«Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich so viel Wasser gesehen. So viel Regen. Und ich bin über 50 Jahre alt.» Das sagt die Pakistanerin Arjumand Nizami. Sie ist Landesdirektorin der Schweizer Hilfsorganisation Helvetas in Pakistan und spricht vom Sommer 2022. In der Folge aussergewöhnlich starker und anhaltender Monsunregenfälle rissen Überschwemmungen 1700 Menschen und 800'000 Tiere in den Tod. Zwei Millionen Häuser wurden zerstört.
Ein Drittel Pakistans stand zeitweise unter Wasser. Und weil dieses Wasser in vielen Gebieten monatelang stehen blieb, breiteten sich Krankheiten wie Malaria, Dengue-Fieber, Durchfallerkrankungen und Cholera aus. Das kostete weiteren Menschen das Leben.
33 Millionen Pakistanerinnen und Pakistaner waren von der Umweltkatastrophe betroffen. Das ist 3,7-mal die ganze Bevölkerung der Schweiz.
Heute, über ein Jahr später, leidet ein Grossteil der Betroffenen noch immer, wie Nizami erzählt. Viele Bauernfamilien seien gezwungen gewesen, in die Städte abzuwandern. «Und jene, die geblieben sind, haben weiter mit Hunger und Krankheiten zu kämpfen.» Sie versuchten, ihre Äcker wieder zu bebauen. Doch weil sich Dürre und Überschwemmungen abwechselten, falle ein grosser Teil ihrer Ernteerträge immer wieder aus.
Zudem kehre mit jedem Regen die Angst vor einer weiteren Katastrophe zurück. «Denn eines ist leider sicher: Es wird nicht die letzte Überschwemmungskatastrophe gewesen sein, die Pakistan erlebt. Es war ja auch nicht unsere erste.» Bereits 2010 forderten in Pakistan die weltweit schwerwiegendsten Überschwemmungen über 1700 Todesopfer. Das ist kein Zufall.
Pakistan gehört gemäss dem Weltklimarat zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern der Welt. Die globale Erwärmung ist im riesigen Land mit seiner heterogenen Landschaft jedoch unterschiedlich spürbar. «Die Gletscher im Himalaya-Gebirge im Norden schmelzen rasant. Im Flachland führen die steigenden Temperaturen wiederum zu höheren Niederschlagsmengen», sagt Nizami. Gleichzeitig verschärfen sich im Sommer die Dürreperioden. In diesem Jahr herrschten in weiten Teilen des Landes über 50 Grad und Wassermangel.
Die Menschen in Pakistan leben zwischen den Extremen. Extreme, für die sie nicht verantwortlich sind, sondern vor allem die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer, die G20. Gemäss dem neusten Bericht der Emissionsdatenbank der Europäischen Kommission verursachten China, die USA, Indien, die EU, Russland und Brasilien 2022 zusammen 61,6 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen. Die Schweiz war 2022 zusammen mit Liechtenstein für 0,08 Prozent der globalen Treibhausemissionen verantwortlich, Pakistan für 13-mal mehr Emissionen (1,02 %). Allerdings leben in Pakistan fast 27-mal mehr Menschen als in der Schweiz.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres sprach nach der Überschwemmungskatastrophe 2022 darum von einem «Klima-Massaker». Viele NGOs forderten von den G20-Staaten Reparationszahlungen an Pakistan.
Geld aus der internationalen Gemeinschaft floss tatsächlich. Zahlreiche Hilfsorganisationen leisteten nach den Überschwemmungen umgehend humanitäre Hilfe. UN-Länder unterstützten die pakistanische Regierung mit Milliarden US-Dollars. Auch die Schweiz stellte 2,8 Millionen Franken für Nothilfe zur Verfügung, wovon ein kleiner Teil an Helvetas ging.
Auch Helvetas hat mit Spendengeldern erste Nothilfe geleistet und anschliessend verschiedene Projekte vorangetrieben. «Die Mittel und Spenden der internationalen Gemeinschaft waren notwendig und wir sind froh darüber. Aber eigentlich bräuchten die Pakistanerinnen und Pakistaner Unterstützung, bevor eine solche Umweltkatastrophe passiert», sagt Nizami. Die Infrastruktur Pakistans sei nicht für die Massen an Wasser, die wegen des Klimawandels immer häufiger das Land durchpflügen werden, vorbereitet.
«Wir bräuchten Gefässe und stabile Kanäle, damit wir das Süsswasser speichern könnten, das wir in den Dürreperioden wiederum bräuchten.» Fliesse das Gletscher- und Regenwasser stetig ungehindert und unkontrolliert ins Meer, wie bisher, würden nicht nur fortwährend Leben und Existenzen zerstört, sondern steige auch der Meeresspiegel. «Und das sorgt an anderen Orten der Welt wieder für Probleme.»
Es braucht also nicht nur Investitionen, um den Klimawandel zu bekämpfen, sondern auch Investitionen, um betroffene Regionen vor Klimawandelschäden zu schützen. Und zwar von den Staaten, die am meisten für diese Ausgangslage verantwortlich sind.
Doch «Reparationszahlungen», dieses Wort will kein Staat in den Mund nehmen. Zu gross ist die Angst, dass dies juristisch als Schuldeingeständnis gewertet werden könnte. Sich damit haftbar zu machen. Wohl auch darum trägt der Fonds, den die UN-Klimakonferenz (COP28) in den ersten Tagen in Dubai abschliessen konnte, den sperrigen Namen «Globaler Schutzschirm gegen Klimarisiken».
Das Ziel des Fonds: Industriestaaten zahlen freiwillig Geld ein, das den Entwicklungsländern im Globalen Süden, die von Klimaschäden betroffen sind, zugutekommt. Die Gelder sollen nicht nur in den Wiederaufbau, beispielsweise nach einer Überschwemmung, investiert werden, sondern auch in Projekte fliessen, die Land und Bevölkerung vor künftigen Klimaschäden schützen sollen.
Welches Land wann Geld erhält, das entscheidet ein Board aus Vertreterinnen und Vertretern der Industrie- und Entwicklungsländer. Auf diese Organisationsstruktur konnte sich die Klimakonferenz in Dubai letzte Woche einigen. COP28-Präsident Sultan Ahmed Al-Jaber liess sich dafür mit folgenden Worten feiern:
Im Anschluss versprachen gleich mehrere Länder ihre ersten Zahlungen in den Fonds: 100 Millionen US-Dollar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, 75 Millionen aus Grossbritannien, 25 Millionen aus den USA, 10 Millionen aus Japan.
Aktivisten und Wissenschaftlerinnen kritisieren jedoch die fehlende Verbindlichkeit der Einzahlungen, und dass die Industrieländer nach wie vor ihre Haftung für den Klimawandel ablehnen. Ausserdem würden die versprochenen Gelder bei weitem nicht ausreichen.
Wie eine Studie der deutschen Hilfsorganisation Oxfam schätzt, werden Entwicklungsländer wegen des Klimawandels im Jahr 2030 Verluste und Schäden im Wert von 290 bis 580 Milliarden Dollar schreiben.
Die ersten Zahlungen in den Fonds sind im Verhältnis dazu gering – wie ein Pflaster, wo es einen Damm bräuchte.
Trotz aller Kritik zeigt sich Arjumand Nizami von Helvetas erfreut über den finalisierten Fonds der COP28. «Es ist immerhin ein Anfang.» Auch Pakistan würde zu den Staaten gehören, die davon profitieren könnten. «Meine einzige Sorge ist, dass es für lokale Organisationen und Projekte extrem aufwändig und kompliziert sein wird, Gelder aus dem Fonds zu beantragen.» Denn das sei es bereits bei anderen Fonds, welche die COP in der Vergangenheit auf den Weg geschickt habe, etwa beim «Green Climate Fund».
Mehr Hoffnung setzt Nizami darum auf die «Deklaration zu nachhaltiger Landwirtschaft, widerstandsfähigen Lebensmittelsystemen und Klimaschutz», die an der COP28 130 Staaten unterschrieben. «Damit verpflichten sich die Länder erstmals dazu, ihre Bäuerinnen und Bauern bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen und Praktiken zu fördern, die weniger Treibhausgasemissionen verursachen.» Das sei ein wichtiger Schritt.
Denn auch ihr eigener Staat müsse handeln, Verantwortung übernehmen. Den Industrieländern allein die Schuld an allem zu geben, das gehe nicht. «Pakistan hat im Bereich der ökologischen Landwirtschaft sehr viel Potenzial.» Die Wirtschaft des Landes lebe von der Landwirtschaft, ganz besonders dem Reis-, Weizen- und Baumwollanbau.
Messbare Ziele beinhaltet die Landwirtschafts-Deklaration aber noch nicht. Nizami ist darum gespannt, wie die COP28 am 10. Dezember Detailfragen beantworten und erste Meilensteine formulieren wird. Die Hoffnung stirbt schliesslich zuletzt.