Wer könnte diesen Satz gesagt haben? Ein grüner Politiker? Eine Klimaaktivistin? Greenpeace?
Nicht ganz. Es war der Ölmulti BP. Als Teil seiner PR-Kampagne «Beyond Petroleum» appellierte der Konzern 2006 an all die Plastik verbrauchenden, viel fahrenden Bürgerinnen dieser Welt, doch etwas weniger Treibhausgase zu erzeugen.
Konzipiert wurde die Kampagne von der PR-Agentur Ogilvy & Mather. Sie hat damit eine der einflussreichsten und gleichzeitig gefährlichsten PR-Kampagnen aller Zeiten erschaffen, denn: Plötzlich war nicht mehr BP schuld an seinem gigantischen CO₂-Ausstoss, sondern wir alle.
Doch um das auch wirklich unmissverständlich klarzumachen, reichten Plakate nicht. Etwas Interaktives musste her, etwas, das beweist, dass tatsächlich die Konsumenten schuld an der Erderwärmung sind. Und hier liegt die wahre Genialität dieser Kampagne: BP hat den ökologischen Fussabdruck-Rechner ins Leben gerufen.
Richtig gelesen. Der «Footprint Calculator», jenes Tool, das zeigt, wie viel CO₂ jeder von uns jährlich verursacht. Jenes Tool, das mittlerweile auf Websites von so ziemlich allen Umweltschutzorganisationen zu finden ist. Genau jenes Tool wurde von einer Firma ins Leben gerufen, die rund 400 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr ausstösst (zum Vergleich: Die Schweiz hat einen jährlichen CO₂-Ausstoss von rund 40 Millionen Tonnen). Damit hat BP den Kampf gegen den Klimawandel grundlegend verändert.
Spulen wir vor ins Jahr 2021. Der Klimawandel ist kein abstraktes Problem mehr, dem wir uns irgendwann in der Zukunft widmen können. Der Klimawandel ist jetzt. Die dunklen Prognosen des «Club of Rome» aus dem Jahr 1972 scheinen sich zu bewahrheiten. Hitzewellen, Überflutungen, Waldbrände: All dies passiert jetzt.
Auf individueller Ebene ist das angekommen. Die «Klimaangst» hat es in den Duden geschafft und belegt jedes Jahr Spitzenplätze in den Sorgenbarometern dieser Welt.
Diese Angst hat einen sozialen Wandel in Gang gesetzt, wie wir ihn seit dem Übergang in den Kapitalismus nicht mehr gesehen haben. Damals wurde unsere Welt mit der Transformation von der bäuerlichen Familienökonomie hin zur Marktökonomie auf den Kopf gestellt.
Heute befinden wir uns zwar weiterhin in einer von globalen Märkten bestimmten Welt, aber es ist eine neue Komponente dazugekommen: die Ökologie.
In fast allen Entscheidungen, die wir heute treffen, spielt die Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle. Bio-Tomate vom Wochenmarkt oder Gewächshaus-Tomate vom Discounter? Steak oder Tofu? Elektroauto oder Benziner? Fernreise nach Thailand oder Zugferien in Italien?
Die Frage nach der ökologischen Verträglichkeit unserer Lebensweise hat jede Faser unseres Seins durchdrungen. So sehr, dass sie unser gesamtes soziales Gefüge auf den Kopf gestellt hat.
Was wir kaufen, wie wir uns kleiden, was wir essen und trinken, welche Reisen wir buchen, all das dient neben der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung immer auch als Mittel der sozialen Abgrenzung. Der berühmte französische Soziologe Pierre Bourdieu nannte das «Habitus». Er verstand darunter die Gesamtheit der Gewohnheiten und Güter, die einen Lebensstil ausmachen. Dieser Lebensstil wiederum kennzeichnet einen Menschen als Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe.
Mit seinem Konsum kann man also zeigen, welcher sozialen Gruppe man angehört. Fellmantel und teure Ringe? Geldelite. Familienkutsche und Einfamilienhäuschen? Mittelstand.
Bis anhin waren diese sozialen Schichten sehr vom Geld geprägt. Ganz verschwunden ist die Protz-Ära natürlich nicht, trotzdem spielen heute ganz andere Dinge eine zentrale Rolle. Das Wertegerüst vieler Menschen hat sich verändert, man definiert sich heute viel mehr durch sein kulturelles Kapital.
Dieses besteht aus Bildung und Wissen. Also an welcher Uni jemand studiert hat, wie achtsam, gesundheits- und vor allem umweltbewusst man ist. Zudem ist jeder Kauf ein Statement. Mit jeder nachhaltig produzierten Regenjacke beweist man, wie bewusst man konsumiert. Mit jedem Tofu-Curry am Mittagstisch im Büro schreit man förmlich: «Hey, seht her, ich habe den Ernst der Lage verstanden!»
Kulturelles Kapital ersetzt also monetäres – zumindest vordergründig. Kaufen tut man immer noch. Die umweltbewusste, neue soziale Schicht ist im Gegensatz zu der 68er-Bewegung überhaupt nicht faul, wenn es darum geht, Geld auszugeben. Die US-Soziologin Elizabeth Currid-Halkett nennt diese Menschen folgerichtig auch die «Bio-Elite».
Daran ist auf den ersten Blick nichts verwerflich. Es ist gut und wichtig, bewusst zu leben. Leider rettet man damit nicht die Welt, sondern oft nur sich selbst. Mehr noch: Die Bio-Elite verhindert, ob gewollt oder nicht, echten Wandel. Die Schuld daran trägt aber nicht sie, sondern BP.
Gut, BP ist nicht alleine schuld daran. BP hat mit seinem CO₂-Rechner lediglich einen Stein ins Rollen gebracht. Und diesen Stein hat die Firma nicht einmal selbst gefunden.
Das war die Tabakindustrie. Diese hat in den 50er-Jahren schon erkannt, dass es sehr effektiv ist, die Verantwortung für gesundheitliche Schäden einfach auf den Raucher abzuschieben. Du willst keinen Lungenkrebs? Ja, dann rauch halt nicht.
Dieser Ansatz – den Menschen zu sagen, sie sollen eine Krise lösen, indem sie ihre eigenen Gewohnheiten ändern – ist also eine bewährte Unternehmenstaktik. Das Framing lautet: «Wir, die Unternehmen, sind die Guten. Wir arbeiten an dem Problem, und wir möchten, dass du, lieber Verbraucher, uns bei unseren positiven Bemühungen unterstützt.»
Mittlerweile hat diese Taktik die gesamte Wirtschaft überrollt. Sie ist überall anzutreffen. Denn man hat erkannt, dass Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Kaufkriterien der Konsumenten ist. Und der Markt wäre nicht der Markt, hätte er nicht einen Weg gefunden, um diesen Trend zu Geld zu machen. Einerseits natürlich mit allen möglichen nachhaltigen Produkten, andererseits in Form eines Aufpolierens des Images durch fadenscheinige Versprechen.
Und so ist auch in der Schweiz die Taktik des Konsumentenblamings weit verbreitet. Zum Beispiel im Detailhandel. Mit ihrer Recycling-Kampagne schiebt die Migros die Verantwortung für Plastikverbrauch den Konsumenten zu und lenkt davon ab, dass sie die Möglichkeiten hätte, auf (teurere) Mehrweg-Lösungen umzusteigen.
Gleiches bei Nestlé: Der grösste Nahrungsmittelkonzern der Welt verspricht, bis 2025 alle Verpackungen recycelbar zu machen. Wirklich recyceln muss der Konsument aber natürlich selbst. Die Verantwortung liegt also wieder beim Verbraucher, und Nestlé kann weiter Einwegverpackungen verkaufen.
Die Ausrede des «Kundenwunsches» ist ebenfalls ein gutes Beispiel. So verkaufen Coop und Migros Früchte und Gemüse ausserhalb ihrer eigentlichen Erntesaison. Mehr noch: Oft bewerben sie diese Lebensmittel mit Aktionen. Gleiches gilt für importiertes Billigfleisch. Dabei verweisen sie darauf, dass die Konsumenten dies nun einmal wollen und schieben die Verantwortung für gewissenhaften Lebensmittelkonsum auf die Konsumierenden ab.
Dieselbe Logik war von den Gegnern der Trinkwasser- und Pestizidinitiative zu hören: Die Konsumierenden müssten aus Eigeninitiative mehr Bio kaufen, dann würde sich das Angebot entsprechend anpassen und weniger Pestizide verwendet. Die «Verbrauchermacht» wird es schon regeln.
Der Haken an dieser Logik: Sie wird vom Ende her gedacht. Der Verbraucher entscheidet nicht, wie Produkte hergestellt werden. Er ist lediglich das letzte Glied in einer langen Kette der Anstrengungen der Hersteller und Händler, mit ihren Waren Gewinn zu erzielen.
Das Wort «Verbrauchermacht» gleicht deswegen einer Farce. Der durchschnittliche Konsument ist niemals Herr der Lage, er ist lediglich Ziel- und Endpunkt einer profitablen Produktion.
Doch die Gehirnwäsche der individuellen Verantwortung, der «Verbrauchermacht», funktioniert. Um kulturelles Kapital anzuhäufen, braucht es Geld. Die ökologische Komponente des Bio-Habitus befindet sich im Würgegriff des Kapitalismus.
Fassen wir zusammen: Der Markt hat es in den letzten Jahrzehnten geschafft, Konsum ideologisch aufzuladen. Ein Husarenstück, denn: Das ökologische Denken stand einmal weit ausserhalb der Marktwirtschaft.
Gleichzeitig sehen wir den Aufstieg einer neuen Elite, der Bio-Elite, die sich mehr durch ihr kulturelles als ihr ökonomisches Kapital definiert. Was nicht heisst, dass sie aus Gründen der Nachhaltigkeit aufgehört hat, zu konsumieren. Der Markt hat es geschafft, ihre Produkte als elementaren Teil des kulturellen Kapitals zu vermarkten. Der Konsum folgt nun bewusst und ist gekoppelt an Signale, die man damit aussenden will. Aber er erfolgt. Und für jene, die es sich nicht leisten können, Teil der Bio-Elite zu sein, ist natürlich auch gesorgt, denn das Billigfleisch liegt ja gleich neben dem Bio-Weiderind.
Das führt dazu, dass wir so beschäftigt damit sind, das Kleingedruckte im Supermarkt zu lesen, dass wir das grosse Ganze aus den Augen verlieren.
Das heisst natürlich nicht, dass nicht jeder von uns seinen Beitrag leisten sollte. Es steht ausser Frage, dass wir zu viel fliegen, zu viel Fleisch essen, zu viel Auto fahren. Es heisst lediglich, dass wir individuelle Massnahmen als das betrachten sollten, was sie sind: kurzfristige Schadensbegrenzung. Mehr noch: Wir müssen unser Verständnis davon, was wir als Individuen gegen den Klimawandel tun können, über das hinaus erweitern, was wir kaufen oder benutzen.
Denn eines ist klar: Persönliche Änderungen des Lebensstils werden die Klimakrise nicht lösen. Die International Energy Agency schätzt in einem Bericht, dass individuelle Verhaltensänderungen nur etwa 4 Prozent der notwendigen Reduktionen zu dem Ziel Netto-Null bis 2050 beitragen würden.
Ein Blick auf die globalen CO₂-Emissionen bestätigt dies. Das Problem ist viel grösser, als dass wir es als Einzelpersonen lösen könnten. Das Erreichen von Netto-Null-Emissionen bis 2050 erfordert nichts Geringeres als die vollständige Umgestaltung des globalen Energiesystems. Denn das Problem liegt im Ganzen, nicht im Spezifischen.
Was also können wir tun?
Die Antwort ist so einfach wie unbefriedigend: Wir müssen Politiker und Politikerinnen dazu drängen, ihre Anstrengungen zu erhöhen. Firmen nicht mehr unterstützen, die sich nicht vollständig an Umweltvorgaben halten. Wir sollten keine Parteien mehr wählen, die den Kampf gegen den Klimawandel nicht als ihre oberste Priorität sehen. Wir würden ja auch niemanden wählen, der verspricht, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen.
Noch besteht hier viel Aufholbedarf. Die Aktionspläne der Länder für eine Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels an der gerade stattfindenden Klimakonferenz in Glasgow sind allesamt ungenügend.
Man kann nun natürlich behaupten, dass man mit der Abwälzung der Verantwortung auf die Politik das gleiche Spiel spielt wie BP. Aber das stimmt nicht. Der Klimawandel ist eine Herausforderung für die Politik, nicht für den Einzelnen. Es käme ja auch niemanden in den Sinn, Einzelpersonen damit zu beauftragen, das AHV-Problem zu lösen.
Und während wir also gemeinsam darauf pochen, die Wende in die Tat umzusetzen, können wir guten Gewissens den Tipp von BP annehmen und eine CO₂-Diät beginnen.
Das wirklich unsägliche ist, dass die Leute das Gefühl haben, durch mehr grünen Konsum etwas Gutes zu tun. Die Lösung wäre einfach viel weniger Konsum generell, und den unvermeidbaren möglichst grün.
Klar ist aber auch, dass auch auf politischer Ebene viel mehr gehen muss, und die Firmen engere Leitplanken brauchen.