Schweiz
Interview

Renovate Switzerland: Das sagt der Klima-Aktivist nach Mexiko-Reise

Max Voegtli, Sprecher der Klimabewegung Renovate Switzerland, auf dem Weg ins Zuercher Bezirksgericht, aufgenommen am Dienstag, 29. August 2023 in Zuerich. Der Klimaaktivist muss sich fuer zwei Aktion ...
Klima-Aktivist Max Voegtli auf dem Weg ins Zürcher Bezirksgericht.Bild: keystone
Interview

Klima-Aktivist Max Voegtli: «Ich habe nie gesagt, dass ich nie fliegen werde»

Nach dem Rummel um seinen Flug nach Mexiko wurde Klima-Aktivist Max Voegtli diese Woche wegen Nötigung, der Störung des öffentlichen Verkehrs und Sachbeschädigung verurteilt. watson hat sich mit dem 30-Jährigen über seine Mexiko-Reise, das Gerichtsurteil und weitere, geplante Aktionen von Renovate Switzerland unterhalten.
01.09.2023, 05:0018.12.2023, 16:18
Ralph Steiner
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Max Voegtli, nach dieser ganzen Geschichte rund um deine Mexiko-Reise und dem Urteil diese Woche: Wie geht es dir?
Mir geht es eigentlich gut. Ich habe nach dem Gerichtsurteil auch gesagt: Es ist, wie es ist, ich akzeptiere den Entscheid. Ich gebe dem Gericht 20 Tage, um sein Urteil zu ändern. Für mich geht es weiter. Das Gericht hat sich positioniert, die Begründung kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Es hat geheissen, ich müsse legale Wege für meine Proteste finden. Seien wir ehrlich, dies führt zu wenig. Es ist gut, diese Wege auch zu verfolgen, allerdings müssen wir Druck ausüben auf die Politikerinnen und Politiker und dafür braucht es zivilen Widerstand.

Wenn du nicht einverstanden mit dem Urteil bist, warum ziehst du es nicht weiter?
Aus finanziellen Gründen. Ausserdem bräuchte ich dann einen Anwalt. Ich sehe den Sinn im Moment nicht und ich habe andere Prioritäten.

Blenden wir etwas zurück: Du warst sehr präsent in den Medien wegen deiner Mexiko-Reise und sehr viel Hass ausgesetzt. Wie ging es dir in dieser Zeit?
Ganz ehrlich: Am Anfang war es brutal. Nicht nur für mich, auch für meine Partnerin. Nach einer gewissen Zeit ist der Hass dann etwas abgeklungen, ich konnte das Ganze etwas nüchterner betrachten und muss sagen, in vielem hatten die, die mich kritisierten, nicht unrecht. Ich habe fast alle Artikel gelesen, viel auf Social Media, ich wollte das verstehen.

Und was ist dein Fazit?
Es gab viele Leute, die haben mich konstruktiv kritisiert. Die rechneten mir vor, dass mein Flug 3 Tonnen CO2 ausstösst. Dies aufzuzeigen ist gerechtfertigt und mein CO2-Ausstoss ist mir auch sehr bewusst. Es gab aber auch viele, die mir mangelnde Glaubwürdigkeit vorgeworfen haben oder Klimatourismus. Da waren auch viele Parlamentarier dabei, die Macht haben. Das sind aber alles nicht Menschen, die etwas bewegen wollen. Deren Kritik hatte nur zum Ziel, vom eigenen Handeln abzulenken, weil sie selbst nicht vorwärtsmachen. Handelt es sich dabei um normale Bürger, ist das ok. Sind es jedoch Parlamentarier, habe ich dafür kein Verständnis.

Hat dich sonst noch was geärgert?
Ich habe nie versteckt, dass ich auch mal in ein Flugzeug steige. Ich habe nie gesagt, dass ich nie fliegen werde, ich habe auch nie gesagt, dass keiner fliegen solle. Und ich wollte nach der Landung so oder so über LinkedIn und Twitter transparent machen, dass ich geflogen bin. Mir ist mein ökologischer Fussabdruck absolut bewusst, ich messe ihn regelmässig. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir das Fliegen als Gesellschaft reduzieren müssen, aber bei mir hat sich diese Möglichkeit aufgetan, drei Monate reisen zu können, deswegen habe ich es gemacht. Ich habe viele Jahre lang beispielsweise Hochzeitseinladungen im Ausland abgelehnt, weil ich nicht fliegen wollte. Aber da waren es drei Monate. Ob es richtig ist oder nicht, darüber kann man natürlich diskutieren. Wir sind nach wie vor in einem Klimanotstand und nur weil ich geflogen bin, heisst dies nicht, dass die Forderungen von Renovate Switzerland falsch sind.

Hast du in dieser Zeit, als gefühlt die ganze Schweiz verbal auf dich eingeprügelt hat, daran gedacht, mit deinem Klima-Aktivismus aufzuhören?
Ja schon, aber nicht lange. Das wäre ja das Ziel derer gewesen, die mich kritisiert haben.

«Der normale Bürger ist nicht allein schuld an der Klimakrise, aber er ist betroffen. Wollen wir auch in Zukunft ein Leben führen, vielleicht Kinder haben, müssen wir weiterkämpfen.»

Jetzt heisst es ja immer wieder, ihr könntet auf politischem Weg etwas zu erreichen versuchen. Beispielsweise mit einer Volksinitiative. Ihr macht aber ab dem 13. September mit Aktivismus weiter. Weshalb?
Also zunächst darf man nie vergessen, dass ziviler Widerstand und die dazugehörigen Protestformen auch ein Teil unserer Demokratie sind. Genauso wie das politische Vorgehen. Dieses ist auch nicht falsch, man sieht aber, dass es nicht vorwärts geht. Diese Klimakrise wird schlimmer und schlimmer. Und wenn man sieht, dass etwas nicht funktioniert, muss man etwas Neues tun. Ich könnte schon einer Partei beitreten oder für ein Amt kandidieren, dann bin ich aber im politischen Zyklus gefangen und kann auch nicht so handeln, wie ich möchte. Deswegen unser Aktivismus. Wir brauchen keine Mehrheit, um zu gewinnen. Bei Renovate wollen wir ein Prozent der Schweizer Bevölkerung für den zivilen Widerstand mobilisieren.

Ihr habt geschrieben, dass es in nächster Zeit keine Blockaden oder Klebe-Aktionen geben wird, ihr werdet aber marschieren. Wieso diese andere Form von Protest?
Wir wollen etwas ausprobieren. Das langsame Marschieren erzeugt ein anderes Bild, es zieht auch andere Teilnehmer an. Wir können so auch nochmals stark mobilisieren, wollen viele neue Bürger anziehen. Das heisst aber nicht, dass wir mit Klebe-Aktionen aufhören werden, die werden immer noch stattfinden.

Renovate Switzerland Blockade in Bern
Renovate Switzerland bei einer Blockade in Bern.bild: renovate switzerland

Du sprichst die Mobilisierung an. Kann es sein, dass deine enorme Medienpräsenz in den vergangenen Monaten euch als Organisation diesbezüglich hilft?
Das kann gut sein, man sagt ja: ‹All press is good press.› Allerdings war es vielleicht nicht optimal, dass die Medien sich dermassen auf meine Reise fokussiert haben und nicht auf den Zusammenhang des Sommerwetters und der Klimakrise. Trotzdem hoffe ich, dass die Menschen sehen, dass man nicht perfekt sein muss, um Teil der Klimabewegung zu sein. Wären alle in der Klimabewegung perfekt, wären wir zehn Veganer, die oben im Jura wohnen. Ich höre immer wieder Leute, die mir sagen: ‹Ich unterstütze euch, aber ich fahre halt noch Auto oder esse Fleisch.› Ich sage dann immer: Wir können nicht alle perfekt sein. Wir haben nicht alle Lösungen bereit, die es braucht, aber wir müssen alle handeln.

Du sprichst auch immer wieder den Druck an, der auf dem Individuum lastet.
Ja, davon müssen wir unbedingt wegkommen. Wir sagen immer: ‹Du, du du.› Wir sollten als Kollektiv, als Gesellschaft, auch auf politischem Weg etwas bewegen. Ich bin deswegen auch Renovate Switzerland beigetreten. Davor habe ich alles versucht. Ich bin nicht geflogen, ich ernährte mich vegan, ich habe Events organisiert, in einer Firma nachhaltige Projekte umgesetzt, ich ging an Demos. Ich habe aber gemerkt: Niemand hört mir zu. Der normale Bürger ist nicht allein schuld an der Klimakrise, aber er ist betroffen. Wollen wir auch in Zukunft ein Leben führen, vielleicht Kinder haben, müssen wir weiterkämpfen.

«Wenn ich aber sehe, was die Politik tut, wenn man schon nur den Sommer in der Schweiz sieht, mit zwei Hitzewellen, Waldbränden, Dürren, da krieg ich schon ab und zu etwas Panik.»

Ist es für euch eigentlich von Relevanz, dass in diesem Herbst in der Schweiz Parlamentswahlen stattfinden?
Also das langsame Marschieren, das machen wir nicht, weil Wahlen sind. Aber es ist ein Zeichen, um aufzuzeigen, wie langsam es in der Politik vorwärts geht. Eigentlich wählen wir Politiker, damit sie – auf wissenschaftlicher Basis – in unserem Interesse handeln. Statt dass nur diskutiert wird, sollte man aktiv werden. Die Forderung von Renovate Switzerland, einen Plan vorzulegen damit alle Häuser in der Schweiz bis 2030 saniert werden, muss man jetzt umsetzen. Und so Emissionen reduzieren.

Eine Frage zum Urteil, du musst 4300 Franken bezahlen. Kommst du selbst dafür auf oder bezahlt das Renovate Switzerland?
Nein, das bezahle ich selbst.

Bist du derzeit hauptsächlich für Renovate Switzerland tätig oder übst du noch einen Beruf aus?
Ich bin hauptsächlich für Renovate tätig, beziehe aber keinen Lohn. Wir haben bezahlte Positionen für diejenigen Personen, die darauf angewiesen sind oder Kinder haben. Ich konnte aber Geld sparen und hoffe, dass das noch mindestens ein Jahr reicht. Zusätzlich zu Renovate mache ich vielleicht das eine oder andere Projekt im Rahmen der Klimabewegung, mein Hauptengagement ist aber Renovate.

Schauen wir noch etwas in die Zukunft: Bist du guten Mutes, dass sich in der nächsten Zeit in Sachen Klima in eurem Sinne etwas bewegen wird?
Ich habe schon Hoffnung. Wenn ich aber sehe, was die Politik tut, wenn man schon nur den Sommer in der Schweiz sieht, mit zwei Hitzewellen, Waldbränden, Dürren, da krieg ich schon ab und zu etwas Panik. Ins Parlament habe ich überhaupt kein Vertrauen. Das richtet sich nicht gegen einzelne Parlamentarier, das gesamte Parlament und der Bund müssen handeln. Der Klimanotstand müsste ausgerufen werden. Und davon sehe ich momentan nichts. Ich hoffe, dass ich mich irre und nach den Wahlen im Oktober etwas passieren wird. Wir von Renovate Switzerland wollen ein Prozent der Bevölkerung mobilisieren, damit wir Druck auf die Politik ausüben können.

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603 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P.
01.09.2023 06:51registriert August 2018
Ich habe nie versteckt, dass ich auch mal in ein Flugzeug steige. Ich habe nie gesagt, dass ich nie fliegen werde.

Max, genau hier liegt dein Denkfehler. Bei einem Klimaaktivist gehe ich davon aus, dass er für Ferien nicht um den Globus fliegt. Deshalb ist jede Glaubwürdigkeit weg. Ich gehe jetzt sogar davon aus, dass deine Kleberkollegen auch jedes Jahr in die Ferien fliegen. Ja, da hast du deinen Freunden einen Bärendienst erwiesen.
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sweeneytodd
01.09.2023 06:36registriert September 2018
Hass ist natürlich nicht gerechtfertigt. Aber hatte dieser junge Mann wirklich das Gefühl, wenn er alle Autofahrer mit seinem 'rumkleberle' nervt und dann nach Mexiko FLIEGT, dass da kein Gegenwind aufkommt?
"Ich gebe dem Gericht 20 Tage, um sein Urteil zu ändern" Und was er sich darunter vorstellt ist mir auch ein Rätsel, dieser junge Mann ist so realitätsfern, dass es schon fast schmerzt. Auf jeden Fall erweist er dem ganzen Klimaprotest mit seinen Aktionen und Aussagen ein Bärendienst.
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Bits_and_More
01.09.2023 07:01registriert Oktober 2016
Dieses ''die Politik tut nichts'' ist einfach falsch. Erneuerbare Energien werden gefördert, Gasnetze stillgelegt, Ölheizungen verboten, diverse Städte / Kantone haben Netto Null als Ziel bis 2040 / 2050. CO2 Ausstoss wird besteuert und das neue Klimagesetz wurde 2023 angenommen.
Neue Verbrennerautos sind in Europa bald Geschichte.

Alle Häuser bis 2030 sanieren? Unmöglich. Da fehlt es einfach nur schon an den nötigen Arbeitskräften. Zudem sind wir nicht England, welche wirklich schlecht isolierte Gebäude haben und daher kommt auch diese Copy Paste Forderung.
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