Vom Zürcher Limmatplatz hinauf bis zum Volkshaus – Partygänger und Prostituierte haben hier seit rund einem Jahr Gesellschaft. Wer heute der Strasse entlanggeht, besorgt sich möglicherweise etwas für entspannte Stunden im Coffeeshop.
CBD ist das Business, das 2018 Kasse macht. THC-arme Hanfzigaretten sind seit ihrer Legalisierung letztes Jahr ein Massenphänomen. Jetzt schiessen die CBD-Läden in den Zürcher Kreisen 4 und 5 wie Pilze aus dem Boden.
Wir steigen am Limmatplatz aus dem Tram, biegen in die Langstrasse ein – und stehen im Hanf-Paradies. Drei Strassen vom Verein «Legalize it!» entfernt, bieten auf engstem Raum vier Shops Joints ohne Rauschwirkung an: Das hippe Cannaflora, ein Valora-K-Kiosk, der Pop-up-Store Marry Jane und der alteingesessene Headshop von Stadtoriginal Werner Bösch. Ein paar hundert Meter weiter kommen vier weitere Hanfläden dazu.
... steht auf dem Schild vor Cannaflora. Wir treten ein. Es riecht süsslich-würzig. Das Interieur ist schlicht, schon fast steril und weiss gehalten. Links reihen sich Hanfspagetti, Hanfmüesli und Hanf-Antifaltencreme. Rechts Flyer gegen Pelz und für Tierschutzanliegen. Zwei Schritte weiter stösst man auf das typische Kiffer-Zubehör: Filter und Bongs.
Mitten im Raum steht Pablo, 26, ehemaliger KV-Angestellter. Er ist seit der Eröffnung des Ladens im Jahr 2017 Geschäftsführer. Er zeigt auf eine verpackte Spritze und erklärt: «Damit extrahiert man CBD-Öl. Das macht die Dosierung einfacher». Dies sei besonders für Personen wichtig, die Hanf aus medizinischen Gründen einnehmen.
Zwei junge Frauen treten lachend ein. Beide sind höchstens 25, gepflegt gekleidet, aber auf ein alternatives Erscheinungsbild bedacht. Ihre erste Frage: «Gell, bei euch ist alles bio und lokal angebaut?» Pablo nickt.
Ob seine Hauptkunden junge Hipster sind, aus Kiffer-Kreisen stammen oder eher Grosis mit Rheumaschmerzen, will er nicht verraten. «Über Kunden sprechen wir nicht, sorry.» Eine seiner Zielgruppen verrät aber der Schriftzug unter vielen Produkten: vegan. Wie er reiten auch viele andere CBD-Anbieter auf der veganen Welle mit.
Gefühlte zehn Schritte weiter in Richtung Langstrasse-Unterführung stapeln sich Hanf-Lollis und Cannabis-Cookies in einem Schaufenster. Wir sind bei Mary Jane. Ein Pop-up-Store, der sich diesen Sommer an der Langstrasse einquartiert hat. Hier geht es farbenfroh zu und her. Neben Hanfblüten und CBD-Tinkturen sind Hanf-Popcorn und Hanfsamen, die auf der Packung als «Powerfood» angepriesen werden, die Hauptattraktion.
Das Business läuft gut. Innerhalb von fünf Minuten bedient der Verkäufer drei Kunden. Es ist Rush-Hour, kurz vor 17 Uhr. Die Kunden, die hier vor ihrem Feierabend einen Zwischenhalt machen, passen nicht ins klischierte Bild der Hanfszene.
Eine 40-jährige Frau im stylischen Trainingsanzug und mit kabellosen iPhone-Kopfhörern im Ohr kommt samt «Vogue»-Heftli unter dem Arm hereingestürmt. Sie fragt nach CBD-Öl gegen ihre Migränen. «Das ist das Einzige, was schnell wirkt. Ich tröpfle es mir unter die Zunge», sagt sie. Auch Paul, um die 50, ist da. Er hat jahrelang viel Sport getrieben und ist Stammkunde. Er kifft CBD, weil es ihm bei seiner rheumatoiden Arthritis hilft.
Auf einen eingesessenen Kiffer mit Dope-Cap oder Rastas wartet die Reporterin vergeblich. «Klar, wir haben nichts mit Kiffen zu tun, sondern eher mit alternativer Medizin», sagt der Cannabis-Sommelier. Wir ziehen weiter.
Anderer Laden, anderes Ambiente. Im Werner Headshop auf der anderen Strassenseite macht CBD nur einen kleinen Teil des Sortiments aus. Es geht hier weniger schick, dafür authentisch zu und her. Der Headshop gehört nicht zu den neuen Cannabis-light-Trend-Läden, sondern hält seine Stellung schon seit über 30 Jahren.
Der K Kiosk einige Meter weiter «dealt» mit CBD direkt hinter Gummibärchen und Schokoriegeln. «Warum rauchst du CBD?», fragen wir die Studentin Laura, 26. «Weil es mich relaxt wie THC, aber ich nicht wegen des Hungerflashs mitten in der Nacht zu Mc Donald's renne und mir einen Hamburger reinhaue.»
Kaum aus dem Geschäft, bricht über der Langstrassen-Unterführung die Nacht herein. Zeit für den Coffeeshop Green Inca seine Türen zu öffnen.
Der Laden liegt in einer ruhigen Seitenstrasse nach der Lugano-Bar in Richtung Nordwesten. Den Raum erhellt ein dämmriges Licht, das dem Lokal ein Wellness-Flair verschafft. In den Regalen stehen neben CBD-Zigis und -Öl auch Hanf-Duschgels und Shampoos.
Den Shop eröffneten ein Banker und ein Verwaltungsassistent der Uni Zürich gemeinsam. Und das Geschäft floriert. Erst seit kurzem haben die zwei einen weiteren Laden im Kanton Luzern.
«Kann der Stoff auch bei Schlafproblemen helfen?», fragt ein älterer Kunde mit einer Packung Luxemburgerli in der Hand die Verkäuferin. Das könne sein, sagt diese, nur leider dürfe sie dazu nichts sagen. «Aber informieren Sie sich doch online.» Da CBD-Hanf-Produkte in der Schweiz nur als Genuss- beziehungsweise Lebensmittel und nicht als Medikamente zugelassen sind, dürfen sie nicht in Verbindung mit Heilwirkungen angepriesen werden.
Gleich um die Ecke wird das Hiltl, eine Restaurant-Kette für den gut situierten Vegi, auch heute Abend in seinem Dessert-Buffet wieder Space-Brownies anbieten. Geschäftsführer Rolf Hiltl: «Die haben wir seit einem Jahr, und zwar nur im Lokal an der Langstrasse. Wir dachten, das passt, weil es ja links und rechts von CBD-Shops wimmelt.» Wer bis nach dem Abendessen nicht zu CBD gekommen ist, kann sich aber auch im Zürcher Nachtleben versorgen. In mehreren Clubs stehen seit einigen Monaten entsprechende Verkaufsautomaten.
Klar wird auf dem Streifzug durch die Langstrasse: Trotz zahlreicher Kunden befürchten viele Kleinhändler, den Hanf-Markt an die Pharmaindustrie oder die Grossverteiler zu verlieren. Das sagen sie aber nur hinter vorgehaltener Hand. Ihre Sorge kommt nicht von ungefähr: Die Coop, Migrolinos und der Denner verkaufen Hanfzigaretten und Blüten. Und auch die Apotheken steigen eine nach der anderen in das CBD-Geschäft ein.
Doch warum überhaupt dieser Hype um das Gras ohne Rauschwirkung? CBD-Kifferin Laura liefert ihre Antwort, bevor sie mit ihren neu erworbenen Hanfblüten in der Tasche in den Feierabend verschwindet: «CBD ist wie eine pflanzliche Detox gegen die heutige Gesellschaftskrankheit Stress.»
*Name geändert.