Schweiz
Interview

Schweizer Klimastreik-Bewegung: Junge Aktivisten im Interview

Wanderer halten einen Rast auf einem Felsen mit Blick auf den Aletschgletscher von der Moosfluh aus, auf der Riederalp im Wallis, am Dienstag 11. Juli 2017. (KEYSTONE/Dominic Steinmann)
Zuschauen – oder handeln? Der Klimawandel lässt den Aletschgletscher schmelzen.Bild: KEYSTONE
Interview

Junge Klimaaktivisten: «Es ist viel mehr möglich, als man uns weismachen will»

An der Klimademo am 6. April gehen erneut viele junge Leute auf die Strasse. Die Aktivisten Hanna Fischer und Andri Gigerl erklären, was sie antreibt und wie die Welt ein grosses Stück gerechter werden muss.
02.04.2019, 08:1902.04.2019, 16:13
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Das Thema der nächsten Klimademo (siehe unten) lautet «Klimagerechtigkeit». Was versteht ihr darunter?
Andri:
Es ist absolut zentral, dass wir die Klimakrise immer auch aus einer sozialen Perspektive betrachten. Die Welt ist schon heute geprägt von sozialer Ungleichheit. Der Klimawandel wird dieses Problem enorm verschlimmern. Denn während wenige reiche Industrieländer für einen Grossteil der globalen Emissionen verantwortlich sind, werden vor allem arme Länder aus dem globalen Süden die verheerenden und teuren Konsequenzen tragen müssen.

Die Klimastreik-Aktivisten bei ihrer letzten Protestaktion in Zürich.
Die Klimastreik-Aktivisten bei ihrer letzten Protestaktion in Zürich.bild: zvg

Hanna: Wir in der Schweiz stehen deshalb moralisch in der Pflicht, jetzt alles zu geben beim Klimaschutz. Ausserdem haben wir gesehen, was geschieht, wenn man Klimapolitik auf Kosten der Schwachen macht. Die Gilets jaunes sind aus einer schlecht durchdachten Klimaabgabe entstanden.

«Die Klimakrise ist keine Glaubensfrage und macht nicht halt an parteipolitischen Grenzen.»
Andri und Hanna, Klimastreik Zürich

Was erwidert ihr Kritikern, die sagen, Klimagerechtigkeit klinge zwar gut, doch sei das Leben an sich ungerecht?
Natürlich ist es das – ändern wir es! Genau solche Menschen sind das Problem. Menschen, die alle Hoffnung und allen Mut begraben haben und das Realismus nennen. Was wir nun brauchen, sind keine düsteren Prophezeiungen, sondern mehr Glauben an eine lebenswerte und bessere Zukunft. Es ist viel mehr möglich, als man uns weismachen will.

Die Interviewten
Hanna Fischer ist 17, kommt aus Männedorf und studiert Medizin an der Uni Zürich. Andri Gigerl ist 19 und macht dieses Jahr die Matur am RG Rämibühl in Zürich. Sie engagieren sich in der Klimastreik-Bewegung, Regionalgruppe Zürich. Sie haben die Fragen schriftlich beantwortet. Mehr Infos unter https://climatestrike.ch.

Die Industrienationen sind für den Klimawandel verantwortlich – und die armen Länder im Süden leiden am meisten unter den Folgen. Was soll die reiche Schweiz tun?
Die Schweiz muss die Verantwortung, die sie trägt, endlich verstehen und wahrnehmen. Wir leben auf Kosten von Menschen in Entwicklungs- und Produktionsländern. Es heisst oft, «ja die Schweiz ist doch so klein». Dann sollte es doch kein Problem sein, jetzt ruckzuck auf netto null zu gehen und dann Ländern mit viel schlechteren Voraussetzungen und weniger Mitteln unter die Arme zu greifen.

Lehnt ihr eigentlich den Kapitalismus grundsätzlich ab? Und falls ja, was für ein wirtschaftliches System würdet ihr bevorzugen?
Diese Frage diskutieren wir in der Bewegung täglich und die Meinungen gehen weit auseinander, wir sind eine diverse Bewegung. Wichtig ist jedoch, dass nicht nur wir anfangen, die bestehenden Strukturen zu hinterfragen, sondern alle. Die Klimakrise ist ein so grosses Problem, dass es fahrlässig wäre, sich nicht auch die grundlegenden Fragen zu stellen und damit den grössten Teil der möglichen Lösungen auszuschliessen. Denn in einem sind wir uns alle einig: So wie bisher kann es nicht weitergehen.

Welche konkreten Massnahmen braucht es als Nächstes von der Politik und Wirtschaft?
Wir als Bewegung sehen es nicht als unsere Aufgabe, exakte wissenschaftliche oder politische Lösungen zu präsentieren, da uns dafür das Know-how und die Zeit fehlen. Es gibt einen Grund, warum unsere Gesellschaft von gewählten Vertreter*innen regiert wird, die sich theoretisch auf das Wissen von Experten stützen. Wenn genau das tatsächlich auch passieren würde, dann wären wir an einem anderen Punkt. Die Politik und die Wirtschaft müssen endlich aufhören sich zu fragen, ob man etwas ändern soll oder wann. Das ist wissenschaftlich klar. Sie müssen sich endlich fragen, wie das zu schaffen ist.

Ihr sagt, die Älteren hätten es verbockt. Abgesehen von solchen Schuldzuweisungen, wie haltet ihr es mit der generationenübergreifenden Zusammenarbeit?
Die älteren Generationen müssen aufwachen, dazu muss man manchmal etwas hart sein. Aber am Ende ist Zusammenarbeit absolut zentral. Die Klimakrise betrifft alle Menschen, egal ob alt oder jung. Wenn wir sie tatsächlich bewältigen wollen, müssen wir als Spezies zusammenhalten und alle Grenzen, von Ländern und politischen Meinungen über Geschlechter bis zur Hautfarbe oder dem Alter, überwinden. Wir überleben gemeinsam oder gar nicht.

Bei immer mehr Eltern und Grosseltern scheint die Einsicht zu reifen, dass sie nicht nur passiv zuschauen können, während die Klimajugend protestiert. Wie erlebt ihr das?
Wir freuen uns extrem, dass wir etwas bewegen und auch sie die Krise ernst nehmen. Es ist schön zu sehen, dass immer mehr Menschen sehen, was es nun unbedingt braucht. Einen gesellschaftlichen Wandel – anders als alles bisher. Wir brauchen das grösste Miteinander der Menschheitsgeschichte. Und genau deshalb seid auch ihr und alle anderen zur nächsten Klimademo am 6. April ganz fest eingeladen.

Ihr habt wiederholt betont, dass ihr euch nicht (von Parteien) für politische Zwecke instrumentalisieren lassen wollt. Wie seht ihr das im Hinblick auf die nächsten eidgenössischen Wahlen im Oktober 2019? Das wäre ja eine grosse Chance, um viel zu verändern?
Wir glauben fest daran, dass wir in der Notlage, in der wir nun einmal sind, alle zusammenhalten müssen. Die Klimakrise ist keine Glaubensfrage und macht nicht halt an parteipolitischen Grenzen. Deshalb werden wir auch weiterhin keine Parteien unterstützen. Doch das müssen wir auch gar nicht. Unsere Aufgabe ist es, die Menschen aufzuwecken, ihnen Hoffnung und Mut zu geben und eine andere Art zu leben aufzuzeigen. Dann sind sie ganz von alleine in der Lage zu entscheiden, wer oder was richtig ist für unsere Zukunft.

Dieses Gruppenbild entstand nach der «Arena»-Aufzeichnung im SRF-Studio.
Dieses Gruppenbild entstand nach der «Arena»-Aufzeichnung im SRF-Studio.bild: zvg

Wo findet die Klimademo am 6. April statt?

Laut den Klimademo-Organisatoren wird am nächsten Samstag, 6. April, in zahlreichen Kantonen demonstriert. Sie verweisen auf ihre Website, klimademo.ch, dort finde man alle wichtigen Infos, inklusive Orts- und Zeitangaben.

  • Aarau
  • Basel
  • Bern
  • Biel
  • Frauenfeld
  • Fribourg
  • Genf
  • Glarus
  • La Chaux-de-Fonds
  • Lausanne
  • Luzern
  • Olten
  • St.Gallen
  • Solothurn
  • Thun
  • Winterthur
  • Zug
  • Zürich

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107 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Special K
02.04.2019 09:03registriert August 2016
Ich bin dabei. Wir hatten über 30 Jahre Zeit, auf freiwilliger Basis etwas zu tun und nichts ist passiert.

Natürlich kann man darauf herumreiten, wie der persönliche Fussabdruck jedes Einzelnen aussieht, aber die Politik hat viel mehr Möglichkeiten, Masnahmen zu ergreifen, die eine Wirkung haben.
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cloud.io00
02.04.2019 10:17registriert Januar 2019
Ich bin gespannt, ob die Klimabewegung es meistern wird oder sich selbst am Interessenkonflikt aufhängt.

AKW = 0 Co2 = Atommüll
Mehr Wälder = weniger Co2 = zuwenig Essen = Genfood?

Es ist völlig absurd zu glauben, immer mehr Leistung (Energie) verbrauchen zu können, ohne etwas dafür herzugeben.

Es leben zu viele Menschen auf diesem Planeten mit zu hohen Ansprüchen.
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Gulash Ka None
02.04.2019 10:19registriert März 2017
Coole Sache, wenn die Jungen endlich ins Lenkrad greifen.
Ich finde es einfach schade, dass die Diskussionen nicht mehr ins Detail gehen...konkrete Vorschläge, Initiativen usw. ( nicht von den Demonstranten, sondern von den Parteien)
Kommt mir im Moment so vor, als wollten alle Klimapolitik machen, aber die Auswirkungen dieser Politik will dann wieder niemand verantworten.
Strategische Ziele oder unverbindliche Abkommen existieren ja seit Jahrzehnten und sind leider nicht viel mehr als Lippenbekentnisse
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