Die Fast-Fashion-Marke Shein boomt. Der 2012 gegründete Online-Händler gilt mittlerweile als grösstes Modeunternehmen der Welt. Dies, obwohl die Schweizer NGO Public Eye 2021 unter dem Titel «Schuften für Shein» eine vernichtende Reportage veröffentlicht hat.
Mithilfe einer chinesischen Organisation vor Ort wollte Public Eye damals herausfinden, welche Arbeitsbedingungen in den Shein-Fabriken vorherrschen. Was sie aufdeckten, war skandalös: Die Arbeiter und Arbeiterinnen, mit denen die chinesische Organisation sprach, berichteten von 75-stündigen Arbeitswochen. Nur einmal pro Woche konnten sie nach dem Abendessen Feierabend machen, an den sechs anderen Tagen mussten sie noch Stunden weiterschuften. Wochenenden gab es nicht, lediglich einen Tag pro Monat bekamen sie frei. Arbeitsverträge hatten keine der Befragten.
Arbeitsbedingungen, die gegen das chinesische Recht verstossen. Der Bericht schlug Wellen, viele weitere Leit- und Fachmedien warfen daraufhin einen genaueren Blick auf die Firma. Bis heute habe Shein nie auf den Fragenkatalog zu den Rechercheergebnissen geantwortet, schreibt Public Eye. Gegenüber Medien versprach der Online-Händler aber das Einleiten von Untersuchungen und einer Besserung der Arbeitsbedingungen.
Zwei Jahre nach dem Skandalbericht warf Public Eye erneut einen Blick auf die Bedingungen. Dazu trafen ihre Recherchepartner im Spätsommer 2023 13 Textilarbeiter- und Textilarbeiterinnen, welche für Zulieferer von Shein tätig waren. Am Sonntag publizierte die NGO ihre Erkenntnisse – diese sind ernüchternd.
Wie Public Eye schreibt, hätten sich an den sechs besuchten Produktionsorten mehrheitlich kleine Werkstätten befunden, die jeweils zwischen 40 und 80 Personen beschäftigten. Bei zwei grösseren Fabriken arbeiteten bis zu 200 Angestellte.
An allen Standorten berichteten die Arbeitenden von durchschnittlichen Arbeitszeiten von 12 Stunden täglich – Pausen für Mittag- und Abendessen nicht einberechnet. 75-Stunden-Wochen scheinen daher auch zwei Jahre nach der Recherche von Public Eye noch an der Tagesordnung zu sein. Dies, obwohl laut dem Verhaltenskodex für Zuliefererbetriebe wöchentlich nicht mehr als 60 Stunden inklusive Überstunden gearbeitet werden dürften.
Auch bei den Löhnen schien es keine Besserung gegeben zu haben – auch wenn diese auf den ersten Blick passabel erscheinen. Gemäss Befragungen verdienen einfache Arbeitende zwischen 6000 und 10'000 Yuan pro Monat, was umgerechnet 765 und 1240 Franken entspricht. Für die chinesische Textilindustrie ein eigentlich guter Lohn. Wie Public Eye mit Verweis auf die Asia Floor Wage Alliance schreibt, liegt ein existenzsichernder Lohn, der die Grundbedürfnisse einer Familie abdeckt, aktuell bei 6512 Yuan (umgerechnet etwa 830 Franken).
Dann verdienen die Arbeitenden ja gar nicht so wenig, oder? Das täuscht.
Der nach der ersten Recherche neu eingestellte Nachhaltigkeitschef von Shein gab Anfang 2022 den «Supplier Factory Wage Investigation Audit» – also eine Evaluation der ausgezahlten Löhne – in Auftrag. Die Resultate wurden in einem kurzen Bericht im August 2023 veröffentlicht. Darin brüstet sich das Unternehmen damit, dass es den südchinesischen Arbeitenden bei Shein-Lieferanten überdurchschnittlich viel Lohn bezahle.
Konkret liegen die Löhne der Arbeitenden in den Zulieferbetrieben von Shein laut Bericht in ganz Südchina mehr als 40 Prozent über dem Durchschnittslohn der Privatangestellten in der Region. Shein zeigt das auch noch mit einer Statistik, welche die grosse Lohnschere in den verschiedenen Städten zeigen soll. Die Botschaft: Der Lohn liege in allen Städten weit über dem Mindestlohn für private Angestellte.
Die Zahlen aus dem Shein-Bericht decken sich in etwa mit den Zahlen, die von den Recherchepartnern erhoben wurden. Wo ist also das Problem?
Laut Public Eye fehlen zwei Kernelemente, ohne diese ein Lohnaudit «schlicht keinen Sinn» ergebe. So werden etwa die geleisteten Arbeitsstunden nirgends erwähnt. Public Eye kritisiert:
Erst in einem im August 2023 veröffentlichten Bericht wird auf die Überstunden eingegangen. Dort räumt Shein ein, dass sich der ausgezahlte Lohn im Schnitt aus 37 Prozent Überstunden zusammensetzt. Konkrete Arbeitsstunden werden aber noch immer nicht genannt.
Das zweite fehlende Element besteht laut Public Eye im Verschweigen der niedrigsten Löhne:
Public Eye bat Shein, sowie die drei am Lohn-Audit beteiligten Prüforganisationen, um Einsicht in den vollständigen Bericht – erfolglos. Dass sich die Arbeitsbedingungen verbessert haben sollen, bleibt dadurch weiter zweifelhaft.
Ebenfalls Fragen wirft das Firmengeflecht von Shein auf. Die Umsätze sind intransparent, die Zulieferer werden nicht offengelegt und dass sich der Firmengründer Xu Yangtian letztes Jahr aus dem Vorstand zurückgezogen hat, wurde nie kommuniziert.
Ohne wirklichen Druck von aussen scheint Shein keine wirkliche soziale Verantwortung übernehmen zu wollen. Deswegen greifen einige Länder nun zu neuen Massnahmen. Die französische Nationalversammlung hiess einen Vorstoss gut, wonach die Werbung für Fast Fashion eingeschränkt werden soll. Zudem soll Fast-Fashion-Unternehmen eine «Ökobusse» auferlegt werden. Je unökologischer die Fabrikation, desto höher der Preis.
Auch Schweizer Händler sowie Politiker und Politikerinnen wollen vermehrt gegen Billiganbieter wie Shein und Temu vorgehen. Konkrete Schritte wurden bisher aber noch nicht eingeleitet.
Shein verfolgt derweil ganz andere Pläne: Ende 2023 soll der Online-Händler in den USA vertraulich einen Börsengang beantragt haben. Dort scheint er allerdings auf Widerstand gestossen zu sein, weshalb er sich Insidern zufolge nun um eine Notierung in London bemühen soll, wie Reuters am Dienstag berichtete. Die Fast-Fashion-Firma wurde vor einem Jahr mit 66 Milliarden Dollar bewertet. Sollte das Vorhaben gelingen, wäre es laut der Frankfurter Allgemeinen in London der grösste Börsengang aller Zeiten.
Geiz ist geil in einer absolut kranken Form, Temu ist auch so ein unnötiges Geschwür, welches uns mit Massen billigster Ware, ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt, flutet.
Leider scheinen diese Art von Konsum, viele von uns zu mögen.