Ende 2023 titelte CH Media: «Was ist los bei Skyguide?» Grund für die Schlagzeile waren Recherchen, die eine Häufung von Zwischenfällen bei der Schweizer Flugsicherungsbehörde in Bundesbesitz zum Vorschein brachten. Dies, nachdem am 15. Juni 2022 der historische «Clear the Sky»-Entscheid getroffen wurde, die Sperrung des gesamten Schweizer Flugraums aufgrund eines technischen Fehlers. Während rund fünf Stunden ging nichts mehr am Schweizer Himmel. Dieses Jahr folgten weitere Pannen, wie zum Beispiel Ende Februar, als Funkprobleme den Flugbetrieb in Zürich einschränkten (s. Chronologie am Ende des Artikels). Nun nimmt Skyguide-Chef Alex Bristol erstmals Stellung.
Die Pannen haben sich bei Skyguide seit der historischen Sperrung des Schweizer Luftraums am 15. Juni 2022 gehäuft. Was ist los?
Alex Bristol: Es gibt tatsächlich eine Häufung der Vorfälle, die sich nicht leugnen lässt, das ist unglücklich. Wenn man technische Innovationen lanciert, so wie wir es in unserem System gemacht haben, lassen sich solche Vorfälle leider nie ausschliessen. Die Sicherheit war und ist aber stets gewährleistet.
Dennoch: Ein Zwischenfall kann Zufall oder Pech sein. Aber wenn in einem derart sicherheitssensitiven Bereich mehrmals Fehler passieren, stellen sich grundsätzliche Fragen …
Das ist so. Deshalb haben wir eine interne Untersuchung gemacht, um zu sehen, ob es ein Muster gibt bei all diesen Vorfällen.
Mit welchem Resultat?
Unsere Untersuchung kommt zum Schluss, dass es kein Muster gibt bei diesen Vorfällen. Es sind alles voneinander unabhängige Fälle.
Es gab Serverpannen, Softwarestörungen, Funkprobleme. Nur: Technische Pannen haben ihre Wurzeln oft bei menschlichen Fehlern. Hat Skyguide ein Kulturproblem?
Das ist eine berechtigte Frage, die wir nun ebenfalls analysieren. Zwei Fehler sind ganz klar auf Bugs in der Software zurückzuführen. Da kann man sagen, o. k., jemand hat diese Bugs nicht entdeckt. Ein Bug stammte vom Hersteller. Und der andere stammte von einer Fehlmanipulation, die von einem Mitarbeitenden ausgelöst wurde. Solche unbeabsichtigte menschliche Fehler lassen sich nun mal nie ausschliessen.
Die Gewerkschaft Ihrer Fluglotsen sagt, sie hätten das Vertrauen ins System verloren und sie hätten Angst vor Systemausfällen. Das ist happig, wenn das eigene Personal so denkt!
Das ist nicht gut. Dennoch denke ich, dass das interne Vertrauen mehrheitlich intakt ist, auch wenn die Gewerkschaft hier schärfere Töne anschlägt. Das Vertrauen ist aber kleiner geworden.
Und das auch extern: Bereits werden in der Politik Bedenken an der Flugsicherheit geäussert.
Das möchte ich nochmals ganz klar betonen: Die Sicherheit war und ist immer gewährleistet. Dafür sorgen unsere hoch qualifizierten Mitarbeitenden, unsere Verfahren und unsere Systeme.
Dennoch sind nun Massnahmen gefragt.
Korrekt. Wir haben zwischen Anfang März bis Anfang Juni 2024 eine temporäre Kapazitätsreduktion bei den Flugbewegungen in Zürich und Genf eingeführt, um einen zusätzlichen Puffer im täglichen Betrieb zu haben. Zudem werden wir im Hinblick auf die Hochsaison im Sommer zwei Software-Updates lancieren. Diese werden die Stabilität massgeblich verbessern.
Wie viele Flüge können durch die Kapazitätsreduktion nicht oder nur mit Verspätung durchgeführt werden?
Momentan spürt man das praktisch nicht, da nicht Hochbetrieb herrscht. Ab Ende Juni und insbesondere im Juli wäre dies nicht mehr der Fall. Wir gehen aber davon aus, dass wir die Reduktion bis dann aufgehoben haben.
Konkret bitte.
Das wären vielleicht 10'000 bis 15'000 Verspätungsminuten pro Tag in Zürich und Genf, sofern die beiden Updates ihre Wirkung zu wenig entfalten. Das heisst, dass die Flugzeuge vier bis fünf Minuten später das Gate verlassen würden. Der Durchschnittspassagier würde das nicht bemerken. Wenn wir den europäischen Luftraum anschauen, hat Skyguide eine der höchsten Pünktlichkeitswerte.
Für Airlines wie die Swiss oder Helvetic kann das aber teuer werden, wenn sie dadurch ihren Slot, also das Zeitfenster für den Abflug, verlieren!
Nein, der Slot wird entsprechend mitverschoben. Zudem haben die Airlines meistens genügend Reservezeit eingeplant, sodass der Flieger dennoch rechtzeitig am Ziel ankommt. Ich gehe aber wie gesagt davon aus, dass die beiden Updates dieses Szenario verhindern.
Um was für Updates handelt es sich denn dabei?
Es sind sogenannte Bug Fixes und Firmware-Upgrades. Zudem enthalten sie Umsetzungen von Empfehlungen des Berichts, der vom Eidgenössischen Verkehrsdepartement für den Vorfall vom 15. Juni 2022 in Auftrag gegeben wurde.
Der externe Bericht umfasst nicht die Vorfälle vom 30. Oktober und 18. Dezember 2023 sowie die beiden letzten vom 18. und 29. Februar 2024. Wird es eine weitere Analyse geben?
Intern haben wir diese Fälle selbstverständlich bereits genau studiert. Wir werden aber einen weiteren externen Untersuchungsbericht in Auftrag geben. Das war ein Vorschlag von der Geschäftsleitung und unser Verwaltungsrat unterstützt dies.
Es gibt eine Taskforce, bestehend aus Vertretern von Skyguide und vom Bundesamt für Zivilluftfahrt, die sich wöchentlich trifft. Mussten Sie auch schon Verkehrsminister Albert Rösti Rechenschaft ablegen?
Ja, es finden Gespräche mit Bundesrat Rösti statt.
Und wie oft beschweren sich der Flughafen Zürich und die Swiss, welche die Pannen operativ und finanziell zu spüren bekommen?
Der Flughafen Zürich und die Swiss erwarten, dass Skyguide einen sicheren und ununterbrochenen Betrieb liefert. Und diese Erwartungshaltung ist absolut legitim. Die Details unserer Gespräche sind aber vertraulich.
Sie sind als CEO verantwortlich für den Gesamtbetrieb. Wie sehr sehen Sie sich für die Pannenserie verantwortlich?
Als CEO bin ich für alles verantwortlich, was im Unternehmen passiert. Skyguide hat eine ausgeprägte Sicherheitskultur. Dazu gehört, dass wir intensiv Ursachen eruieren und Fehler verstehen wollen, um daraus zu lernen, und nicht primär die Schuldigen suchen.
Diese Sicherheitskultur geriet zuletzt unter Druck nach dem Schuldspruch eines Fluglotsen nach einem Beinahe-Unfall. Hat dieser Fall allenfalls eine negative Auswirkung?
Davon gehe ich nicht aus, und auch unsere Fluglotsen-Gewerkschaft hat keine derartige Tendenz ausgemacht.
Skyguide arbeitet seit Jahren am Grossprojekt namens Virtual Center, das die Arbeit der Lotsen revolutionieren soll. Wurde zu sehr darauf fokussiert zuungunsten grundlegender Themen?
Mit dem Virtual Center möchten wir unsere Systeme komplett virtualisieren und das ist zu zwei Dritteln bereits umgesetzt. Das geschieht Schritt für Schritt und nicht mit einem Big Bang. Für uns ist es der einzige Weg, um in die Zukunft zu gehen …
… aber?
Wir machen das ohne ein eigentliches Rückfallsystem. Ein solches ist in der Regulation nicht vorgesehen und entsprechend hat das auch kaum eine Flugsicherung in Europa. Hier werden wir künftig mehr investieren müssen.
Also wurden in den vergangenen Jahren die Prioritäten falsch gesetzt?
Rückblickend, im Wissen der jetzigen Pannen-Häufung, hätte ich schon früher mehr auf diese Fallback-Systeme fokussiert. Heute investieren wir jährlich rund 65 Millionen Franken pro Jahr. Künftig, denke ich, sind mindestens 100 Millionen Franken nötig. Die weiteren Schritte diesbezüglich sind noch offen.
Ihr Technikchef hat in einem internen Brief laut «Sonntags-Blick» von einem «perfekten Sturm» und von einer «Krise» geschrieben. Zu Recht?
Ich verstehe die Wortwahl aus seiner Sicht, da er auf die Sorgen seines Teams eingehen und sie motivieren wollte. Aus CEO-Sicht würde ich von einer schwierigen Situation sprechen, aber nicht von einer Krise.
Die Osterferien stehen an, später bald einmal die Sommerferien. Können Sie in den kommenden Wochen und Monaten weitere Pannen ausschliessen?
Die beiden erwähnten Updates sollten das Risiko einer Panne massiv minimieren. Hinzu kommen weitere Korrekturen, die wir nach jedem Zwischenfall einleiten. Aber eine Panne grundsätzlich ausschliessen, das ist nicht möglich.
Die Pannenserie bei Skyguide, Streiks à gogo bei der Lufthansa, technische Ausfälle bei Boeing – hat die gesamte Branche momentan ein grösseres Problem?
Die Aviatik ist weltweit in einer angespannten Situation, das ist so. Ich erwarte, dass der Sommer 2024 und 2025 zumindest in Europa und Nordamerika sehr schwierig wird.
So schwierig wie letztes Jahr?
Noch schwieriger. Denn der Verkehr und die Nachfrage nehmen zu. Und gleichzeitig sind viele Faktoren in einer labilen Situation. Vielerorts gibt es Arbeitskämpfe, weitere Streiks bei Fluggesellschaften, bei anderen europäischen Flugsicherungen oder bei der Bodenabfertigung dürften also folgen. Zudem ist der Fachkräftemangel nach wie vor Tatsache in unserer Industrie. Und wir fischen alle im gleichen Teich.
Das ist kein gutes Zeugnis für die Branche, wenn diese Probleme nach wie vor nicht behoben werden konnten …
Wir müssen künftig diese Probleme global anders handhaben, das ist so. Die drei internationalen Dachverbände der Airlines, der Flughäfen und der Flugsicherungen kommen deshalb nun regelmässiger zusammen, um gemeinsam Lösungen zu finden.