Das erste Tier, das Sie schlachteten – erinnern Sie sich daran?
Daniel Schnider: Nein, Kühe oder Schweine zu schlachten, war für mich von klein auf normal.
Wie wuchsen Sie auf?
Meine Eltern führten eine Dorfmetzgerei in Benken, St.Gallen, in zweiter Generation.
Finden Sie, alle sollten selbst mal ein Tier geschlachtet haben?
Finden Sie, jeder sollte den Service an seinem Auto selbst machen? Ich bin ein Freund von Arbeitsteilung. Man sollte gewisse Aufgaben den Profis überlassen.
Was wurde aus der Metzgerei Ihrer Eltern?
Die haben sie vor knapp 20 Jahren geschlossen. Es gab noch eine zweite im Dorf, und Benken ist zu klein. Und es zog mich raus in die Welt.
Wie viele Metzgereien sind seit Ihrer Lehrzeit eingegangen?
Vor 40 Jahren waren rund 2400 Betriebe Mitglied im Schweizer Fleisch-Fachverband, heute sind wir noch bei 900. Es gab Zeiten, da hat pro Woche eine Metzgerei geschlossen.
Verschwinden noch immer so viele Metzgereien?
Es hat sich entschleunigt. Was wir aber merken, ist der Abgang der Babyboomer – wie die ganze Wirtschaft.
Es kommen also nicht genug junge Fleischfachkräfte nach, um die Pensionäre zu ersetzen?
Ja. Metzger schliessen selten, weil ihr Geschäft nicht rentiert. Sondern, weil sie in Pension gehen und keine Nachfolger finden.
Kämpfen Betriebe nur wegen des demografischen Wandels mit mangelndem Nachwuchs?
Das liegt auch am Aussenbild. Die meisten denken, dass man als Metzger schlachten muss. Man kann aber eine andere Fachrichtung der Ausbildung wählen, wie Fleischveredelung. Und extern schlachten lassen.
Haben Sie eine Lehre mit oder ohne Schlachten gemacht?
Ich wählte die Lehre mit Schlachten.
Hat Ihr damaliger Lehrbetrieb das Metzgereisterben überlebt?
Tatsächlich! Vor zwei Wochen feierte er sein 100-Jahr-Jubiläum.
Was hat der Betrieb richtig gemacht?
Er hat sich breit aufgestellt. Vor 30 Jahren hörte er auf, selbst zu schlachten. Er hat auf einen Partyservice gesetzt und den Engros-Verkauf ausgebaut – also die Belieferung von Restaurants, Kantinen und Spitälern. Dazu betreibt er noch immer eine Theke für zahlungskräftige Kundschaft, die Wert auf regionales Fleisch legt.
Gehen Metzgereien auch ein, weil der Fleischkonsum zurückgeht?
Seit Jahren konsumieren wir jährlich um die 50 Kilo Fleisch pro Person. Letztes Jahr ging die Menge zwar leicht zurück. Durch die wachsende Bevölkerung merken wir davon aber nichts. Meine Kollegen glauben mir nie, wenn ich sage, dass in der Schweiz ungefähr fünf Prozent vegetarisch leben und weniger als ein Prozent vegan. Das Thema ist medial überrepräsentiert.
Also weniger Metzger bei gleichem Fleischhunger? Das klingt nach mehr Umsatz, ist aber auch stressig für die verbliebenen Geschäfte.
Der Druck nimmt definitiv zu. Aber nicht nur, weil es weniger Metzgereien gibt. Obwohl die Zahl der Unternehmen im Fleisch-Fachverband sinkt, bleibt die der Angestellten konstant bei 24'000. Es gibt einen Trend zu Filialisierung: Metzgereien werden als Filiale übernommen oder fusionieren. Dann verlieren wir ein Mitglied, aber die Zahl der Angestellten bleibt gleich.
Weshalb nimmt der Druck dann zu?
Das sieht man an meinem ehemaligen Lehrbetrieb: Betriebe müssen heute mehr als nur eine Fleischtheke bieten – Partyservices beispielsweise. Man kann aber nicht morgens um fünf Cervelats produzieren und am Abend bis spät noch auf Partys grillieren.
Ein paar Angestellte lösen doch das Problem?
Nicht alle Metzgereien können sich dauerhaft mehr Angestellte leisten, nur um die Saisonspitzen zu bewältigen. Die sind heute viel akzentuierter als früher.
Wann hat Fleisch Hochsaison?
Zuerst an Ostern. Danach im Mai und Juni, wenn die Grillsaison beginnt. Kaum wird es kühl, wünschen sich alle Wild. Dann kommt Weihnachten, der Höhepunkt des Jahres. Dann helfe auch ich in Metzgereien aus, schneide Hunderte Kilo Fleisch für Fondue chinoise.
Viermal im Jahr, das klingt doch gar nicht so übel?
Zudem hat sich das Einkaufsverhalten unter der Woche verändert. Metzgereien machen am Freitag und Samstag bis zu 60 Prozent des Umsatzes, unter der Woche bleibt es eher ruhig.
Arbeiten am Wochenende – das macht Ihre Branche nicht gerade attraktiver.
Das ist oft nur im Verkauf nötig. Aber es stimmt schon, die Jungen wollen weniger am Wochenende arbeiten.
Wieso sind Sie denn damals Metzger geworden?
Ich wollte mit den Händen arbeiten. Und weil ich meine Eltern und ihren Betrieb sehr mochte, entschied ich mich, Metzger zu werden. Die Lehre war aber schon auch hart.
Wieso?
Plötzlich musste ich um fünf Uhr parat stehen und um halb sechs anfangen zu arbeiten. Heute ist das nicht mehr unbedingt so streng. Trotzdem hatte ich eine tolle Zeit. Ich machte meine Lehre in Rapperswil-Jona, bewohnte ein «Stiften-Zimmer» und war zum ersten Mal frei von der elterlichen Überwachung.
Schmissen Sie viele Partys?
Sagen wir, es sind einige geschmissen worden.
Wäre das nicht verlockend für Junge – mit Partybuden gegen den Fachkräftemangel?
Vielleicht. Wir arbeiten jedenfalls am positiven Image unseres Berufs, um junge Leute für eine Lehre im Fleischfach zu gewinnen.
Und wie wollen Sie die Fleischerlehre anziehender machen?
Wir haben beispielsweise die Lehrlingslöhne angepasst. Davor befanden wir uns im unteren Drittel handwerklicher Berufe, jetzt haben wir sie ins obere Viertel angehoben.
Und die restlichen Löhne der Branche?
Die sind in den letzten zehn Jahren generell stark gestiegen. Es ist nicht selten, dass Fleischfachleute weit über 6000 Franken verdienen. Wenn sie Verantwortung übernehmen und zum Beispiel Abteilungsleiter werden, liegt auch einiges mehr drin.
Heute sind die Löhne besser. Was aber war früher besser?
Wenn ich an meine Lehre zurückdenke: Fleisch galt damals als normales Lebensmittel. Gesellschaftlich hat sich das geändert. Heute ist mehr Druck auf dem Fleischbetrieb. Klar, das war Mitte der Achtzigerjahre eine andere Zeit. Damals war aber noch mehr «heile Welt».
Finden Sie nicht, dass wir alle weniger Fleisch essen sollten?
Das muss jeder für sich entscheiden. Ich fordere Freiheit für unsere Teller. Da sollte der Staat nicht eingreifen, das reguliert der Markt.
Sie sind auch Marktvertreter. Was sollen Sie sonst sagen?
Klar, ich bin Partei. Und klar gibt es auch Leute, die es mit dem Fleisch übertreiben.
Wie oft essen Sie Fleisch?
Schon täglich.
Kennen Sie keine Fleisch-Scham? Die Fleischproduktion belastet doch unsere Umwelt.
Die Fleischwirtschaft versucht auch nur, bald zehn Milliarden Menschen zu ernähren. Es reicht nicht, einfach auf Getreideanbau umzuschwenken. Um den Eiweissbedarf der Bevölkerung zu decken, brauchen wir Wiederkäuer wie Rinder. Sie produzieren aus Gras Eiweiss. Nutztiere sind ein Teil der Lösung, nicht das Problem.
Teil der Lösung, ja, aber in welcher Menge?
Gute Frage. Ich esse sicher mehr als die jährlichen 50 Kilo Fleisch. In Amerika wird das Doppelte gegessen. Wenn die ganze Welt so unterwegs wäre, ginge das definitiv nicht.
Was ist der Lösungsvorschlag der Fleischbranche?
Wir stellen her, was Konsumenten nachfragen. Wird weniger Fleisch gekauft, wird auch weniger produziert. Aber das passiert nicht …
Fehlt uns heute in der Schweiz das Verständnis für den Wert von Fleisch?
Gesellschaftlich definitiv, für die Landwirtschaft und für Fleisch.
Wieso?
Wenn wir früher im Dorf schlachteten, blieben Schulkinder bei uns stehen und sahen zu. Heute zeigt man es nicht mehr, die Bevölkerung wird davon abgeschottet. Es wäre gut, Menschen verstünden, woher Fleisch kommt. Aber dafür müssen sich die Leute auch interessieren. Aus meiner Sicht tun sie das kaum.
Also sollten wir vielleicht doch alle selbst einmal schlachten?
Nein, ich bleibe dabei: Wir sollten das den Profis überlassen. Ich empfehle Metzgereien eher Tage der offenen Tür. Dort können sie zeigen, wie sie Cervelats oder Pastete produzieren. Auch das steigert das Verständnis. So entsteht Wertschätzung, und das bringt Freude am Beruf. Ich jedenfalls hatte immer Freude.
Warum arbeiten Sie dann nicht mehr als Metzger?
Die Metzgerlehre ist eben auch ein Sprungbrett. Nach der Ausbildung dachte ich: «Was nützt meine grosse Klappe im Schlachthaus? Ich gehöre in den Verkauf.» Und jetzt bin ich hier gelandet.
Nach dieser Logik sollte man den Fleischkonsum doch reduzieren.
Aktuell wird ja sehr viel Getreide und Hülsenfrüchte angebaut um die Tiere zu fütter, weil die Grasfläche nicht ausreicht.