Bereits am frühen Morgen wollen Nichtregierungsorganisationen mit einer Aktion auf ihre Forderungen für den Wiederaufbau aufmerksam machen. Im Laufe des Morgens werden sie dazu öffentlich informieren.
Den ersten offiziellen Anlass bestreiten alsdann um 10 Uhr Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus der Schweiz und der Ukraine. Bei dem Treffen wird unter anderem die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen diskutiert.
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Mit Spannung erwartet wird die Videoansprache des ukrainischen Präsidenten, Wolodymyr Selenskyj, der sich nach 13.30 Uhr an die versammelten Delegationen wendet. Im Rahmen der grossen Eröffnungsdebatte tritt zudem auch die prominenteste Besucherin auf, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie wird voraussichtlich ein Wiederaufbau-Projekt der EU vorstellen.
Seine Ansprache bei der Eröffnung ist sein wohl bisher wichtigster internationaler Auftritt. Als der Bundespräsident am 12. April entschied, die seit langem in Lugano geplante Reformkonferenz für Ukraine in eine Wiederaufbau-Konferenz umzufunktionieren, ging er ein erhebliches politisches Risiko ein.
Dieses zahlt sich aus, wenn die angestrebte «Lugano-Declaration» handfeste Prinzipien für den Wiederaufbau festlegt, die namentlich auch die in der Ukraine grassierende Korruption und die im Land notwendigen Reformen anspricht. Umgekehrt gilt: Ergeht sich die «Lugano-Declaration» in diplomatischen Leerformeln und nutzt die ukrainische Delegation die Konferenz lediglich für ihre Propaganda, droht Bundespräsident Cassis eine Blamage vor der Weltöffentlichkeit.
Dieser Ansicht sind verschiedene Politikerinnen und Politiker. Zunächst gehe es darum, Putins Angriff zu stoppen, der Wiederaufbau sei erst nach der Befreiung ein Thema. Es war laut zuverlässigen Informationen aber vor allem die ukrainische Regierung, die im April darauf drängte, die seit Monaten geplante Reform-Konferenz von Lugano in eine Wiederaufbau-Konferenz umzuwandeln.
Auch als Zeichen dafür, dass die westliche Ländergemeinschaft an eine Zukunft der Ukraine glaubt. Die Ukraine ist denn auch gemeinsam mit der Schweiz für die Konferenz verantwortlich. Simon Pidoux, der Sonderbotschafter des Aussendepartements (EDA) für die «Ukraine Recovery Conference» (URC) verweist auch auf die Geschichte: Im Zweiten Weltkrieg seien schon 1943, zwei Jahre vor der Niederlage des Nazi-Regimes, Pläne für den Wiederaufbau der befreiten Gebiete diskutiert worden. Die Organisation des Neubeginns kann demnach gar nicht früh genug beginnen.
Auf entsprechende Fragen erklärte Pidoux im Vorfeld stets, was nicht erwartet werden darf: Lugano sei keine Konferenz, um zusätzliche Gelder für den Wiederaufbau zu sammeln. Und es sei auch zu früh zu bestimmen, was genau wieder aufgebaut werden soll und wie viel es kosten wird. Hingegen sollen sich die Teilnehmenden darauf einigen, wie der Wiederaufbau organisiert wird: nach welchen Prinzipien, Methoden und Prioritäten.
Festgehalten wird dies in der «Lugano-Declaration», die am Dienstag zum Abschluss der Konferenz vorgestellt werden soll. Über die exakten Formulierungen der Deklaration sind noch Diskussionen im Gang. Für die Schweiz steht laut Botschafter Pidoux im Zentrum, dass die Ukraine beim Wiederaufbau selber die Führungsrolle übernimmt, in Zusammenarbeit mit Partnerstaaten und internationalen Organisationen. Wichtig sind auch Reformen in der Ukraine selbst, etwa für einen besseren Schutz der Minderheiten und den Kampf gegen die Korruption.
Präsident Wolodymyr Selenskyj wird wie bei all seinen Auftritten seit Kriegsbeginn lediglich per Video zugeschaltet. Prominenteste Besucherin ist EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen; dem Vernehmen nach bleibt sie freilich nur wenige Stunden. Abgesehen von ihr fehlen internationale Spitzenpolitiker wie der US-Aussenminister Antony Blinken oder Bundeskanzler Olaf Scholz, auf deren Teilnahme man insgeheim gehofft hatte.
Immerhin: Frankreich hat erst im letzten Moment eine Delegation angemeldet. Ist die Konferenz deshalb ein Flop? Nicht unbedingt. Immerhin haben sich 52 Delegationen angemeldet, 38 staatliche und 14 von internationalen Organisationen. Insgesamt kommen gegen 1000 Personen nach Lugano. Mit fast hundert Personen entsendet die Ukraine die grösste Delegation, die das Land seit Kriegsbeginn verlassen hat.
Mehrere EU-Oststaaten schicken ihre Regierungschefs, im Falle Litauens die Regierungschefin. Wichtig ist auch: In Lugano kommen erstmals wichtige internationale Organisationen zusammen, die bereits Milliarden für die Soforthilfe und den Wiederaufbau der Ukraine reserviert haben. Darunter die Weltbank, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa, die Europäische Investmentbank oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Dazu das IKRK, UNO-Organisationen, Wirtschaftsvertreter und Organisationen der Zivilgesellschaft. Stimmen all diese Kräfte ihre Engagements besser aufeinander ab und einigen sie sich mit der ukrainischen Regierung auf gemeinsame Prinzipien für den Einsatz der Milliarden an Hilfsgeldern, kann Lugano trotz nur weniger prominenter Gäste ein Erfolg werden.
Das werde in Lugano diskutiert und bekanntgegeben, schreibt das Aussendepartement auf Anfrage: «Dies betrifft unter anderem die Frage, wer den Staffelstab bei der URC von der Schweiz übernimmt.» Die kurze Stellungnahme deutet darauf hin, dass in einem andern Land eine weitere Wiederaufbau-Konferenz stattfinden könnte.
Gut möglich ist aber auch, dass der mächtige Verbund der G7, dem die westlichen Grossmächte angehören, den Lead übernimmt: Sie haben sich diese Woche an einem Gipfeltreffen in Bayern darauf verständigt, dass die Ukraine einen Marshallplan zum Wiederaufbau benötige. Wie die Lugano-Konferenz zu diesen Plänen passt, ist unklar.