinander, dass Mazzone – wenn sie überhaupt will – nur dann als Parteipräsidentin antritt, wenn sie bei den Wahlen 2027 einen Spitzenplatz auf der Nationalratsliste der Genfer Grünen erhält. Mazzone hat nicht auf Anfragen von CH Media reagiert.
Gewichtige Kräfte halten jedoch eine Parteipräsidentin von ausserhalb der Fraktion für keine gute Idee. Abfedern liesse sich das mit einem Co-Präsidium aus Mazzone und einem Parlamentsmitglied.
Ein Spitzenduo aus Romandie und Deutschschweiz ist das am häufigsten genannte Szenario. Für den Westschweizer Sitz im Co-Präsidium ist Mazzone bei weitem nicht der einzige Name. Überlegungen, ob sie sich dafür zur Verfügung stellen, machen sich etwa Nicolas Walder (GE), Fabien Fivaz (NE), Sophie Michaud Gigon (VD) oder Léonore Porchet (VD). In der Deutschschweiz tun dies beispielsweise Florence Brenzikofer (BL), Sibel Arslan (BS), Irène Kälin (AG), ebenso wie der perfekt zweisprachige Deutschfreiburger Gerhard Andrey.
Häufig fällt auch der Name von Marionna Schlatter (43). Sie formuliert zurückhaltend: «Wir sind alle dazu aufgerufen, uns Gedanken zum Parteipräsidium zu machen, und das tue ich auch.» Schlatter will sich nicht auf ein Co-Präsidium festlegen. Sie habe die Grünen des Kantons Zürich sowohl alleine als auch in einem Co-Präsidium geführt: «Beide Modelle haben ihre Vor- und Nachteile.»
Auch der Waadtländer Raphaël Mahaim (39) will sich noch nicht auf ein Modell festlegen, sollte er sich zu einer Kandidatur entschliessen. Eindeutiger fällt die Präferenz bei der Tessiner Nationalrätin Greta Gysin (40): «Wenn ich kandidiere, würde ich das Amt lieber alleine ausüben, aber mit einem starken Vizepräsidium.»
Die Tessinerin, die lange in Zürich gelebt hat und akzentfrei Schweizerdeutsch spricht, soll bestens mit Fraktionschefin Aline Trede (BE) harmonieren. Die 40-jährige Bernerin fühlt sich wohl in ihrer aktuellen Rolle. Ein Wechsel ins Parteipräsidium stehe nicht im Vordergrund.
Doch von vornherein ausschliessen könne sie nichts: «Wenn ich das Gefühl habe, es ist im besten Interesse der Partei, werde ich eine Kandidatur prüfen», sagt Trede.
Bei ihr kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor hinzu. Im Herbst 2024 wird die fünfköpfige Stadtregierung von Bern neu gewählt. Tredes lokalpolitische Heimat, das Grüne Bündnis, will den Sitz der zurücktretenden Franziska Teuscher verteidigen.
Die Stadtberner Bürgerlichen schmieden derzeit an einer breiten Wahlallianz, um der rot-grünen Mehrheit einen von vier Sitzen abzujagen. Kommt das Bündnis von GLP bis SVP zustande, dann braucht das Grüne Bündnis einen bekannten Namen, um seinen Sitz zu retten. Ganz oben auf der Wunschliste der Partei: Aline Trede. (aargauerzeitung.ch)