Für das, wofür ein Franzose im Januar vom Strafgericht Lausanne verurteilt worden war, hat das Netz nun eine neue Bezeichnung: «Stealthing». Der Mann hatte zuvor seine Sex-Partnerin auf der Datingapp Tinder kennen gelernt. Das zweite Date fand in der Wohnung der Frau statt, wo die beiden einvernehmlichen Sex mit Kondom hatten.
Dann aber entfernte der Mann das Kondom und forderte die Frau auf, Oralsex an ihm auszuführen. Sie lehnte ab – und er drang stattdessen ohne Präservativ erneut in sie ein. Zudem hielt er ihre Hände fest. Die Frau bemerkte erst am Ende des Geschlechtsverkehrs, dass der Mann das Kondom entfernt haben musste. Obwohl der Mann vor Gericht aussagte, dass er das Kondom schlicht vergessen habe, wurde er wegen Vergewaltigung zu einer Haftstrafe von zwölf Monaten auf Bewährung verurteilt.
Nun hat eine neue Studie, die im April im Columbia Journal of Gender and Law erschien, dieses Problem genauer betrachtet. Die Autorin der Studie hat sich mit verschiedenen Menschen unterhalten, welche bereits erleben mussten, dass der Sexualpartner das Kondom ohne ihr Einverständnis ausgezogen hat.
Überwiegend waren Frauen betroffen. Immer wieder artikulierten diese, dass sie die Erfahrung – auch unabhängig von den tatsächlichen Folgen, wie zum Beispiel eine ungewollte Schwangerschaft – als klare Verletzung ihrer körperlichen Autonomie sahen.
Die Gespräche mit den Opfern zeigten auf, «dass sie Schwierigkeiten hatten, ihre Erfahrung zu benennen. Das führte unter anderem auch dazu, dass sie bezweifelten, Opfer von einer Form von geschlechtsspezifischer Gewalt geworden zu sein».
Keines der Opfer, mit denen die Autorin gesprochen hatte, zeigte ihren Sexualpartner an. Die Studie legt deshalb nahe, dass es konkrete Gesetze geben muss, die das heimliche Ausziehen eines Kondoms als Form der sexuellen Gewalt definiert.
In Internet-Foren wie Reddit berichten Frauen von ihren Erfahrungen mit «Stealthing». Die Geschichten sind unterschiedlich, die Täter mal der Freund, mal ein One-Night-Stand. Der Eindruck entsteht, es handle sich hierbei um einen wirklichen Trend. Allerdings kann es sein, dass nun einfach immer mehr Frauen den Mut gefunden haben, darüber zu sprechen.
Eine Studentin aus Zürich, die anonym bleiben möchte, erzählt von ihrer Erfahrung mit «Stealthing»:
Bei der Frauenberatung möchte man nicht von einem spezifischen Trend sprechen, dazu meldeten sich zu wenig Frauen bei ihnen. Hin und wieder hören die Beraterinnen aber von solchen Vorkommnissen. Wirklich haarsträubend sei in diesem Zusammenhang der Fakt, dass die Beraterinnen immer wieder Frauen betreuen, welche vergewaltigt wurden und ihren Vergewaltiger anflehten, wenigstens ein Kondom zu benutzen. Immer wieder werteten Gerichte dies als Einwilligung zum Geschlechtsverkehr und sähen deshalb von einer Verurteilung wegen Vergewaltigung ab.