Bauernpräsident Ritter über Chemikalien in Böden: «Uns fehlen die Grundlagen»
Fast überall im Grundwasser findet sich Trifluoressigsäure, eine schwer abbaubare Chemikalie, die zu den PFAS gehört. Besonders betroffen sind landwirtschaftliche Gebiete. Die Vermutung liegt nahe, dass die Landwirtschaft einen Teil dieser Chemikalien beigesteuert hat. Wie beurteilen Sie die Situation?
Markus Ritter: Wir brauchen zunächst saubere Grundlagen, um überhaupt sachliche Entscheide fällen zu können. Woher kommen diese Stoffe? Aus der Industrie, aus den Spitälern oder gerieten sie via Ausbringung von Klärschlamm in früheren Jahren in unsere Böden? Man weiss noch sehr wenig. Jetzt sind Forschung und Wissenschaft gefordert und auch die Bundesstellen.
Es gibt Hinweise, dass die PFAS-Chemikalien gesundheitsschädigend sind. Spielen Sie nicht einfach auf Zeit?
Nein, überhaupt nicht. Im Moment weiss aber niemand, wie gesundheitsgefährdend diese Stoffe effektiv sind, wie viel Wasser beispielsweise jemand pro Tag trinken muss, bis es schädlich wird. Jetzt, quasi im Blindflug, Massnahmen zu ergreifen, halte ich für kein seriöses Vorgehen.
Die Bauern sind nicht nur mutmasslich mitverantwortlich für die Kontaminierung von Böden und Gewässern, sie sind auch potenzielle Opfer der Chemikalien. In Ihrem Kanton St.Gallen dürfen fünf Landwirtschaftsbetriebe kein Fleisch mehr verkaufen, weil darin PFAS nachgewiesen wurden. Wie gross ist die Angst in Bauernkreisen?
Die Verunsicherung, die auch aufgrund der Kommunikation des Kantons St.Gallen entstanden ist, ist riesig. Das Kantonsparlament hat nun 5 Millionen bereitgestellt, um betroffene Bauernfamilien zu entschädigen. Das ist viel Geld zur Lösung eines Problems, das man noch kaum kennt. Ich stelle fest, dass die anderen Kantone auffällig stillhalten. Die Kantonsregierung von St.Gallen ist auf unkluge Art vorgeprescht, das war ein unnötiger Schnellschuss. Das Bundesamt für Umwelt von Bundesrat Albert Rösti ist jetzt in der Pflicht, die nötigen Grundlagen für die ganze Schweiz zu beschaffen.
Gleichwohl: Wie viele Bauernbetriebe könnten von einer Schliessung betroffen sein oder ihre Produktion umstellen müssen?
Das weiss man nicht. Die fünf Betriebe in Eggersriet befinden sich im Grünlandgebiet, da gab es kaum Acker- oder Gemüsebau und es wurde nur wenig Mineraldünger ausgebracht. Wenn schon dort angeblich zu viele PFAS vorhanden sind, wie sieht es dann in anderen Regionen der Schweiz aus? Aber wie gesagt: Wir wissen es nicht, uns fehlen die Grundlagen.
Als mögliche Quelle wird in Eggersriet der Klärschlamm aus Gebieten mit viel Industrie vermutet. Klärschlamm wurde über Jahre fast überall in der Schweiz ausgebracht. Was sagen Sie Ihren Bäuerinnen und Bauern, die sich Sorgen machen?
Dass es keinen Sinn macht, jetzt in Aktivismus zu verfallen und unüberlegte Massnahmen zu ergreifen. Wir brauchen wissenschaftliche Grundlagen, dann können wir auch international abgestimmte Grenzwerte im Grundwasser, in den Böden und Nahrungsmitteln definieren. (aargauerzeitung.ch/lyn)