Seit 60 Jahren stolziert sie auf ihren langen Beinen durch die Welt: Barbie. 1959 kam das erste Modell der erfolgreichen Plastikpuppe in einem schwarz-weiss geringelten Badeanzug und mit knallroten Lippen und Fingernägeln auf den Markt. Im März dieses Jahres feiert sie nun ihren 60. Geburtstag und ist längst das Kult-Objekt von Generationen kleiner Mädchen.
Barbara Millicent Roberts, wie Barbie mit vollem Namen heisst, schied schon bald die Geister: Während so manche Eltern ihre langen Haare, die Wespentaille und die grossen Brüste als sexistisches Klischee verachteten, sahen andere in ihr bald eine unterschätzte Frauenikone. Denn Barbie arbeitete als Astronautin, Chirurgin, Pilotin und Soldatin, als Frauen in manchen westlichen Ländern noch die Unterschrift ihrer Männer brauchten, um überhaupt einen Vertrag zu unterzeichnen. Ein Gespräch mit Soziologin Katja Rost über die wohl umstrittenste Puppe der Welt.
Frau Rost, was ist nun Sache: Verkörpert Barbie ein sexistisches Klischee oder ist sie eine unterschätzte Frauenikone?
Katja Rost: Das liegt im Auge des Betrachters. Barbie ist die Projektionsfläche für unterschiedliche Gesellschaftsvorstellungen. Sind die gesellschaftlichen Idealvorstellungen einer Frau, die Barbie ohne Frage verkörpert, in der Tat wünschens- und erstrebenswert oder eher nicht? Darauf gibt es unterschiedliche Antworten. Die einen sagen, dieses Ideal sei überholt und spiegelt in keiner Weise die Frau in heutigen Gesellschaften wider. Die anderen träumen weiterhin von Prinzessinnen und stören sich an Barbie somit kaum, finden diese sogar eine Ikone.
Was für einen Einfluss hatte Barbie auf die letzten drei Generationen?
Jeder kennt sie – egal ob man sie liebt oder hasst, egal ob sie im Spielzimmer war oder daraus verbannt wurde. Insofern ist ihre Berühmtheit gewaltig. Barbie verkörpert einen gewissen Stereotyp der Frau: blonde lange Haare, schlank, langbeinig, sexy. Dieser Stereotyp wird in den Generationen oft bedient. Manchmal als Vorbild, im Stil «sieht so schön aus wie Barbie», manchmal als Projektionsfläche für Vorurteile: «Sie sieht aus wie Barbie.» Soll in diesem Fall heissen: Sie ist dumm wie Brot.
Barbies Taille ist unrealistisch dünn, ihre Beine doppelt so lang wie der Torso. Ist das Frauenbild, das Barbie verkörpert, schuld, wenn Mädchen Essstörungen entwicklen oder am Druck, perfekt zu sein, leiden?
Der Druck auf junge Mädchen und Frauen, perfekt zu sein, ist heute viel präsenter als früher. Inwiefern das mit Barbie zu tun hat, ist schwierig zu sagen. Klar ist: Barbie leistet immer mehr, sie ist eine richtige Powerfrau. Zu ihren Anfängen hegte sie ein Prinzessinnen-Dasein, sass neben Ken und bügelte ab und zu. Heute ist sie Investmentbankerin, gertenschlank und scheint ein Leben voller Luxus und Glamour zu führen. Wir Frauen müssen heute wie sie im Sport erfolgreich sein, drei Kinder grossziehen und nebenbei eine Top-Karriere machen. Dieser Druck ist aber eher auf die Emanzipation zurückzuführen als auf Barbie.
Das heisst: Die Plastikpuppe stellt gesellschaftliche Ideale dar, sie lebt sie nicht vor?
Barbie macht Moden mit. Die Hersteller wollen keine Trends setzen, sondern Verkaufszahlen steigern. Die Puppe hat zwar seit ihren Anfängen vor 60 Jahren keine einzige Falte mehr im Gesicht, und doch hat sie sich verändert. Barbie passt sich dem Zeitgeist entsprechenden Ideal an. Ist das die Size Zero, dann gibt es halt dünne Barbies. Barbie ist auch im Beruf anpassungsfähig. Wenn die moderne Frau Anwältin ist und super aussieht, dann ist das die neue Barbie wahrscheinlich auch.
Als vor zwei Jahren die leicht üppigere «Curvy Barbie» lanciert wurde, wollte sie niemand. Die sehr schlanke Eisprinzessin aus «Frozen», Elsa, ist hingegen ein Kassenschlager. Warum?
Mädchen träumen davon, Prinzessin zu werden. Das ist ein schwieriges Thema für Feministinnen. Die Frage ist ja: Werden diese Vorlieben von unserer Gesellschaft getriggert oder sind sie je nach Geschlecht gegeben? Ich würde sagen, bis zu einem gewissen Punkt sind Vorlieben gegeben. Zudem ist aus der Wirtschaftsanalyse bekannt, dass sich schöne Sachen besser verkaufen. In den letzten Jahren hat sich diesbezüglich zwar viel getan, kurvige Frauen entsprechen aber immer noch nicht dem Schönheitsideal. Und so wollen junge Mädchen halt lieber mit der schlanken Prinzessin-Barbie spielen.
Stehen die Hersteller solcher Produkte und wir als Gesellschaft nicht in der Verantwortung, Kinder vor falschen Idealvorstellungen zu bewahren und Stereotype zu bekämpfen?
Das mag sein, doch es ist utopisch, von einem bestimmten Unternehmen zu verlangen, aus diesem Grund ein Produkt zu verändern oder einzustellen. Dafür müssten alle Firmen mitspielen und das ist schlicht nicht umsetzbar. Solange wir ein Produkt konsumieren wollen, wird es immer jemanden geben, der diese Nachfrage bedient. Ausserdem hat ein Schönheitsideal immer etwas Unrealistisches, schwierig Erreichbares. Denken Sie nur an Rubens und seine Bilder von Frauen mit üppigen Rundungen. In Zeiten der Nahrungsmittelknappheit galten diese Körperformen als attraktiv, weil sie einen Wohlstand symbolisierten, den nur wenige vorweisen konnten.
Letztes Jahr gab es ein Shitstorm, weil die Wissenschafts-Barbie ihr Labor in Rosa dekoriert hat, ihre Lieblingsfarbe ...
Wir erwachsenen Menschen verbinden mit einer Vorliebe für Pink oder Glitter-Make-up Stereotype, die nicht unbedingt stimmen. Es ist der typische «Pink-gleich-doof»-Fehlschluss.
Ist es denn sexistisch, dass die Wissenschafts-Barbie nicht in einem typisch nüchtern gehaltenen Labor arbeitet?
Nein. Dank Barbie sind solche naturwissenschaftliche Berufsbilder positiv belegt. Für das Barbie-Modell «graues Mauerblümchen mit Hornbrille» wird sich ein fünfjähriges Kind nicht interessieren. Wenn die Plastikfrau dann halt einen rosa Stuhl in ihrem Labor haben muss, damit dem jungen Mädchen beim Spielen klar wird, dass auch sie Wissenschaftlerin werden kann – wo ist das Problem?
Über Barbie wird seit 60 Jahren kontrovers diskutiert. Warum ist Ken nie ins Kreuzfeuer geraten?
Ken ist bloss ein schmuckes Anhängsel. Man braucht ihn halt manchmal, um Papa zu spielen. Aber mal klar gesagt: Niemand würde ihn vermissen. Er ist nur zweitrangig und hat so das Privileg, weniger Kritik auf sich zu ziehen. Eine Rolle spielt wohl auch, dass nur wenige Jungs mit Barbie und Ken spielen. Das gibt dem Ganzen eine andere Dimension.
Weder Barbie noch Ken haben Nippel oder Schamhaare. Sind wir zu prüde dafür?
Interessanterweise zeigen Babypuppen im Gegensatz zu Barbie Geschlechtsmerkmale auf. Aber mit ihnen können sich die Kinder identifizieren, im Gegensatz zu Abbildungen von Erwachsenen. Schamhaar bei Barbie und Ken würde sie somit verunsichern. Auch Mutter und Vater nimmt man in diesem Alter als geschlechtslos wahr.
In welchen Gesellschaftsschichten ist Barbie am gefragtesten?
Am meisten Barbies liegen sicher in den Kinderzimmern von Familien der niedrigen Bildungsschicht. In alternativen Milieus und Akademikerfamilien ist die Puppe weniger präsent. Diese Familien sind sich den übertriebenen Idealvorstellungen, die Barbie vermittelt, eher bewusst und möchten vermeiden, dass ihr Kind früh damit konfrontiert wird. Diese Eltern schenken ihrem Kinder eher nachhaltige Holz- statt Kampfspielsachen und schicken sie gegebenenfalls in den Montessori-Kindergarten.
Ist das gut oder schlecht?
Meine These ist, dass dieselben Eltern oft verkrampft nach anderen Idealen streben. Sie trimmen ihr Kind früh auf Leistung und machen Druck, damit es den obligaten Sprung ins Gymi schafft.
Barbie war lange blond- oder braunhaarig mit weisser Haut. 1980 bekam sie ethnisch vielfältige Freundinnen. Die Barbie, welche dem Prototyp der europäischen Frau entspricht, bleibt aber auch unter Kindern mit dunkler Haut sehr gefragt. Warum?
Das hat etwas mit Statusgruppen innerhalb der Gesellschaft zu tun. Denn leider ist weiterhin Tatsache, dass eine weisse Frau in der Vorstellung vieler mehr Wert ist als eine schwarze Frau. Dieses Vorurteil teilen übrigens Schwarze und Weisse, genauso wie Frauen generell eher das Gefühl haben, Männer seien geeigneter für einen Führungsjob.
Schrecklich. Was kann man dagegen tun? Dem weissen Kind eine schwarze Barbie kaufen?
Verkehrt ist das sicher nicht. Ob es tatsächlich etwas bewirkt, ist jedoch fraglich. Wichtig sind vielmehr die Erfahrungen, welche die Kinder im Umgang mit Leuten einer anderen ethnischen Herkunft sammeln.
Wie wichtig ist es, dass es Barbies mit Kopftuch gibt?
Sehr wichtig. Barbie spiegelt so die heutige Gesellschaft wider, multikulturell und vielfältig. Aus altruistischen Gründen haben die Hersteller der Plastikpuppe die ethnisch vielfältigen Barbies aber sicher nicht lanciert. Die Barbies verkaufen sich auf den internationalen Märkten viel besser, wenn sie das Idealbild des entsprechenden Kulturraums widerspiegeln.
Auf Instagram inszeniert eine Künstlerin Barbie beim Koksen und Kotzen, beschmiert sie mit Periodenblut und lässt ihr rosarote Schamhaare wachsen. Ziel: Tabus sprengen. Haben solche Aktionen einen positiven Einfluss?
Das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Die Kinder im Barbie-Alter sind ja nicht auf diesen sozialen Medien und somit kann deren Meinung nicht geändert werden. Abgesehen davon, dass die Kinder die Message nicht verstehen, sondern verängstigt würden. Die Frage ist, welche Zielgruppe angesprochen werden soll. Ich vermute eher Kunstkenner. Und diese finden die Inszenierung sicherlich sehr spannend, weil sie etwas über unseren Zeitgeist und unrealistische Idealvorstellungen vermittelt. Ob es dann etwas ändern wird, ist eine zweite Frage. Aber Kunst möchte ja zunächst einmal wachrütteln. Und ich glaube, das tun die Inszenierungen bei Kunstliebhabern.