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Shein: Wieso du noch immer nicht beim Billig-Konzern bestellen solltest

FILE - Pages from the Shein website, left, and from the Temu site, right, are shown in this photo, in New York, Friday, June 23, 2023. Temu is suing rival Shein again. In a complaint filed Wednesday,  ...
Auf Shein kann man spottbillige Kleidungsstücke erwerben, die aus China importiert werden.Bild: keystone

Wieso du noch immer nicht bei Shein bestellen solltest

75-Stunden-Arbeitswoche beim chinesischen Billig-Konzern Shein – vor zwei Jahren schlug eine Reportage von Public Eye grosse Wellen. Wie sind die Bedingungen zwei Jahre später? Überdurchschnittlich gut, behauptet Shein. Public Eye hat das erneut überprüft.
14.05.2024, 20:1415.05.2024, 07:40
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Der vernichtende Bericht von 2021

Die Fast-Fashion-Marke Shein boomt. Der 2012 gegründete Online-Händler gilt mittlerweile als grösstes Modeunternehmen der Welt. Dies, obwohl die Schweizer NGO Public Eye 2021 unter dem Titel «Schuften für Shein» eine vernichtende Reportage veröffentlicht hat.

Mithilfe einer chinesischen Organisation vor Ort wollte Public Eye damals herausfinden, welche Arbeitsbedingungen in den Shein-Fabriken vorherrschen. Was sie aufdeckten, war skandalös: Die Arbeiter und Arbeiterinnen, mit denen die chinesische Organisation sprach, berichteten von 75-stündigen Arbeitswochen. Nur einmal pro Woche konnten sie nach dem Abendessen Feierabend machen, an den sechs anderen Tagen mussten sie noch Stunden weiterschuften. Wochenenden gab es nicht, lediglich einen Tag pro Monat bekamen sie frei. Arbeitsverträge hatten keine der Befragten.

Arbeitsbedingungen, die gegen das chinesische Recht verstossen. Der Bericht schlug Wellen, viele weitere Leit- und Fachmedien warfen daraufhin einen genaueren Blick auf die Firma. Bis heute habe Shein nie auf den Fragenkatalog zu den Rechercheergebnissen geantwortet, schreibt Public Eye. Gegenüber Medien versprach der Online-Händler aber das Einleiten von Untersuchungen und einer Besserung der Arbeitsbedingungen.

Zwei Jahre nach dem Skandalbericht warf Public Eye erneut einen Blick auf die Bedingungen. Dazu trafen ihre Recherchepartner im Spätsommer 2023 13 Textilarbeiter- und Textilarbeiterinnen, welche für Zulieferer von Shein tätig waren. Am Sonntag publizierte die NGO ihre Erkenntnisse – diese sind ernüchternd.

Methode der zweiten Recherche
Die Untersuchung wurde im Spätsommer 2023 durchgeführt. Befragt wurden 13 Beschäftigte (7 Frauen, 6 Männer) im Alter von 23 bis 60 Jahren.
Sie arbeiteten in einem von sechs Betrieben im Stadtbezirk Panyu der Metropole Guangzhou in der Provinz Guangdong.

Der Fast-Fashion-Konzern Shein legt nicht offen, mit welchen Lieferanten er zusammenarbeitet. Anhand von sichtbaren Shein-Produkten sowie der Antworten der Befragten konnte die Zusammenarbeit mit den untersuchten Betrieben festgestellt werden.

Noch immer 75-Stunden-Wochen

Wie Public Eye schreibt, hätten sich an den sechs besuchten Produktionsorten mehrheitlich kleine Werkstätten befunden, die jeweils zwischen 40 und 80 Personen beschäftigten. Bei zwei grösseren Fabriken arbeiteten bis zu 200 Angestellte.

An allen Standorten berichteten die Arbeitenden von durchschnittlichen Arbeitszeiten von 12 Stunden täglich – Pausen für Mittag- und Abendessen nicht einberechnet. 75-Stunden-Wochen scheinen daher auch zwei Jahre nach der Recherche von Public Eye noch an der Tagesordnung zu sein. Dies, obwohl laut dem Verhaltenskodex für Zuliefererbetriebe wöchentlich nicht mehr als 60 Stunden inklusive Überstunden gearbeitet werden dürften.

Wer steckt hinter Shein?
2008 wurde Shein (ausgesprochen «Schie – Inn») vom ehemaligen Suchmaschinenoptimierer Xu Yangtian gegründet.

Yangtian begann früh, von China aus Hochzeitskleider für den Westen zu verkaufen. 2012 kaufte er die Domain sheinside.com. 2015 wurde daraus Shein. Das chinesische Unternehmen mit Sitz in Guangzhou befindet sich in privater Hand und verkauft in über 150 Länder.

Den grössten Teil seiner Verkäufe macht Shein über die mobile App. Mit Rabatten, Spielen, Preisen und bis zu 8000 neuen Produkten pro Tag versucht der chinesische Konzern, seine Userschaft bei Laune und engagiert zu halten. Gemäss dem Wall Street Journal soll Shein 2022 einen Umsatz von 24 Milliarden US-Dollar geschrieben haben.

Das Unternehmen beschäftigt fast 10'000 Mitarbeitende weltweit. (hst)

Auch bei den Löhnen schien es keine Besserung gegeben zu haben – auch wenn diese auf den ersten Blick passabel erscheinen. Gemäss Befragungen verdienen einfache Arbeitende zwischen 6000 und 10'000 Yuan pro Monat, was umgerechnet 765 und 1240 Franken entspricht. Für die chinesische Textilindustrie ein eigentlich guter Lohn. Wie Public Eye mit Verweis auf die Asia Floor Wage Alliance schreibt, liegt ein existenzsichernder Lohn, der die Grundbedürfnisse einer Familie abdeckt, aktuell bei 6512 Yuan (umgerechnet etwa 830 Franken).

Dann verdienen die Arbeitenden ja gar nicht so wenig, oder? Das täuscht.

Fragwürdiger Lohn-Audit

Der nach der ersten Recherche neu eingestellte Nachhaltigkeitschef von Shein gab Anfang 2022 den «Supplier Factory Wage Investigation Audit» – also eine Evaluation der ausgezahlten Löhne – in Auftrag. Die Resultate wurden in einem kurzen Bericht im August 2023 veröffentlicht. Darin brüstet sich das Unternehmen damit, dass es den südchinesischen Arbeitenden bei Shein-Lieferanten überdurchschnittlich viel Lohn bezahle.

«Verglichen mit dem staatlich vorgeschriebenen Mindestlohn der jeweiligen Stadt verdienen die Arbeiter in den Zulieferbetrieben von SHEIN deutlich mehr, wobei die Arbeiter in der Stadt Guangzhou die höchsten Monatsgehälter erhalten.»

Konkret liegen die Löhne der Arbeitenden in den Zulieferbetrieben von Shein laut Bericht in ganz Südchina mehr als 40 Prozent über dem Durchschnittslohn der Privatangestellten in der Region. Shein zeigt das auch noch mit einer Statistik, welche die grosse Lohnschere in den verschiedenen Städten zeigen soll. Die Botschaft: Der Lohn liege in allen Städten weit über dem Mindestlohn für private Angestellte.

Lohnstatistik von SHEIN
Bild: shein

Die Zahlen aus dem Shein-Bericht decken sich in etwa mit den Zahlen, die von den Recherchepartnern erhoben wurden. Wo ist also das Problem?

Laut Public Eye fehlen zwei Kernelemente, ohne diese ein Lohnaudit «schlicht keinen Sinn» ergebe. So werden etwa die geleisteten Arbeitsstunden nirgends erwähnt. Public Eye kritisiert:

«Eine Evaluation der erzielten Einkommen ohne Berücksichtigung der dafür geleisteten Stunden ist ungefähr so sinnvoll wie die Geschwindigkeitsmessung bei einem Wettlauf mit Stoppuhr, aber ohne Bezug zur Streckenlänge.»

Erst in einem im August 2023 veröffentlichten Bericht wird auf die Überstunden eingegangen. Dort räumt Shein ein, dass sich der ausgezahlte Lohn im Schnitt aus 37 Prozent Überstunden zusammensetzt. Konkrete Arbeitsstunden werden aber noch immer nicht genannt.

Das zweite fehlende Element besteht laut Public Eye im Verschweigen der niedrigsten Löhne:

«Dabei wären sie – und nicht etwa der Lohndurchschnitt – der relevanteste Indikator für mögliche Rechtsverletzungen und Armutsrisiken.»

Public Eye bat Shein, sowie die drei am Lohn-Audit beteiligten Prüforganisationen, um Einsicht in den vollständigen Bericht – erfolglos. Dass sich die Arbeitsbedingungen verbessert haben sollen, bleibt dadurch weiter zweifelhaft.

Kritik wächst – Shein will an die Börse

Ebenfalls Fragen wirft das Firmengeflecht von Shein auf. Die Umsätze sind intransparent, die Zulieferer werden nicht offengelegt und dass sich der Firmengründer Xu Yangtian letztes Jahr aus dem Vorstand zurückgezogen hat, wurde nie kommuniziert.

Ohne wirklichen Druck von aussen scheint Shein keine wirkliche soziale Verantwortung übernehmen zu wollen. Deswegen greifen einige Länder nun zu neuen Massnahmen. Die französische Nationalversammlung hiess einen Vorstoss gut, wonach die Werbung für Fast Fashion eingeschränkt werden soll. Zudem soll Fast-Fashion-Unternehmen eine «Ökobusse» auferlegt werden. Je unökologischer die Fabrikation, desto höher der Preis.

Auch Schweizer Händler sowie Politiker und Politikerinnen wollen vermehrt gegen Billiganbieter wie Shein und Temu vorgehen. Konkrete Schritte wurden bisher aber noch nicht eingeleitet.

Shein verfolgt derweil ganz andere Pläne: Ende 2023 soll der Online-Händler in den USA vertraulich einen Börsengang beantragt haben. Dort scheint er allerdings auf Widerstand gestossen zu sein, weshalb er sich Insidern zufolge nun um eine Notierung in London bemühen soll, wie Reuters am Dienstag berichtete. Die Fast-Fashion-Firma wurde vor einem Jahr mit 66 Milliarden Dollar bewertet. Sollte das Vorhaben gelingen, wäre es laut der Frankfurter Allgemeinen in London der grösste Börsengang aller Zeiten.

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82 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schlaf
14.05.2024 20:27registriert Oktober 2019
Es sind leider nicht nur die Arbeitsbedingungen solcher Firmen, dass wir möglichst die Finger von diesen Lassen!

Geiz ist geil in einer absolut kranken Form, Temu ist auch so ein unnötiges Geschwür, welches uns mit Massen billigster Ware, ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt, flutet.

Leider scheinen diese Art von Konsum, viele von uns zu mögen.
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Hans Hansen
14.05.2024 20:30registriert August 2019
Ich habe noch nie bei Temu, Alibaba usw. bestellt aber in der Migros verkaufen sie den ganzen Schrott auch einfach mit einer riesen Marche. Die arbeiter haben genau die gleichen Bedienungen.
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Froggr
14.05.2024 20:48registriert Februar 2016
Die Arbeitsbedinungen sind mies. Das ist keinesfalls gutzuheissen. Jedoch muss ganz klar gesagt werden, dass viele der Produkte auf Temu so eins zu eins (!) aber zum 5-10 fachen Preis in Läden wie Manor, Lidl aber sogar auch Coop oder Migros angeboten wird. Die Arbeitsbedingungen sind dabei identisch. Nur die Marge deutlich höher. Nun, was soll man tun? Klar, kein Chinaschrott kaufen. Aber dann bitte konsequent sein und auch bei Schweizer Läden keine solche Produkte kaufen. Man kann es niemandem übel nehmen, die (identische) Ware bei Temu anstelle für das 10 Fache bei Manor zu kaufen.
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    Mieter in der Schweiz sollen Zugang zu Ladestation für E-Autos erhalten
    Der Bundesrat muss dafür sorgen, dass Mietende und Stockwerkeigentümer den Zugang zu einer Ladestation haben. Der Ständerat hat eine entsprechende Motion aus dem Nationalrat überwiesen.

    Mit 24 zu 18 Stimmen hiess der Ständerat am Mittwoch einen entsprechenden Vorstoss von Jürg Grossen (GLP/BE) gut, auf Antrag einer Minderheit.

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